D 10t. Febr. 9 Abends.
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Endlich, nach einer beinahe monatlichen Trennung habe ich unsere
lieben Götemitzer gesehen – meine Sehnsucht war aufs höchste gestiegen
und nun fühle ich mich auch recht wie neu
belebt.
Unsere gute
Charlotte von Kathen
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Lotte
ist nun jeden Tag in Erwartung, es war mir ganz
schmerzlich sie in dieser Zeit gar nicht zu sehn.
Und unsere süße
Henriette Herz
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Jette
hat mich so erfreut durch ihre innige
Herzlichkeit, durch die Mittheilung einiger recht schönen
Briefe – und dadurch daß ich sie viel ruhiger
und hoffnungsvoller
gefunden. Von dem Wetter und den Wegen die bisher
waren hast Du keine Idee!
Ganz blaß und mager bist Du mir geworden mein süßes Leben! es ist mir gar rührend Dich mir so zu denken – und gar süß mich zu träumen an Deiner Seite auf dem Sopha dein liebes blasses Gesicht an meiner Brust – –
Herzens Geliebter thue doch alles um ganz wohl wieder zu werden!
Morgen sage ich Dir mehr, meine innigen AbschiedsKüsse –
Donnerstag Morgen.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Wegen des Communicirens kann ich noch nichts erfahren weil es hier
nicht so lange vorher bestimt wird – Ich hoffe aber durch Sophie
Schlichtkrull zu bewegen daß er
schon was dazu thut um es so einrichten.
Eine recht traurige
Nachricht erhielten wir vor | 22v einigen Tagen. Herr Israel und seine Frau Karolin
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Der
Cummerow
ihr Bruder
ist gestorben
und hat eine sehr trostlose Wittwe
zurückgelaßen. Sie war eine recht liebe Bekannte von mir. Ihr weiches
Gemüth hatte mit seiner ganzen Kraft sich an den Mann
geschloßen, sie
ist sehr unglücklich, hat aber doch zu ihrem Trost einen unaussprechlich
holden, hoffnungsvollen Knaben
. Friederike Israel
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Friedericke
, deren Schwägerin sie ist, schrieb mir sehr
bewegt.
Vgl. Brief
.
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Für Deine ausführliche Anweisung über den Unterricht danke ich
Dir sehr, ich werde sie aber gröstentheils wohl
erst benutzen wenn wir unter Deiner Aufsicht unser
Wesen treiben werden die Kinder und ich. Einen
Buchstabenkasten hier zu bekommen wäre sehr
weitläuftig, ich müßte erst einen machen
laßen.
In diesen wenigen Monaten werden auch doch manche
Unterbrechungen kommen, darum denke ich es bei der Fibel
bewenden zu laßen die wir jezt haben und nur zu sehen daß
Henriette Pauline Mariane von Willich
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Jettchen
nicht vergist was sie weiß (freilich nur die Vocale)
und daß diese ihr ganz geläufig werden.
Es ist mir sehr lieb gewesen daß
Henriette Herz
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Jette
mir gestern einen Brief von Dohna
vorgelesen. Ich hatte noch nie ein Wort von ihm selbst
gehört, der Brief war recht schön und sprach
seinen ganzen edlen Sinn aus.
Von
Charlotte Schleiermacher
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Lotte
habe ich sehr lange Briefe ich will ihr auch recht
ordentlich antworten – sie ist wohl ein sehr liebendes | 23 inniges Gemüth!
Es handelt sich wohl um einen Brief Charlotte
Schleiermachers an Lotte Pistorius, den diese nun beantwortet
hat.
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Lotte Pistorius
hat sich sehr über ihre Einlage gefreut
und hat ihr sehr schön geantwortet.
Das ist
ganz herrlich wenn so Briefe und Antworten durch
unsere Hand gehen und man dabei Erlaubniß hat
hinein zu sehen.
Das Lesen der Friedrich Schleiermacher: „Vertraute Briefe über
Friedrich Schlegels Lucinde“ (1800), KGA I/3, S. 139-216
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Briefe
über Lucinde
hat mir wirklich recht wahren Genuß
gemacht und sie sind mir ganz außerordentlich klar und verständlich
gewesen, daran kann ich doch merken wie ich weiter gekommen
bin denn vor 4 Jahren als ich sie mit Ehrenfried von Willich
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Ehrenfried
las wurde es mir unendlich schwer zu folgen
und ich faßte sie doch nur halb auf.
So würde es mir gewiß auch mit den Friedrich Schleiermacher: „Über die Religion.
Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), KGA I/2, S.
185-326
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Reden
gehen wenn ich sie wieder läse. Ach hätte ich doch künftig Zeit
zum lesen! Gar manches ist vorgekommen worüber ich gerne mit Dir
redete – manche Fragen manche Gedanken sind in mir
entstanden. Sehr lebhaft ist mir der Wunsch geworden auch die
Friedrich Schlegel: „Lucinde“ (1799), KFSA V, S.
1-92
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Lucinde
zu lesen, ich kenne sie so gut wie gar nicht. – Aber o Ernst wie sind die
Briefe von
Gemeint ist hier wohl die Protagonistin aus „Vertraute Briefe“ von Schleiermacher, für die allerdings
Eleonore
Grunow, Schleiermachers unglückliche Liebe, Pate
stand.
[Schließen]Eleonore, schön wie eigenthümlich Vgl. Brief
.
[Schließen] – wie ist mir ganz eigen zu Muthe gewesen beim
lesen derselben mein süßer Ernst – kannst Du es wohl nachfühlen? ordentlich
niedergedrükt hat es mich auch das Anschauen ihres innern
Reichthums – diesen hohen freien Schwung des Geistes, diese
wie sie sich hier ausspricht, vollendete Liebe – diese
Fülle diese Eigenthümlichkeit des Gedankens | 23v mir war als könne ich gar nicht wieder, und über
nichts, mich gegen Dich aussprechen, und überhaupt – ich
mag es nicht so mit Worten all sagen wie mirs war.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Wie Du mich wieder erfreut hast geliebter Mann durch die süßen
Betheurungen in deinem lezten
Briefe das köntest Du nur wissen wenn Du alle meine inneren
Zweifel kenntest die ohne Zahl sind. Es ist mit meinem
innern Leben wie mit allem was ich äußerlich treibe, wenn
ich mich gehn laße, eines herrscht vor und alles andre muß
darunter leiden. So habe ich lange Zeiten wo ich ganz so
hin lebe ohne an mich zu denken, ohne etwas aufzuregen in
mir als was von selbst wach ist, dann kann mit einem mahl
wieder eine Zeit kommen wo ich in ein Meer von Grübeleien
über mich selbst versinke und dann ist auch mein
Lebensgenuß getrübt. Solche Zeit habe ich nun gehabt
und Du hast ja schon manches davon hören müssen.
Ernst es ist doch ein ganz köstliches Gefühl sich selbst zu
lieben und zu achten, woher nur habe ich es am
meisten gehabt wenn ich am unglücklichsten oder
am meisten verkannt war? Und warum steigt die
Selbsterniedrigung in solchem Grade nun meine
Menschen mich so heben.
Ernestine ist ebenfalls eine
Protagonistin aus dem Werk „Vertraute Briefe“ von Schleiermacher.
Schleiermacher selbst nennt in seinem Antwortbrief die Schwester
Friedrich Schlegels
,
Charlotte Ernst
, als vages Vorbild, vgl. Brief.
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Hast Du nicht bei der Ernestine große Jette sehr im Sinne
gehabt, freilich unter ganz abgeänder | 24ten Verhältnissen? mir ist es so
vorgekommen.
Gewiß mein süßer Ernst hast Du recht viel in diesen vergangenen Tagen an uns und an unsern theuren Ehrenfried gedacht – ich habe es recht tief empfunden wie ohne die Treue die fest das alte im Herzen behält, kein Gemüth heilig und from und kein Glück vollkommen sein kann. Ich habe sehr zu Gott gefleht deshalb – und wenn mir bisweilen gewesen als wohne diese Treue nicht in mir so habe ich es doch nun recht gefühlt daß sie mir nicht fremde ist daß sie in der Tiefe im Grunde meines Herzens rein und unverlezt wohnt.
Nicht wahr mein Theurer Dir ist es auch noch immer so nach allem was ich Dir auch ausgesprochen habe wie das neue Glük mich erfüllt und hinreißt? –
Henriette Pauline Marianne von Willich und
Ehrenfried von Willich (d.J.)
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Unser Jettchen ist jezt sehr süß, dem Jungen machen die Zähne
zu schaffen, doch ist er nicht krank, aber
verdrießlich lustig und wüthend eins ums
andre. Ich habe ihn und
Jette gerne allein wirthschaften lassen wie
sie wollten, aber es hat doch eine schlimme Wendung genommen,
denn der Junge übt eine
solche Herrschaft über sie daß es fast unglaublich ist, was
sie hat und ihm gefällt muß sie ihm geben er hat so viel Kraft,
und
sie hat sich schon darin gefunden. Soll man nun das gehn
lassen oder | 24v
sich darin mischen? Auch fängt er an uns Große alle zu
commandieren, für jede Hülfe die er braucht sucht er sich
jemanden aus der sie ihm leisten soll und besteht
dann darauf, darf man ihm willfahren?
Ueber etwas möchte ich noch Deinen Rath. Jettchen wacht häufig des Nachmittags mit starkem Weinen auf, dann hilft auch gar nichts, sie weiß nicht was sie will, will nicht aufstehn, will nicht liegen, kein Zureden, nichts was ihr sonst Freude macht beruhigt sie. Phisisch ist das gewiß, soll sie sich aber doch nicht überwinden lernen? sage nur soll ich es ruhig tragen daß sie sich ausweint oder durch die Ruthe sie zur Ueberwindung zwingen. Es wäre wohl sehr unangenehm die Ruthe zu gebrauchen und doch kann mir recht so zu Muthe werden als wenn ich es möchte, denn es komt mir doch ganz so vor als wenn sie schweigen könnte wenn sie wollte.
Unserer Pistorius schreibe nur einmahl sie ist unaussprechlich einsam –, was auch ihr Gemüth bewegen mag sie kann es gegen niemanden auslassen. Ihr Mann läßt sich seit seiner Krankheit durchaus auf kein ernsteres Gespräch ein
In einigen Wochen wirst Du einen Besuch | 25
haben von einem Der Leibarzt ist Moritz von Willich, die
Identität des jungen Mannes konnte nicht ermittelt werden.
[Schließen]Vetter Sohn des Leibmedicus aus Bergen
, der in diesen Tagen nach Breslau abreiset,
und auf der Rückreise über Berlin geht er hat mir Deine Adreße
abgefordert weil er Dir seine lies: Aufwartung
[Schließen]Aufartung machen will.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Mit den Reimerschen Frauen hatte ich es mir auch gerade so
vorgestellt wie du über sie schreibst,
mir war schon vort 4 Jahren ganz
entschieden so. Freuen kann ich mich außerordentlich zu den vielen
interessanten Menschen, sie nur zu sehn
und zu hören ohne weiter auf
Annäherung mit Vielen Anspruch zu
machen.
Wir haben gestern in Götemitz
sehr viel von
Schlegels
gesprochen.
Mein Gefühl über Friedrich trift nach
allem was ich von ihm kenne sehr mit Jettes ihrem zusammen.
Lieber Ernst wie wird mir das Leben doch neu sein, mir die ich immer
in dem engsten Kreise gelebt habe. Vgl. Brief
.
[Schließen]Herzens lieber Mann wenn Du mich nun einmal nur
mit dem Gefühl der Gleichheit umfassen willst so kann
ich nicht immer darwieder reden aber mir laß nur
in der Stille das Gefühl | 25v daß ich nichts bin als Dein Geschöpf das
durch Dich und in Dir nur lebt, von Dir
alles empfängt – und weiter nichts – Auf das zärtlichste umarme ich Dich mit aller
Liebe – unsere lieben Kinder senden Dir tausend Grüße
und Küsse.
Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich
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Auch Sophie und
Louise
grüßen herzlich.
Leztere geht nach Götemitz auf einige Wochen.
Noch fällt mir ein, besprich doch mit
Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
ob ihr in eurem Koffer Platz haben
werdet wenn wir zusammen zurück reisen daß ich noch Zeug
für mich und die Kinder mit hineinlegen könnte.
Ist das nicht so müßte ich bei Zeiten in
Stralsund Auftrag geben mir
einen in einer Auction zu kaufen und ihn wohl
dann mit der Post schicken.
Alles was ich entbehren kann schicke ich natürlich schon
mit dem Fuhrman.
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