Gdfr. d 1 Fbr 1809

Seitdem ich Dich als Verlobten von  Henriette von Willich [Schließen] Jetchen weiß bin ich in immerwährender angenehmer Spannung als wäre ich eine Braut (oder, weil das in meinem Alter eine Seltenheit ist, und wahrlich Thorheit wäre erst in dieses Reich einzutreten) als wäre ich Mutter der Liebenden, und nun erst gar seit ich selbst an die liebliche Braut geschrieben – und etwas nähres von Euren schriftlichen Äußerungen gegen Einander weiß – in solchen Erwartungen oder süßen Augenbliks des Empfanges ruegenscher oder Berlinischer Briefe – denke ich jedesmahl an die Baronin Seidliz als ihre erste  Dorothee („Dorchen“) Friederike von Ze(t)schwitz, geb. von Seidlitz [Schließen] Tocher in der Brautzeit mit  Joseph von Ze(t)schwitz [Schließen] Zeschvitz Briefe wechselte – Sie nicht nur das alles mit las sondern auch selber an ihn, schrieb, und wenn sie von ihm sprach man glauben konte – Sie selbst sei die Liebende – jezt hat er die zweite Tochter – und schon einen Knaben der bald ein Jahr Alville genant – die Baronin lebt immer ein ViertelJahr, dort, dann wieder hier –  Jospeh von Zetschwitz heiratete nach dem frühen Tod seiner Frau Dorothea deren Schwester Agnes Friederike von Seidlitz  [Schließen] Zeschvitz spricht von seiner ersten Frau als von einem höheren Himlischen Wesen – von der jezigen aber als einer irdischen HuldGöttin! – so neugierig die guten Leutchen Alle sein mögen, zu was eine Correspondenz nach Ruegen abzwekt – erfahren sie doch weiter nichts – als daß ich oft recht angenehme Briefe bekomme wovon die gute Seidliz sagt daß deren Mittheilung unsre Abende gar schön ausfüllen – Der Comtesse Posadovsky die während meines ganzen 25 jährigen Hierseins recht Mütterlichen Antheil an Allem nimt – habe ich gesagt, du würdest nun bald in den Standt der Heiligen Ehe treten – und noch dazu mit einer jungen recht Christlichen Prediger Witwe – worüber sie wahre Freude hatte – und von Herzen wünscht  | 1v daß alles möge zur wahren Darstellung komen.  Juliane Elisabeth (Lisette) von Prittwitz [Schließen] Lisetchen frug mich ob die Witwe auch etwas Vermögen hat – wornach ich freilich auch noch nicht gefragt habe – das war ihr lächerlich – daß die Gelehrten (obschon es gut sei, wenn mann es nicht zur Hauptsache mache) sich selten um dieses vergängliche Gut bekümmern, wenn die Universität zu Stande komt – habe ich keinen Kummer – aber ohne diese ist mir die schöne Zukunft etwas ängstlich – weil ich glaube – du hast nicht allein von den leztren Jahren – sondern noch von länger her beträchtliche Schulden – ich weiß wie einen das peiniget und gewißermaßen zu einem unordentlichen unruhigen Leben führt – ganzer 2 Jahre habe ich noch bei der guten Seidliz imer zu arbeiten gehabt. Endlich seit dem lezten Weinachten kann ich frei athmen – wenn ich auch noch nichts weg legen kann! Was mich deinetwegen Augenbliklich mehr bekümmert ist das Große, in was du dich verwikelt hast – schon an mich erwähntest Du davon – aber was du an Jetchen schreibst hat mich weit mehr beunruhigt: Sie erfreut sich an dem Untergange des Großen – und keine Gefahr ist dabey für Dich – ein GlüksSpiel bist du sie kann dich nicht treffen –  Mt 25,24 [Schließen] dann must du Früchte erndten – wo du nicht gesäet hast – Wir – dh – die Pritvitz Seidliz und ich haben viel gegrübelt – aber nichts herausgebracht – Gott wolle alles zum  am linken Rand [Schließen]Besten lenken und schenke Dir Gesundheit – das wünscht inig

Deine Lotte

Zitierhinweis

3057: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, Mittwoch, 1.2.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006886 (Stand: 26.7.2022)

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