Dienstag d 24t. Jan. 9.

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Ganz besonders willkommen war mir heute in meiner Einsamkeit  Vgl. Brief .
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Dein Brief
geliebter Ernst, aber wie lange mußte ich darauf warten, ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Die Wege hier so  gängige Variante von verschneit im Oberdeutschen, vgl. Adelung und Campe sv
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verschnien
und zugetrieben, man sizt durchaus wie im Gefängnis. Dabei ein Sturm gestern wie heute der so furchtbar heult und so stark ist, daß er gestern um Mitternacht wie ich allein saß und las mit einem mahl die Thüre offen riß – war es nicht graulich? Ich glaube Du hast fast gar keine Idee von solchem Winter auf dem Lande – Mit dem frieren geht es uns jezt besser, wir haben besseren Torf und ein wenig mehr Holz. Ich denke gar viel an unsere gute  Henriette Herz
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Jette
, wie wird Dir nur gewesen sein als Du  Vgl. Brief .
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ihre Blätter
lasest. Ich hoffe aber ganz sicher Du wirst sie zur Ruhe bringen. Meine innige Theilnahme würde Jetten wohl gewiß wohl thun wenn wir uns mehr sehen könnten, ob es sie aber erleichtern würde sich gegen mich auszusprechen das weiß ich nicht. Ich habe über unser Verhältniß noch immer das Gefühl als ob ich bloß empfangend bin und kann es auch nicht anders verlangen. Jette hat zu viel Menschen die ihr anhängen als daß ich ihr noch etwas besonderes sein könnte – Ich habe ihr mein ganzes Innere aufgeschloßen und das heiligste und liebste gerne mit ihr getheilt, es fällt  | 15v mir aber gar nicht ein ein ähnliches Vertrauen von ihr zu erwarten. Hätte  Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten
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Alexander
nur nichts dagegen daß sie gleich zu uns zieht, denn das scheint mir bei ihr nur noch das einzige Bedenken. Noch nie hast du mir eine Silbe von diesem gesagt, auch in deinen Briefen an  Ehrenfried von Willich
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Ehrenfried
wo Du ihm von allen Deinen wircklichen Freunden schreibst erwähnst Du seiner gar nicht. Hast du einen Brief von mir erhalten der mit der Freude über sein Kommen nach Berlin anfing? wir müssen wircklich nummerieren. Du mußt mir aber wieder hinein helfen, ich notire es nicht wenn ich fortsende.

 Vgl. Brief .
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Ja das ist wahr Du bereitest mich gut vor auf Dein Wesen mit Mädchen und Frauen,
und wie hat  Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
schon ordentlich ernsthaft mich vor der Eifersucht gewarnt und was hat der Ruf mir schon von dir gesagt in dieser Hinsicht eher noch als du mein warest – Wenn Du denn recht wissen willst wie mir dabei ist so höre: wäre ich selbst interessant so würde ich mich nur rein daran ergötzen wie Du alle Seiten weiblicher Liebenswürdigkeit in dem ganzen Kreise der Freundinnen verehrtest und genößest, da ich das nun aber so wahr ich lebe in mir nicht finden kann, gar nicht weiß wo mir das interessante sitzen könnte, so ist es mir ein bischen was daß du dir eine Frau wählen konntest der das fehlt wofür Du so viel Sinn | 16 hast, und natürlich nun bei Anderen Dich dafür schadlos halten must. Es versteht sich aber daß ich doch ganz damit einstimme wie ich es Dir ja schon früher versichert daß du dir diesen Genuß verschaffst wo er sich Dir darbietet. Ums Himmels willen mache mir nur kein ernsthaft Gesicht, mir wird ganz bange was ich wohl geschnackt haben mag. Du weißt doch wohl daß ich Dich gar nicht haben möchte wenn Dich das interessante gar nicht anzöge.  Vgl. Brief .
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Wenn Du auch noch viel jünger und hübscher wärest so könnte das wohl keinen Unterschied machen, denn nach eurer Beschreibung kann ja der Jüngste nicht leichter Feuer fangen – als Du, und daß du hübsch genug bist um  korr. v. Hg. aus: dasdaß Frauen sich in Dich verlieben können davon haben wir ja Exempel – – ganz kürzlich –

Ernst wenn ich es mir recht denke daß Du wircklich ganz mein bist so wird mir doch so zu Muthe daß ich nicht scherzen könnte. Siehe ich habe immer das Gefühl wie ich es Dir neulich sagte, als sei ich Dein aber als dürfe ich Dich nicht mein eigen nennen. Ach es ist sonst gar zu süß zu denken dein eigen. Mein süßer Ernst obgleich Du mir fast gar nicht ein Bischen liebkosest in Deinem Briefe so möchte ich es doch recht viel thun. Daß Du wieder krank warst  | 16v ist mir sehr fatal, nimm Dich um Gotteswillen vor starker Erkältung in Acht, es muß eine gar gefährliche Jahreszeit sein.  Vgl. Brief .
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Die  Lungenentzündung
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Brustfieber
grassiren noch immer hier, gestern ist wieder ein Knabe der in Schlichtkrulls Diensten war daran gestorben. Wenn Du von Deinen Predigten schreibst wird mir immer das Herz groß, hier gehe ich jezt gar nicht in die Kirche, der Kälte halber doch würde mich die schwerlich abhalten wenn ich Dich hören könnte.
Das ist mir nun doch ein so sicherer großer Genuß in Zukunft.

 Henriette Pauline Marianne von Willich
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Jettchens
undeutlich sprechen macht mir ordentlich Sorge ich kann so wenig dabei thun denn es ist ihr äußerst lästig wenn sie nachsprechen soll. Sie sagt alle Buchstaben rein aber an k(?) und r ist gar nicht zu denken. An Mühe und Aufmunterung will ich es nicht fehlen lassen aber ich fürchte es wird lange noch so bleiben.  Ehrenfried von Willich (d.J.)
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Friedle
spricht noch schlechter wie Jette aber ich glaube doch er wird sich schneller verbessern.

 Vgl. Brief .
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Was du mir über Lotte Schwarz schreibst
habe ich beßer gefunden hier niemanden auch  Luise von Willich
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Louisen
nicht, mitzutheilen, mich dünkt es ist beßer daß ich sie unbefangen in ihrer Theilnahme lasse. Mir ist es aber recht lieb daß ich weiß wie es mit ihr steht, sie jammert mich sehr wenn sie sich wircklich so von  | 17 Hasselbach geliebt glaubt wie sie es den ihrigen überredet hat, doch ist es sehr wohl möglich daß sie über alles ganz klar in sich ist, sie ist gewiß sehr klug.

Nun gute Nacht mein lieber trauter!

Ja fasse mich innig in Deine Arme – ruhe sanft wie ich es werde –

Mittwoch Morgen.

Eben habe ich mir Dein liebes Bild hier in den Saal gehangen, grade der Stelle gegen über wo ich immer sitze mit meinem Nähzeug. Die Frühsonne warf eben ihre Straalen darauf und verklärte es so herrlich, es ist mir schon öfter begegnet auch ohne den Sonnenglanz daß es mich ganz verklärt gedünkt  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich mit Jette sagen möchte so würdest Du aussehen wenn Du so aussähest. Du hast freilich erklärt daß Dir das zu hoch sei, ich kann  korr. aus Dir (oder umgekehrt)
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mir
aber nicht helfen. Es ist mir doch nur äußerst selten begegnet daß ich davor hintretend, Dich nicht gleich ganz darin erkannt haben sollte. Aber die Canaillerie die Du darin gesehen kann ich nicht entdecken.

Bei jedem Erscheinen der lieben herrlichen Sonne, erwacht lebendig in mir das Vorgefühl des Frühlings mit einer Freude die mir Thränen entlockt freue ich mich zu allem was er bringt, zu der lauen mit Düften erfüllten Luft die vor allem mich unbeschreiblich durchdringt, zu dem süßen Grün, den  | 17v lieblichen Vögeln, den unschuldigen Blumen. Aber indem ich eben aus dem Fenster den Ellenhohen Schne erblicke kommt es mir fast lächerlich vor daß ich so in die Frühlingsempfindung versinken konnte – Im Freien an Deiner Seite unsere  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe
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Kinderchens
an unserer Hand das ist mir auch ein gar zu reitzendes Bild!

Aber ich glaube immer gar zu viel was ganz unnöthig ist was sich alles von selbst versteht, wenn ich doch nur einmahl recht gründlich wüßte ob es dir nicht ein klein bischen langweilig ist –

Der Friedle war ganz außer sich als ich das Bild aus meiner Stube fortnahm, er weinte und rief überlaut „nein Mutter Vater da nicht, andre Stube.“ Manchen Kuß werfen die Kleinen Dir zu und rufen Dich mit dem süßen Vaternamen. Als  Sophie Schlichtkrull
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Sophie
es das erste mal hörte ward sie sehr bewegt doch scheint sie es nun schon ruhiger zu hören. Geschichten will Friedle auch schon immer von Dir wissen.  Louise ist offenbar zu entzückt von dem Jungen Du mußt Dir darnach kein Bild machen. Seine Augen sind noch immer nicht sehr sprechend, bloß freundlich. Für heute Adieu mein süßer Ernst –

Donnerstag Abend.

Wir haben heute sehr angstvolle Scenen gehabt und es sind saubere Anträge an mich gemacht süßer Ernst. Nun es vorbei ist ist es mir nur höchst lächerlich.  | 18 Ein betrunkener Franzose hat Sophien Louisen und mir von Mittag bis Abend Gesellschaft geleistet, wir merkten es gleich als er kam daß es nicht richtig sei, aber eben darum um ihn in guter Stimmung zu erhalten und in der Hoffnung daß er sich bald wegbegeben werde trug Sophie ihm nach besten Kräften auf und ich ließ mich in ganz freundliche Unterhaltung ein. Als er aber gar nicht gehen wollte, immer neue Forderungen machte und versicherte es gefiele ihm so gut daß er Nacht bleiben würde, fingen wir an uns recht ernsthaft zu ängstigen, denn Schlichtkrull ist in Stralsund und alle männliche Bediente waren auch vom Hause entfernt. Wir schickten zum Sergeanten der in der Nähe ist, er war schon fort als dieser kam, kam aber noch zwei mahl wieder heute Abend, doch ging alles ab ohne eigentlichen Lärm. Wie nun so etwas alles ängstlich auf dem Lande ist davon könnt ihr keine Idee haben.

Nun noch ein bischen beantworten aus Deinem Briefe.  Vgl. Brief .
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Das ist recht von Dir daß Du mir die interessante Frau gleich nennest.
Bleib immer dabei wenn Du von Leuten schreibst, es ist mir gar interessant durch Jette dann mit ihnen näher bekannt zu werden und es versezt mich wircklich recht lebendig in das dortige Leben. Lieber Ernst Du solltest es wirklich ganz lassen mich den Menschen vortheilhaft zu schildern, Du kannst doch falsch rechnen wenn Du denkst daß es mir nicht schaden wird. | 18v

Ach wie lange bin ich nicht in einer so niedlichen muthwilligen Stimmung gewesen wie Du bei deinem lezten Schreiben und wie Du es wohl oft bist – mir ist als könne ich mich kaum mehr darauf besinnen  korr. v. Hg. aus: dasdaß mir auch einst so war – – Es sind nicht die wircklichen Schmerzen und Leiden die das Recht haben auf ihre Stimmung zu wirken, es sind auch die kleinen Plagen des alltäglichen Lebens die ich gar zu schwer fühle so daß sie mich wircklich hinunter ziehn können, und ich früher im Stillen oft um mich sorgte ob nicht ein Theil meiner Freiheit untergehn würde in einem recht mühseeligen Leben wie ich es vor mir glaubte. Wenn ich so die Predigerfrauen hier auf dem Lande sehe wie das ein Plaken und Plagen in der Wirthschaft den ganzen langen lieben Tag ist, und wie die lezten Abendgedanken wie die am frühen Morgen darauf gerichtet sein müssen um alles im Kopf zu haben, so kann mich der Blick auf ein solches Leben ordentlich beklemmen. Freilich weiß ich hier auch keine die es treibt wie mich dünkt daß es getrieben werden müßte. Aber wie wenig würde es doch mir wohl gelungen sein dem Ideal das mir vorschwebt nahe zu kommen ich die ganz Unerfahrne, in allem Schülerhafte. Lotte Pistorius ist auch recht so eine die tief aufseufzt unter der Last. Ich weiß nicht wie es kömt daß ich mir gar nicht recht vorstellen kann wie ich jenen Druck in dem Leben mit Dir empfinden könte wenn das Äußere auch anders wäre wie es sein wird, aber meine Freude über  | 19 die außerordentlich einfache und wenig Zeit erfordernde Wirthschaft ist doch recht groß. Und eure Einrichtung des Abends mit dem bloßen Thee selbst wenn Leute da sind ist nun ganz unvergleichlich. Eine große in allen kleinen Zweigen schön und verständig eingerichtete Wirthschaft kann gewiß ein ordentliches Kunstwerck sein das keinem andern an Werth nachstehen darf aber mein Himmel wie viel muß sich da vereinigen, woran gar nicht zu denken ist in den meisten Verhältnissen und bei dem schlechten Gesinde us.w.

Die Reflexion von eben über die Langweiligkeit möchte ich nun gar gerne wiederhohlen –

Eine recht interessante Lectüre habe ich gestern Abend angefangen nehmlich  Friedrich Schleiermacher: „Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde“ (1800)
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Deine Briefe über Lucinde
; ich wußte auch so gar nichts mehr davon was darin stand und hatte schon so oft daran gedacht und gewünscht sie zu lesen und zu erfahren ob mir alles recht zusagen würde – ich konnte sie aber immer noch nicht erhalten weil der Mann der meine Bücher in Verwahrung hat, verreist war. Nun las ich gestern bis nach Mitternacht und trennte mich dann auch noch ungern –  Vgl. Brief .
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Auf unsrer  Charlotte Schleiermacher
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Lotte
ihren Brief den Du mir verheißen freue ich mich recht,
komt er nicht bald so schreibe ich wieder an sie.  Vgl. Brief .
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Nein Deine Frivolität ist hier auch noch gar nicht gekannt gewesen. Ich mache  | 19v mir eine ordentliche Lust daraus Sophien und Louisen so etwas vorzulesen und ergötze mich an den Mienen und den Ausrufungen.

Wie Deine schönen frohen Ahndungen auch mich wieder mit neuer Hoffnung beseelet haben wirst Du daraus schon geschlossen haben daß ich Dir diesmahl gar keine Unruhe aussprach. Dem ungeachtet ist es nicht gewiß ob nicht morgen ein kleiner Anfall wiederkehrt denn nichts gewisses ist es was Du mir giebst immer nur Deine Hoffnung – nie das beruhigende Wort daß entweder das Ganze aufgegeben oder daß auf deinem persönlichen Schicksal der Ausgang keinen Einfluß haben kann.

Erinnere  Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
an ihr Versprechen mir ordentlich zu schreiben,   Adelheid Reimer
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und grüße sie und Mine Reimer mit ihrem süßen Kinde.

Louise und Sophie grüßen Dich bestens, mir geht es jezt sehr gut mit der ersteren.  mit Einfügungszeichen am unteren Rand
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Sie hat unter Deinem Bilde einen Topf mit blühenden Schneeglocken gesezt und ich soll Dir sagen sie wären Dir geweiht ich glaube daß dies Nr. 6 ist, ich will ordentlicher werden wenn Du mich nur erst hineingeholfen hast.

Alle meine Liebe und Zärtlichkeit Dir meinem Herzens Ernst und Gottes Schutz und Seegen über Dich. Ganz Deine Jette.

Zitierhinweis

3050: Von Henriette von Willich. Poseritz, Dienstag, 24.1. bis Donnerstag, 26.1.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006879 (Stand: 26.7.2022)

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