Halle den 15ten Januar 09.

Ich habe mich gezwungen, theuerster Schleiermacher Ihnen nicht sogleich zu schreiben weil ich hofte es späterhin mit etwas mehr Ruhe zu können, am Ende haben Sie und ich aber dabei wenig gewonnen und ich weis nicht ob ich meinen jezigen Zustand einen bessern nennen soll. Ich wollte ich könnte noch immer so herzlich weinen und betrübt sein wie gleich Anfangs, das und die herzliche Theilnahme Rienäckers der alles wußte und auf dessen Verschwiegenheit gewis zu rechnen ist, haben mich sehr erleichtert, aber die unfertigen Zerstreuungen und Geschäfte versetzen mich in meinem Zustand für den ich keine Worte weis. Mir ist alles wie ein Traum, aus dem ich nur zuweilen schmerzlich erwache um mich durch Lesen  Vgl. Brief und Brief . [Schließen]Ihres Briefes wieder von der schreklichen Wirklichkeit zu überzeugen. Dabei sind mir die Arbeiten zuwider und langweilig, ich gehe aus und denke es soll besser werden und der Zwang den ich mir anthun muß macht es nur ärger; mir kommt es oft recht sündlich vor daß ich mir Mühe gebe den Gedanken der sich immer aufdrängt abzuweisen und ich möchte ihn nur immer ganz  | 41v lassen können, aber das ist eben das Unglük daß mir alles entkraft daran ermattet und ich mich dann in der bodenlosen Leere befinde. Ich wäre nicht halb so unglüklich hätte ich mich nicht so übermüthig einer geträumten Sicherheit ergeben, aber es war alles bei mir so ausgemacht daß ich manchmal lächeln mußte wie ich die Sache als Geheimnis behandelte, dafür bin ich nun hgg(?) kraft und kann niemanden als mich selbst und die höchst wunderbare einzige Verknüpfung von Umständen anklagen. Das ärgste ist daß ich mich überall verstellen muß und nun vollends dort wo mich alles an sie erinnert worin die Freundlichkeit der Mutter und  Charlotte von Müffling geb. Wucherer [Schließen] Schwester bei der erheuchelten Unpäßlichkeit die mir einigermaßen helfen müßte immer lebhafter zeigt wie lieb man mich dort hat und mir die herrlichen Stunden zurükruft die ich dort mit ihr verlebt, wo ich ihre Briefe anhören muß weil ich selbst oft danach gefragt, das ist wohl schwer lieber bester Schleiermacher. Tausendmal wünsche ich sie wäre hier und doch fürchte ich ihre Ankunft und weis nicht wie ich sie bestehen soll. Wie soll ich künftig mit ihr leben, Gott weis wie sich das lösen wird. Eins aber mein theuerster Freund muß ich von Ihnen erzwingen  | 42 das war der erste Gedanke den ich fassen konnte nachdem ich Ihren Brief gelesen, ich muß mit ihr sprechen sobald es nur irgend angeht, ich kann nicht mit ihr in einem unreinen halben Verhältnisse stehen, Sie muß mich ganz kennen, sie wird mir das Unvermeidliche tragen helfen und mir ihren Beistand oder wenigstens ihr Mitleid nicht versagen. Es ist keine eitle Hofnung die mich dazu treibt, denn ich kenne ihre Festigkeit nur zu gut, aber es ist zu viel daß ich auch gegen sie heucheln soll. Ueberdies sowenig ich das Geschwäz der Leute durch irgend eine Unvorsichtigkeit veranlaßt habe, so wenig weis ich was ich dabei thun kann, sie mag selbst bestimmen was ich ihr künftig sein soll. Lassen Sie mir den einzigen Trost, so wird und muß es Ihnen gern verziehen, wer weis ob es ihr nicht lieb ist doch einen Menschen zu haben mit dem sie sprechen darf. –   Vgl. Brief . [Schließen] Wie das Gerede in Berlin entstanden ist mag Gott wissen, ich habe nie eine Zeile über so etwas dahin geschrieben, am wenigstens aber würde ich Erman es geschrieben haben der seit Jahr und Tag erst vor vierzehn Tagen wieder einmal einen Brief von mir bekommen hat. Das einzige was mir wahrscheinlich ist ist daß von Villarét aus   Johann Karl Ludwig Gronau war Prediger an der reformierten Schlosskirche in Köpenick.  [Schließen]an einen ihrer  | 42v Vetter[,] Prediger in Köpnik und mein Freund[,] das ist geschrieben worden was die Leute hier glauben. Ich mache mir oft Vorwürfe so etwas veranlaßt zu haben, aber konnte ich es vermeiden? Die Leute sind ganz toll in diesem Punkt, wenn ich nur wüßte was ich in Beziehung auf Berlin deshalb thun sollte rathen Sie mir denn ich kann mir nicht helfen. Ich wollte ich könnte fort, denn alles was ich bisher gethan und gewünscht war ja das nur in   lies: Beziehung  [Schließen]Bezeihung auf sie, nun ist es mir nicht blos gleichgültig sondern selbst höchst zuwider. Wäre sie nur weniger verschlossen gegen  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny gegen Sie oder mich gewesen, was hätte sie mir nicht erspart: doch auch so muß ich noch dem Schicksal und Ihnen besonders danken daß ich doch wenigstens auf die für b(?) [...] beste Art zur traurigen Gewisheit gekommen bin. In welche Verlegenheit hätte ich sie sonst nicht gewis in kurzem gestürzt die mir nur das Unglük verdoppelt hätte. Fahren Sie fort mein theuerster Freund mir Ihren Beistand zu gewähren damit wie ich Sie mit ganzer Seele liebe ich Ihnen auch alles verdanke. Nächstens von andern Dingen, nur dies noch. Steffens Halskrankheit war den 12 und 13 auf das Höchste gestiegen, gestern Mittag hat sie sich gehoben, doch nicht so gänzlich daß er nicht noch eine Woche das Zimmer hüten müßte. Er schreibt Ihnen nächstens.

Blanc

Zitierhinweis

3040: Von Ludwig Gottfried Blanc. Halle, Sonntag, 15.1.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006869 (Stand: 26.7.2022)

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