Pos. d 8t. Jan. 9.

N. 34

 Vgl. Brief . [Schließen]Lieber theurer Mann laß Dich erbitten und sorge recht gründlich für Deine Gesundheit. Siehe wie Du ins Kränkeln hinein komst. Gehe doch nicht aus bei diesem rauhen Wetter, ich kann gar nicht anders glauben als daß Wärme Dir zuträglich sein würde. Es geht mir doch gar zu nahe daß du so viel leiden mußt. Ach und ich wäre so gern bei dir und pflegte Dich! Du nimmst Dich gewiß nicht ganz in Acht, Vgl. Brief . [Schließen] wie kannst du nur Spickgans essen bei so viel Colique. Und dann süßer Ernst daß Du Dich so erstaunlich angreifst immer zu wiederstehn – daß Du dich nicht zu Bette legst wenn Dir darnach zu Muthe ist. So sehr ich Dich bewundere so bitte ich Dich doch recht thue auch hierin nicht zuviel erprobt hast du es ja wie Du alles vermagst, warum willst Du aber in solchen Wiederstreben beharren das deine Kräfte aufreiben kann. Süßer Ernst noch einmahl laß dich erbitten medicinire recht gründlich und nimm dabei die Acht wie sichs gehört. Ach gäbest Du mir bald bessere Nachricht!

Sehne Dich nur auch ein bischen mich bei Dir zu haben und nicht allein aus Eitelkeit und denke nur daß ich ganz leidlich dabei sein werde wenn Du krank bist und gar nicht gefährlich und hablich wie wir Rügener sagen. Süßes Herz werde mir nicht ordentlich krank.  | 2v Unser  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Friedle kriegt den ersten Augenzahn, er ist nur selten leidend, im ganzen recht gesund dabei und fröhlich. Der Junge macht mich oft so müd mit seinem tanzen daß ich nicht mehr kann, er fängt an so taktmäßig zu hopsen daß es eine Lust ist.

Er hat mehr Trieb zum lernen als  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette , diese ist gar nicht festzuhalten sie springt gleich ab, schalkhaft indem sie alles zum Spaß macht, ich habe noch nichts rechtes mit ihr beginnen können. Ich glaube Friedchen könnte schon die Buchstaben lernen wenn man sich die Mühe machen wollte.  Vgl. Brief . [Schließen]Du sagtest mir einmahl ich sollte Jettchen zuerst die Vocale lehren, hernach die Consonanten mit jenen zusammengesezt, ich verstehe das so  Vom Hg. korrigiert. nicht nicht. Ich habe mich hier bei Bekannten erkundigt nach der Pestalozzischen Art lesen zu lehren aber keine Auskunft darüber erhalten können. Ich dachte mir es würde dasselbe sein was Du meinst. Die Hane aus Sagard hat mir besonders aufgetragen Dich zu bitten um genauere Erklärung denn sie hat schon lange nach Belehrung über diesen Punkte geschmachtet.

Noch habe ich Dir nicht geklagt was mir doch erstaunlich nahe geht.  Sachanmerkung:

Ich ... haben sollen.] 
Schleiermacher beklagt sich in Brief , der verzögerte Brief ging erst am 6.1.1809 ein.

Lotte] Charlotte Schleiermacher
 [Schließen]
Ich habe aus Deinem Briefe gesehn daß du einen von mir mit Einlage an Deine Schwester Lotte der auch Briefe von Dir enthielt, nicht erhalten hast. Du antwortest mir  | 3 auf einen späteren, und beklagst Dich in zwei Posttagen nichts von mir gehabt zu haben da ich doch gewiß weiß daß du diesen Brief hättest am lezten Posttage da du keinen hattest, haben sollen.
  Welch ein unersezlicher Verlust wäre es mit Deinen lieben Briefen! ich hoffe noch er wird nachgekommen sein. Es würde mir schrecklich fatal sein wenn die lieben Briefe aus meiner schönen Samlung fehlen sollten.

 Vgl. Brief . [Schließen]Wie wunderlich sprichst Du doch über die Zeichnung sei nur ja damit ausgesöhnt daß du sie mir geschickt hast – ich habe das liebe Gesicht auch mit allen Canaillerien in dem mannigfachsten Ausdrucke in mir und viel zärtlicher als das Bild ist aber es ist doch etwas ganz eignes so auf einmahl vor ein wirckliches Bild hinzutreten. – Diese stille Gegenwart – oft so belebend so reinigend – nein ich danke Dir von ganzem Herzen  korr. v. Hg. aus: dasdaß Du mir es gabst. Ich kann es nur gar nicht so viel sehen als ich möchte denn es hängt in meinem Schlafzimmer wo es ganz kalt ist, ich habe schon darauf gedacht es im Saal zu hängen, aber da sehen es mir nur zu viel Leute. Wenn ich Dich habe wird es mir freilich das nicht mehr sein können wie jezt, aber denke nur wenn es dauerhaft ist und das ist es doch wohl wie schön es den lieben Kindern zu lassen. In diesem Gedanken könnte ich auch ordentlich wünschen daß ich gezeichnet wäre  | 3v so wenig oder gar nichts ich auch weiter an meinem Gesicht finde. Aber mich dünkt alle Eltern sollten sich für ihre Kinder mahlen lassen, vielleicht ist mir diese Idee nur so wichtig daher weil ich so früh meine Eltern verlohren und mich so oft nach einem deutlichen Bilde ihres Äußern und Innern gesehnt habe. Eben so dünkt mich auch sollte Jeder ein Bild seines Innern zurücklaßen.

Wie schön müßte es sein so in seine Familie zu dringen bis auf Urgroßvater hinaus – durch die die uns das Leben gaben uns selbst noch richtiger zu erkennen

Sehr lächerlich ist es daß mein Tagewerck daraus besteht den Kindern die Nase zu wischen – und

dein Leiermann im Ornat hat mir auch viel Spaß gemacht.

Mein lieber süßer Ehemann sollst auch schon etwas unter dem Pantoffel kommen.

Vgl. Brief .

 Vgl. Brief . [Schließen]Dein Gefühl bei der Feuersbrunst kann ich recht folgen, ich habe sie öfter in der Stadt und als Kind auf dem Lande erlebt, und sehr aufregend hat sie auf mich gewirckt – meine Phantasie sehr in Bewegung gesezt, aber so rein von Angst und von Mitleiden ist mein Ergötzen daran nicht gewesen. In der Nähe habe ich das Feuer nie gesehen, wohl Lust gehabt aber man hat es mir nicht erlauben wollen. Grade das Bild ein Kind aus den Flammen zu retten hat mir oft vorgeschwebt – | 4

Ich traue mir in solchen Fällen viel Stärke und Geistesgegenwart zu aber geprüft bin ich freilich auch noch gar nicht. – Ach süßer Ernst du schreibst auch wieder gar zu herrlich und hast immer so schönes Vertrauen zu mir es ist auch unbeschreiblich wie dein Muth und deine große Gesinnung mich mit sich fortzieht. Ja ich kann mir ganz vorstellen wie es ein wahrer Genuß sein kann etwas großes verhängnißvolles mit ein ander zu tragen siehe aber ich bin doch so kindisch dabei ich muß immer durchhin den sicher guten Ausgang das gute Ende sehen bei allem. Ich muß immer Ausnahmen machen wie z.B. wenn die Stürme dieser Zeit Dich könnten eine Zeitlang von mir wegführen so wüßte ich gar nicht mich darüber zu erheben und dies ist grade etwas was mir öfter vorschwebt, ich glaube ich habe Dir schon in jenem Briefe davon gesprochen. Sage, könnte nicht im Fall des Mißlingens, des Verraths, Dich das treffen? eine Entfernung die auf lange Zeit vielleicht außer Stand Dich sezte unsere Verbindung zu vollziehen? – – Du hast öfter mit mir von deinem Tode gesprochen ich weiß nicht was ich Dir darüber gesagt, ich habe aber noch öfter daran gedacht nachher ich kann aber so ganz und gar nicht eingehen in den Gedanken, so gar nicht auf die Weise wie Du es mir zutrauest, es hat sich so mit mir geändert. Du weißt wie ich über den Tod fühlte als ich Ehrenfried verlohren wie gar nicht schauderhaft  | 4v und dunkel er mir war, sondern ganz Bricht mitten im Satz ab. [Schließen]

Montag Morgen.

Ich wollte noch viel plaudern gestern Abend als Friedchen aufwachte und durchaus nicht einschlafen wollte, so daß ich nur  lies: mich [Schließen]ich zu Bette legen mußte und ihn zu mir nehmen. Ich wollte Dir noch sagen wie mir der Tod jezt so unbeschreiblich dunkel und schauderhaft ist und ich gar nicht anders als mit einem schmerzlichen Gefühl daran denken kann daß einst dein süßes Leben aufhören wird – daß geliebte Freunde von uns scheiden werden – Doch besonders kann ich es gar nicht recht ertragen Dich todt zu denken, es ist gar nicht in Rücksicht auf mich denn es fällt mir niemals ein daß ich Dich überleben sollte, ich fürchte das wircklich nicht bin ich gleich viel jünger. Aber du lebst gar zu herrlich und der Tod ist gar zu dunkel – ach ich habe das Leben lieb gewonnen wie ich es noch nie hatte – aber ich weiß dennoch wohl daß das herrliche Leben grade auch mich  lies: hinführen [Schließen]hinführend wird zur schönen Freude an den Tod – ach an Deiner Seite ich reifen werde zur höhern Stufe des Lebens – Süßer Ernst ich muß aufhören wie gern ich auch noch manches mit Dir redete.

Schlichtkrulls wollen eben nach Sagard reisen.   | 5  Luise von Willich [Schließen] Louise bleibt bei mir und den Kindern . Von Allen die herzlichsten Grüße, Louise läßt Dich fragen wie weit, bei welchem Gesange in der  Gemeint ist die „Odyssee“ [Schließen] Odüßee du eben seiest, wir lesen sie auch zusammen und erfreuen uns innig des holden Dichters.

Süßer Ernst ach ja drücke mich nur recht fest an Deine Brust, so sehe ich in das Leben hinein voll der schönsten Hoffnungen, voll Rührung voll tiefer Demuth – Sage mir bald wieder von Dir und sage es mir auch ob du mich noch so außerordentlich lieb hast. Liebes Leben leb wohl.

Grüße unsere  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny Ganz Deine Jette.

ach sei mir bald beßer ganz  oder: beßer [Schließen]bester

Zitierhinweis

3033: Von Henriette von Willich. Poseritz, Sonntag, 8.1. bis Montag, 9.1.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006862 (Stand: 26.7.2022)

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