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O süßer Ernst! welche Freude hast Du mir gemacht! welch einen Schatz, welch Kleinod habe ich nun in Händen! Mann meines Herzens – süßer theurer lieber Mann ich kann dir gar nichts sagen – aber es ist unendlich wie Du mich reich gemacht! Immer möchte ich nur die lieben Züge sehen – ganz im anschauen versinken – und dann gewinnen sie ein Leben daß ich hinstürzen möchte und es mit Küssen bedecken und es an mein Herz pressen, das so wonnevoll und so wehmüthig zugleich bewegt ist – Ernst wie bist Du schön! ja der Mahler hat wohl recht daß dein Mund schön ist aber nicht hintenan stehen dürfen wahrlich Deine Augen und Deine Stirn um die etwas recht verklärtes schwebt. Ach süßer Ernst wer weiß wie oft Dein liebes Bild mich noch trösten muß – wie oft ich noch mit thränenvollem Blick davor hintreten werde. Es wird es immer thun was auch mein Herz drücke – es wird mich immer mit Seeligkeit erfüllen denn lebendig vergegenwärtigen wird es mir daß du mein bist – daß du dich mir gegeben in ganzer unsterblicher Liebe – Morgens und Abends wird es mein Gebet sein andächtig | 100v davor zu stehen. Hätte ich es doch jezt hier! aber denke Dir nur daß ich es in Götemitz lassen muste. Ich hatte beide  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe
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Kinder
konnte es also nicht sicher genug mitführen. Unsere  Henriette Herz
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Jette
will es mir nun selbst bringen. Wir finden es ganz erstaunlich ähnlich – und auf so schöne Weise ähnlich. Aber es drückt ganz besonders eine gewisse Stimmung des Gemüthes aus – unbeschreiblicher Ernst – Tiefe des Schmerzes, ohne daß er rege ist, er drückt sich selbst in der schönen Ruhe aus die über das Ganze verbreitet ist – es hat etwas sehr rührendes. Hätte ich das liebe Bild hier wollte ich es dir schon deutlicher sagen und noch mehreres. Aber du böser Mensch daß du mich so hintergehn wolltest, du hattest es mir wircklich ganz ausgeredet, Vgl. Brief .
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aber dein leztes Blättchen vom 18ten kam doch früher in meine Hände worin du sagst ich hätte nun die Zeichnung schon.
Wir fuhren gleich darauf nach Götemitz ich war sehr voll Erwartung es ließ sich aber nichts verlauten. Jetten vertraute ich meine Hoffnung, sie that gar zu unschuldig so daß ich wieder halb zweifelhaft wurde – da brachte mir  Henriette Pauline Marianne von Willich
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Henriette
nach einer Stunde als Genius gekleidet die herrliche Weinachtsgabe – Wie danke ich Dir auch für | 100a die andern lieben Sachen den hübschen Kamm und die Spielsachen und Näschereien für die Kinder. Du glaubst nicht wie die Kleinen Dich immer im Munde führen. Ich würde noch viel mehr mit den Kindern von Dir reden und Dich ihnen nie anders als Vater nennen – aber ich fürchte wircklich  Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich
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Sophiens und Louisens
Wehmuth. Ich nenne Dich ihnen nur so wenn ich allein mit ihnen bin. Die Puppe macht Jette ganz glücklich sie läßt sie gar nicht aus ihren Armen und den Jungen erfreut das Kegelspiel besonders –  Schleiermacher kündigte ein historisches Buch an, vgl. Brief .
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Süßer Ernst wie sind meine Bücher schön; ich dachte wohl daß es der Herodot sein würde, ich habe recht viel davon gehört, kenne ihn aber noch gar nicht.

Lieber Ernst mein Geschenk an Dich komt mir nun so nichtswürdig vor daß mir ganz fatal dabei zu Muthe ist. Wie wäre es mir süß könnte ich etwas für Dich arbeiten. Aber es ist rein unmöglich für mich mir so liebe Beschäftigung zu machen.   Die Schilderung des Weinachtsabend denke ich erhältst du wohl aus Götemitz. Recht hübsch war es nicht – und der Geist der Heiterkeit und Freude fehlte doch gar sehr – Mir war das Herz sehr gepreßt,  Vgl. Brief und die etwas ausführlichere Schilderung der politischen Lage in Brief .
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Dein leztes Blättchen | 100av hatte mich sehr erschüttert.
Jette merckte mir was an, aber ich wollte ihr nicht davon reden ehe ich wußte daß du ihr dasselbe mitgetheilt wie mir – obschon ich gar nicht daran zweifelte. Ich blieb die Nacht in Götemitz und erst am Morgen gab Jette mir ihre lezten Briefe von Dir, woraus ich sah daß Du ihr freilich Deine sorglichen Empfindungen nicht so ausgesprochen wie mir, ihr aber den gefährlichen Zustand der Dinge nicht verhelt hast. Da versprach ich ihr auch meinen lezten Brief ihr heute zu geben. Heute Nachmittag erwarten wir sie.

 Vgl. Brief .
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Siehe mein theurer Ernst ich kann es mir gar nicht denken aber wenn es dennoch sollte möglich sein daß du mir einmahl etwas vertrautest was auch keine Seele wissen solle,
so müßtest du es mir ausdrücklich sagen wenn auch Jette damit eingeschlossen wäre, denn ich bin es so gewohnt sie in alles was Dich angeht so ganz eingeweiht zu betrachten. Es ist eigentlich ganz überflüßig daß ich das sage, denn ich weiß ja daß sie dir eben so innig angehört nur auf andere Weise als ich.

Eben höre ich daß es die höchste Zeit ist den Brief auf die Post zu schicken – ich kann nur nicht heute an  Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
schreiben was ich so gern wollte. Danke ihr für heute im Nahmen sehr herzlich

Zitierhinweis

3013: Von Henriette von Willich. Poseritz, um den 26. 12. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006842 (Stand: 26.7.2022)

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