Mittwoch d 14t. Decemb. 8.

No 27.

 Vgl. Schleiermachers Brief und Henriettes Brief und Brief . [Schließen]Neulich meine einzige Jette mußte ich mitten im Antworten abbrechen um den Brief nur  über den ursprünglichen Text geschriebennun fortzubekommen, und nun habe ich seitdem schon zwei Briefe von Dir den einen am Freitag den andern am Sonntag Abend bekommen. Du bist jezt ganz golden mit Schreiben und Du glaubst nicht was für Freude Du mir immer damit machst. Wie Du so ganz an mir hängst liebe süße Jette, wie Du mir so ganz vertraust für Dich und für die  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kinder ich kann es gar nicht oft genug hören, es erfüllt mich immer mit neuer Lust und Freude und inniger Dankbarkeit gegen Gott

Wenn ich Dich nun nur erst hier hätte und jeden Augenblik der Freude und des Schmerzens mit Dir theilen könnte, und mich immer an Deine Brust retten! ich bedürfte es jezt recht. Ja meine gute Jette es giebt jezt Augenblikke in denen ich mich auf eine Weise nach Dir sehne wie es bisher noch nicht der Fall war, nemlich um meinen Kummer und meine Sorgen bei Dir auszuschütten. Es drükt mich vieles recht schwer nicht in meinen nächsten Verhältnissen sondern in den allgemeinen Angelegenheiten. Unser guter König hat sich überraschen lassen von einer elenden Parthei und sich zu einem Schritt verführen der alles aus dem sichern Gang in den es eingeleitet war wieder herausbringt. Es stehn zwar noch immer trefliche Männer an der Spize aber wer weiß wie lange sie sich werden halten können gegen die Schlechten die den König aufs neue bestrikt haben und so kann es sein daß das Vaterland zum zweitenmal an den Rand des Verderbens geführt wird wenn nicht die besseren es durch Maaßregeln zu retten suchen welche immer auch sehr mißlich bleiben . Ich kann Dir schriftlich nichts ausführlicheres mittheilen selbst wenn auf die vollkommenste Sicherheit zu rechnen wäre aber sagen mußte ich Dir im allgemeinen was mir das Herz drükt. Diese Gedanken nehmen seit einigen Tagen fast alle meine Zeit ja auch wenn ich Morgens und Abends in meinem Bette mit mir  über den ursprünglichen Text geschriebenDir allein bin thue ich wenig andres als Dir klagen. Alle meine Arbeiten sind mir gestört und unwillkührlich muß ich sie immer unterbrechen | 63v um dem Zustande der Dinge und den möglichen Hülfsmitteln nachzusinnen. So erscheine ich mir nun äußerlich ganz träge und untauglich weil ich wirklich gar nichts vollbringe; die Kanzel und das Katheder sind die einzigen Orte wo ich ordentlich thue was sich gehört. Dennoch halte ich die Zeit nicht für verloren sondern hoffe es soll sich mit der Zeit aus diesem Sinnen eine sichere Ansicht und vielleicht eine bestimmte und feste Thätigkeit entwikkeln. Denke Dir es nun nur nicht zu arg meine Herzensgeliebte. Niemals hoffe ich steht Dir das Leiden bevor mich heruntergebracht und niedergedrükt zu sehn; ich denke das wäre das ärgste was Dich treffen könnte weil es Deine Achtung vermindern müßte für mich, und die hoffe ich mir festzuhalten für ewig. Auch diese Sorge und dieser Schmerz hat keinen muthlosen Charakter in mir vielmehr bin ich im höchsten Grade aufgeregt und erscheine nicht nur überall frisch und munter sondern bin es auch wirklich. Und wenn ich mich erst mit Dir aussprechen könnte, gewiß ich würde immer noch mehr Muth finden in Deinem Anblikk und Deiner Theilnahme. Du siehst liebste Jette wie es gar nicht möglich ist daß ich jemals sollte ein Geheimniß vor Dir haben können. Es ist mir so wesentlich daß Du nun alles weißt was in mir vorgeht und was mich bewegt, und die Armen die sich genöthiget fühlen Ihren Frauen vieles zu verschweigen kann ich nicht anders als herzlich bedauern und doch immer fühlen daß sie nicht in einer wahren Ehe leben. So ist es auch eine Thorheit daß man nicht auf die Verschwiegenheit der Frauen rechnen kann; ich rechne mit der größten Sicherheit auf die Deinige überall wo ich sie Dir empfehlen werde, und ich bin ganz fest überzeugt daß keine Furcht dir sollte das  über den ursprünglichen Text geschriebenein Geheimniß ablokken können was ich Dir anvertraut habe. Aber eben weil ich Dir so muß alles mittheilen und vertrauen können, muß ich auch eine so brave starke kräftige Frau haben wie Du bist, ohne Weichlichkeit. So müssen aber auch deutsche Frauen sein und so sind die besten immer gewesen. Darum kann ich aber auch recht verstehn wie Du unter den weichlichen Schwestern dastehst. Weißt Du nicht wie ich von Anfang unserer Bekanntschaft an Deinen Muth und Deine Kräftigkeit geliebt habe. Sieh so kann ich auch es recht mit Dir theilen und in meinem innersten Herzen nichts dagegen haben daß die Bitterkeit Deines Schmerzes um  der verstorbene Ehemann Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried ganz aufgegangen ist in der Freude und Lust des neuen Lebens. Desto | 64 reiner und heiterer lebt sein Bild in dir und in mir. Und wenn ich früher sterbe als Du und Du denselben Schmerz noch einmal zu fühlen hast soll er Dich auch nicht weichlich übermannen und unser ganzes Leben – ja ja süßeste Jette möge es nur recht lang sein – soll Dir soviel Lust und Freude gegründet haben daß die Bitterkeit sich darin von selbst verzehrt und ich auf eine frohe und heitere Weise in deinem Herzen und Leben fortlebe. Das habe ich aber auch so unendlich an Dir geliebt und Du bist mir dabei recht als die Tochter meines Herzens erschienen daß du so ruhig und heiter warst auch in Deiner Schmerzenszeit. Ach Du herrliche Geliebte Du süße Braut wie sehne ich mich danach Dich nur erst ganz zu haben, in dem würdigsten und schönsten Leben mit Dir vereint zu sein. Nun die Zeit wird kommen. Gott helfe uns nur daß wir bis dahin noch recht viel von dem ausrichten können was geschehen muß, und daß ich Dich gleich in ein ruhiges und sicheres Haus einführen kann, wiewol ich auch das Gegentheil gewiß nicht scheuen werde.

Abends. Wenn ich mich mit Dir vergleiche einzige Jette so bin ich jezt ganz schlecht im Schreiben und muß mich recht daran halten daß du es auf keine Weise übel empfinden willst, weder ängstlich noch unzufrieden wenn die Briefe einmal ausbleiben. Schon wieder habe ich den Sonntagsposttag überschlagen müssen. Zum Theil kommt es daher daß ich predigen mußte und Communion halten.  Sachanmerkung:

Ich ... Weihnachtsgeschenk ansehn.] 
Vgl. Brief .

Jette] Henriette Herz
 [Schließen]
Ich hatte wirklich darauf gerechnet dir nach der Kirche noch ein Blättchen zu schreiben aber ich hatte etwas an Lotte Kathen zu schikken was sie unserer Jette zu Weihnachten schenken will und weil ich fürchtete es möchte zu spät kommen wenn es in Stralsund etwa auf den Postboten warten müßte so habe ich es an die Kummerow adressirt um es nöthigenfalls gradezu nach Götemiz zu schikken. Ich habe Dein Stammbuch und auch Dein Geschichtsbuch mit hineingepakt und so wirst du beides wahrscheinlich auch zu Weihnachten erhalten und kannst es als mein Weihnachtsgeschenk ansehn.
Es ist mir recht fatal daß meine Kasse grade jezt in so schlechten Umständen ist daß ich sonst nichts als Näschereien für die Kinder, Dich großes Töchterchen mit eingerechnet, habe abschikken können.  Vgl. Brief . [Schließen]Und dabei ist mir noch das fatale begegnet die Pfefferkuchen auf die Du die Kinder besonders vertröstet zu haben scheinst zu vergessen. Allein die Art durch welche sich Berlin besonders aus | 64vzeichnet am Weihnachtsmarkt war noch nicht zu haben. Nimm nun daraus ab wie ökonomisch ich bin. Ich hätte mir können Geld geben lassen von Reimer zu Geschenken aber ich habe mir fest vorgenommen jezt so wenig als möglich aufzunehmen um im Frühjahr desto weniger in Verlegenheit zu kommen. Daß mir nichts hübsch genug ist liebste Jette damit hängt es doch eigentlich nur so zusammen daß wenn etwas im Einzelnen angeschaft wird dann gewöhnlich wenig wahrer Gewinn dabei ist wenn man es schlechter nimmt um es etwas wohlfeiler zu haben. So konnte ich bis jezt rechnen weil ich mit dem Anschaffen immer warten konnte bis eben Geld genug vorhanden war. Wenn aber das Anschaffen ein stehender Artikel wird oder so in Masse kommt dann ist es mir doch auch sehr natürlich mich nach der Dekke zu strekken. Ueberhaupt aber ist es doch meine Maxime daß auf hübsche Form und auf große Reinlichkeit mehr ankommt als auf Kostbarkeit des Materials.  Bei dem Geschichtsbuch, dass Schleiermacher senden will, handelt es sich um Herodot, vgl. Brief.  [Schließen]Zu der Wahl Deines Geschichtbuchs über die ich wirklich lange in Verlegenheit war hat mich eine sehr lebhafte Aeußerung von Dir über Deine Theilnahme am Alterthum bestimmt. Wenn Du nun nur nicht das Buch schon hast! Es ist das älteste Geschichtsbuch des Alterthums und wird Dir gewiß um so lieber werden je mehr Du es liesest, ja ich rechne darauf daß wir manches wenigstens daraus noch wieder zusammen lesen. Eine Karte wird dir freilich dabei fehlen und du wirst keine genaue Vorstellung von der Lage der Länder gegen einander bekommen aber das ist doch nur eine Nebensache und das wollen wir hier nachholen. Ueberhaupt wollen wir noch recht viel im Alterthum leben das ja uns Deutschen näher getreten ist als irgend einem andern Volke. Gestaltet sich die bürgerliche Welt um uns her schön, wie ich noch vor kurzem lebhafter hofte als jezt, so ist dann die Vergleichung desto herrlicher. Gestaltet sie sich nicht so ist die Betrachtung des Alterthums der schönste kräftigste Trost. Dabei fällt mir ja ein daß Du ja anfänglich mit Ehrenfried den Plato lasest. Wie weit bist du denn damit gekommen?  Band 2,3, 1809 erschienen [Schließen] In dem Bande der jezt erscheinen wird ist der Phädon etwas gar herrliches, und recht auch für Dein grübelndes Wesen gemacht. Ich weiß nicht ob Du dabei warst als ich in Götemiz den Anfang vorlas auf Jettens Stube . Diese köstliche Arbeit wird mich noch lange durch unser gemeinschaftliches Leben begleiten. Am Phädon übersezte ich in der Zeit als Du mein wurdest, und wer weiß was sich schönes ereignet während ich an der Republik arbeite oder am Timäos .

Nun will ich wieder ein wenig antworten; denn ich war | 65 neulich noch lange nicht fertig. Viel wird es heute nicht mehr werden denn das Zimmer wird schon ganz kalt und der Frost wird mich bald zu Bette treiben. Wir haben hier seit einigen Tagen eine fürchterliche Kälte und da wir mehrere Abende nicht zu Hause gewesen sind waren die Zimmer heute gar nicht auszuwärmen. Vgl. Brief . [Schließen] Nur schelten will ich noch ein wenig über Dich daß Du Dir selbst so gewaltig Unrecht thust. Du könntest nicht liebkosen in Briefen? Einzige Jette Deine Andacht und Deine Zärtlichkeit und die innige Verbindung von Beiden die das herrlichste ist in der Welt wohnen so zauberisch in deinen lieben süßen Worten daß ich es manchmal nicht aushalten kann, und daß ich immer denken muß so könnte Dir doch nicht zu Muthe sein wenn du meine Briefe liesest. Ueberhaupt sind ja die Weiber die eigentlichen Briefschreiberinnen und wir Männer sind nur Stümper. Und nun gar Liebe schreiben das kann kein Mann so wie Ihr es könnt, und wie wenige Weiber mögen es wol so können wie Du, so rein so tief so kräftig so süß. Es ist doch über alle Maßen herrlich daß Du so ganz mein bist, und ich fühle es immer inniger wie recht wie wesentlich wir zusamen gehören, wie Du die einzige für mich warst und wie auch Dich kein Lebender so ganz verstehn und genießen könnte wie ich, ja auch hinter Ehrenfried selbst, ihn der Dich zuerst fand und erkannte möchte ich mich nicht stellen. Jezt ist Caroline Wucherer hier. Jette kann Dir sagen wie mehrere meiner liebsten Freundinnen uns für einander bestimmt halten. Es ist gar ein herrliches Mädchen ein liebes schönes Gemüth, und wenn ich je ein Mädchen hätte lieben können und nicht zeitig geahndet hätte daß sie anderswo liebte – so nahe hat mir nie eine gestanden als dieses holde Geschöpf. Ich bin nun noch weit unbefangener mit ihr als je, weil sie nun weiß daß ich um ihre Liebe weiß, und weil sie auch um Dich weiß und also jede Möglichkeit verschwunden ist daß sie glauben könnte ich machte Ansprüche an S  über den ursprünglichen Text geschriebensie . In dieser Unbefangenheit habe ich mir nun ordentlich Mühe gegeben mich in den Fall hinein zu denken als liebten wir einander; aber es wollte doch gar keinen Fortgang haben, ich konnte mich in keinen zärtlichen Auftritt mit ihr hinein fantasiren, und kurz du bist es allein. Glaube es meiner immer steigenden Sehnsucht und meinen Blikken die durch deine herrliche Augen tief in Dein Herz dringen, und den Küssen in denen wir unsere Seelen vertauschen und dem süßen heiligen Schweigen in dem ich mich an Deine Brust lehne von Deinen Armen umschlungen und Dein liebes Herz schlagen höre und der Mühe mit der ich jedes mal mich von Dir losmache und noch recht viel Seligkeit einsauge in einem lezten Blikk und einem lezten Kuß. – Wie ist es denn? folgst Du auch und sorgst dafür hübsch ungestört und gründlich zu schlafen. Einzige Jette pflege doch ja deine Gesundheit und deine Jugend es sind ja beides die meinigen! und versäume nicht über den Kindern den Vater. Du schläfst schon hoffe ich meine süße, und ich küße dich so leise daß du nicht erwachst. | 65v

Donnerstag.  Luise von Willich, vgl. Brief . [Schließen] Warum Luise Dir den lezten Brief nicht gezeigt hat verstehe ich nicht.  Vgl. Brief und Brief . [Schließen]Ich hatte ihr so recht frisch und tüchtig zugeredet sich über ihr Verhältniß zu mir und zu Dir recht zu verstehen, und weder Forderungen zu machen die in der Unmöglichkeit liegen noch unnüze Bedenklichkeiten zu haben. Sie scheint auch darin eingegangen zu sein denn sie hat mir zwar kurz aber doch ganz ruhig und klar darauf geantwortet. Wenn irgend möglich schreibe ich ihr heute noch ein Zettelchen; Vgl. Brief und Brief . [Schließen] ich habe zweie von ihr, eins für meinen Geburtstag und eins an meinem Geburtstage geschrieben.  Vgl. Brief. [Schließen]Ihr wollt nun ich solle an die Vormünder schreiben. Ich hätte gern noch gewartet bis die officielle Entscheidung gekommen wäre wegen der Universität; aber freilich ist es etwas unsicher. Sie kann jeden Posttag kommen, sie kann aber auch ausbleiben bis zur Rükkunft des Königs. Nur sehe ich nicht ein, wenn das nicht abgewartet werden soll, warum es nicht schon eher geschehen ist. Indeß will ich auch folgen und nächsten Posttag beiden zugleich schreiben, was heute doch schwerlich noch angeht. –  Vgl. Brief . [Schließen] Das thut mir recht leid daß ich durch Erwähnung jener Zeichnung Dir ein Verlangen nach einem Bilde von mir erregt habe was ich nun nicht mehr zu befriedigen weiß. Es war mir wol ein Paarmal eingefallen aber ich dachte weil Dir die Zeit bis wir uns haben so sehr kurz vorkommt möchtest Du mich am Ende zwar nicht auslachen wenn ich Dir ein Bild schikte, aber doch Deine Freude daran nicht die 4 bis 5 halben Vormittage aufwiegen die ich wieder hätte sizen müssen. Und wenn ich mich nun für Dich hätte zeichnen lassen und es wäre nicht recht ähnlich geworden so hätte ich mich nur sehr geärgert. – Ja wohl hast du Recht daß es ein unersezlicher Verlust ist wenn die Fröhlichkeit so ganz verloren geht. Uns soll sie das gewiß nicht. Ich kann mir manchmal allerlei Trübsal denken die uns treffen könnten, bittere Schmerzen zwischen durch aber doch habe ich das sichere Gefühl daß wir uns die Heiterkeit und Schöne des Lebens sicher erhalten,  Vgl. Brief . [Schließen]und wie Du mir schreibst daß Du in Deiner Kindheit in der frommen Stimmung des Gemüthes eben so gern die Weissagung eines schmerzenreichen Lebens hingenommen hättest als eines glüklichen, so sehe auch ich jezt von unserer frommen heiteren Liebe recht durchdrungen eben so froh und frei in ein verhängnißvolles Leben hinein denn trübe und düster wird es doch nie sein. Muth und Lust und ein glükliches Bewußtsein werden uns nie verlassen.  Sachanmerkung:

Aber ... recht so.] 
Vgl. Brief.

Philippine] Philippine Schwarz, geb. Ha(h)ne

Sie] lies: sie
 [Schließen]
Aber Schwarzens mögen wol dieses schöne Loos nicht gezogen haben. Philippine ist in ihrem Wesen mehr heftig, großer Abwechselung in der Stimmung fähig als einer gleichermäßigen Heiterkeit fähig, und ich kann mir recht gut denken, daß die lezte Periode einen Stachel in ihr zurükgelassen hat der sich nun nicht herausziehen läßt und der sie noch lange schmerzen wird, eben weil die klare Kraft | 66 der Liebe in Theodors Verfahren nicht recht rein erscheint. So soll nun auch unserer guten Lotte Kathen dieses schönste Glükk nicht zu Theil werden: aber ich tröste mich bei ihr leichter darüber und wenn ich sie nur gesund sehe und nicht unter der Last kleinlicher Geschäfte erliegend, so macht mich das übrige eben nicht niedergeschlagen oder wemüthig. Es scheint mir recht zu ihr zu gehören daß Sie sich ihrer Kraft in einem solchen kleinen Kampf bewußt werde. Recht deutlich kann ich mich drüber nicht machen; aber es afficirt mich weniger unangenehm als euch. Ich habe ihr das noch neulich gesagt und sie hat gemeint es wäre recht so.
 Vgl. Brief. [Schließen] Deine Schwester Luise grüße mir doch auch recht herzlich und sage ihr es freute mich sehr wenn ihr etwas schwesterlich gegen mich zu Muthe wäre; mir sei immer ganz brüderlich gegen sie gewesen aber es habe doch nicht recht herausgedurft damals. Nun weiß ich nicht wo wir uns zuerst wieder sehn werden ob dort oder hier. Auch den Sissowern empfiel mich sehr, die haben mir in ihrem ganzen Wesen sehr wohl gefallen,  Karoline und Friedrich von Mühlenfels [Schließen] Karoline vorzüglich aber auch in deinem Bruder ist ein sehr schöner Fond er hat nur nicht in den Verhältnissen gelebt um ihn ganz zu entwikkeln sondern ist auch einigermaßen von dem gedrükt was fast alle Männer auf Rügen in ihrer sittlichen Ausbildung etwas zurükhält. – Von Hasselbach habe ich noch nichts in Erfahrung gebracht ich sehe Gassens jezt gar wenig. Der gute Thiel in Anklam ist einer meiner ältesten und liebsten Schüler und ich habe Ursache zu glauben daß meine Lehre und mein Umgang einen entscheidenden Einfluß auf  korr. v. Hg. aus: meinsein Gemüth und auf  korr. v. Hg. aus: meinsein ganzes Leben gehabt haben. Solche Freuden können mir, wenn Gott Glükk und Segen giebt noch viele werden.

Mit meiner guten Schwester Lotte kannst Du freilich erst durch ihren Brief einigermaßen bekannt geworden sein, aber du hast ganz recht ihr werdet euch recht ordentlich lieb haben wenn ihr erst einmal zusammen gewesen seid. Um sie recht gründlich zu kennen muß man sie doch an Ort und Stelle sehn. Ach Dich und die Kinder nach Schlesien zu bringen, in die herrlichen Gebirge in das anmuthige Land und in eine herrnhutische Gemeine darauf habe ich noch eine ganz eigne Freude die du Dir nicht recht denken kannst glaube ich. Sieh schön wäre es doch wenn uns der Himmel auch etwas Glükk gäbe nebenher. Es ist nicht grade als ob ich dächte ich allein und das schlichteste Leben mit mir würde Dir nicht genug sein aber es ist die inigste Sehnsucht alles was mich erfreut hat mit Dir | 66v noch einmal zu leben und durchzugenießen.

Da bin ich wieder ganz unterbrochen worden und nun übereilt mich die Post. Das beste Lebewol Dir und unsern lieben Kindern. Wo wir den Weihnachtsabend sein werden wissen wir noch nicht. Ernst.

Zitierhinweis

2983: An Henriette von Willich. Berlin, Mittwoch, 14.12. bis Donnerstag, 15. 12. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006812 (Stand: 26.7.2022)

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