Sonntag d 4t. Decemb. 8.

No 26.

Du bist jezt ja ganz über alle Maßen herrlich mit fleißigem und reichlichem Briefschreiben meine einzige Jette! ich komme mir ordentlich schlecht vor gegen dich.   Vgl. Brief . [Schließen]Denn das mag wol nicht viel sein was du mir nachrühmst daß ich mit wenigen Worten viel zu sagen wüßte. Es mag mehr an Deinem vortreflichen Lesen liegen mit den Augen und dem Sinn der Liebe als an meinem Schreiben.  Vgl. Brief und Brief . [Schließen]Donnerstag hatte ich meinen lezten Brief abgeschikt, und Freitag kam der Deinige. Ist es nun nicht schlecht daß ich noch gar keine Zeile geschrieben? Ja anderwärts genug, nur nicht am Schreibtisch. Soll ich Dir sagen wo ich vorzüglich viel an dich schreibe? In Gesellschaft eben nicht, da komme ich nur so zu einzelnen Bemerkungen oder Einfällen oder Liebkosungen die ich Dir zuflüstern möchte, besonders Freitag Abend wo mit ein Paar lieben Mädchen hier recht viel von der Eifersucht die Rede war, und ich recht viel Scherz machte auf die Rechnung wenn ich je eine Frau hätte. Sonst aber am meisten des Morgens und Abends so lange ich noch in meiner Schlafkammer bin im Bett und außer dem Bett – des Morgens ist das wol eine halbe Stunde mußt Du wissen, und des Abends läßt du mich auch nicht immer gleich einschlafen. Und dann auf der Straße, und das ist auch den Tag über eine schöne Zeit. Da regierst Du aber so daß ich selbst auf dem Wege nach dem Collegio wo ich an meinen Vortrag denken sollte unversehens immer bei dir bin, und deshalb um sicher zu gehn alles zu Hause in Ordnung bringen muß während ich manchmal wirklich am Schreibtisch an dich schreiben könnte.

 Vgl. Brief . [Schließen]Daß du an meinem Geburtstag mit Weißbrod tractirt hast ist schon aller Ehren werth und gar nicht auszulachen ich habe ja auch mit nichts anderm tractirt, und für täglich essen wir, dermalen wenigstens gar keins. Weniger das gestehe ich wol aus Sparsamkeit als weil es eben gar nichts so schmakhaftes ist wie bei Euch. Ueberhaupt liebe bis in diese kleinsten Kleinigkeiten hinein (die Speisekammer gehört auch dahin, die hier wenigstens so ganz unentbehrlich nicht ist leider wie bei Euch.) hat doch | 57v eure Art von Hauswirthschaft ein Interesse und ein Leben das Du hier so nicht finden wirst. Wenn du es nur nicht zu schmerzlich vermissest.

Mittwoch d. 7t.  Vgl. Brief . [Schließen]Nun denke dir einzige Jette, so bin ich am Sonntag unterbrochen worden und seitdem nicht wieder zum Schreiben gekommen ohnerachtet ich am Montag deinen Brief vom 27ten bekommen habe Du numerirst ihn No 21 oder 22 nach meiner Rechnung ist er aber erst No 19. Ich beruhige mich indeß; es ist gewiß keiner verloren gegangen sondern die Reise hat dich nur aus dem Zusammenhang der Zahlen gebracht. Laß Dir nun zuerst ein Leiden klagen was ich Gestern Abend erfahren habe. Die  vielleicht Johanna Hedwig Wilhelmine von Boye [Schließen] Boje hat hier ganz öffentlich erzählt nicht nur von unserer Verbindung das schadete nun weiter nichts mehr, aber auch davon daß  Henriette Herz [Schließen] Jette zu uns ziehn wird. Dasselbe hat Lotte Schwarz in Anklam erzählt und es ist aus Anklam hieher geschrieben worden. Das wird Jette gewiß sehr unlieb sein, nicht nur weil es überhaupt fatal ist wenn so lange vorher von einer Sache gesprochen wird, sondern vorzüglich weil man gar nicht dafür stehn kann daß ihre  Esther de Lemos [Schließen] Mutter es nicht irgend woher erfährt. Am Ende wenn der erste Verdruß überstanden ist hoffe ich soll sie das bewegen die Sache zu beschleunigen wenn doch keine Rüksichten mehr dabei zu beobachten sind. Daß Jette Dich des Hauses wegen gleich auf unsere Seite bringen würde wußte ich wol, und ich denke in diesem Stük wirst Du unserer Art zu leben den Vorzug geben; sie kommt mir weit gebildeter vor und wahrhaft häuslicher ist auch für die  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kinder gewiß weit zuträglicher.  Sachanmerkung:

Indeß ... Leute hineinführt.] 
Vgl. Brief .

Nannys] Anne (Nanny) Schleiermacher
 [Schließen]
Indeß ist es auch recht gut Nannys Stube zu haben zur Abwechselung theils wenn eine von euch allein sein will theils weil doch Fälle komen daß die Wohnstube in einem Zustande ist wo man nicht gern alle Leute hineinführt.
Darum wünsche ich auch sehr daß wir es schon nächsten Winter mögen zwingen können alle drei oberen Stuben immer zu heizen, und ich denke wol das kann gehn. Es ist um so nothwendiger da dein Klavier wol schwerlich anders als in Nannys Stube Plaz haben wird.

 Vgl. Brief . [Schließen]Ueber Deine Wirthschaftlichkeit habe ich troz allem was mir Jette gesagt hat auch nicht die kleinste Unruhe gehabt, vielmehr meine erste Unruhe ist die die Du mir selbst giebst. Denn um die Vergeßlichkeit ist es ein gar unökonomisches Ding, sie kann entsezliche Buschelei im Hause anrichten, und am Ende muß doch auch alles was man vergessen hat auf eine oder die andere Art durch Geld gut gemacht werden, wenn es überhaupt gut gemacht werden kann. Ich sehe das täglich an Reimers | 60 wo die Vergeßlichkeit recht ihren Thron aufgeschlagen hat. Ueber die müssen wir also Herr werden liebste Jette das hilft schon nichts aber du sollst auch nur sehn wie gut das geht. Wenn ich Dir im voraus sage daß ich mich rasend über die Vergeßlichkeit lustig machen werde so mache ich dir einen kleinen Schrekk und du kommst Dir vielleicht auch im voraus ein bischen empfindlich vor, aber sei nur nicht bange Du wirst gar nicht empfindlich sein, es ist immer der pure lautere Scherz, und ich denke alle kleinen Schwachheiten so lange man sie nun einmal hat sind grade dazu zu brauchen daß man Scherz drüber macht so bringen sie doch noch etwas gutes ins Leben hinein. Mit dem Fürchten vor der großen Jette ist es doch nichts.  Vgl. Brief . [Schließen]Denn grade wenn man so ein kleines Dusselchen ist muß es ja eine herrliche Sache sein ein solche Klugchen im Hause zu haben. Wir wollen sie auch gehörig ehren und feiern sie soll regieren über alles und unsere permanente Bohnenkönigin sein. Ausgelacht soll sie aber auch werden, dem entgeht niemand im Hause. Schlimm ist es nur daß ihre Regierung gleich jezt einen so harten Stoß erleidet, ordentlich eine Art Rebellion. Vgl. Brief . [Schließen] Denn gegen den Thiergarten für nächstes Jahr opponiere ich mich hartnäkkig, lebe Du Dich nur nicht zu sehr hinein einzige Jette denn es geht wirklich nicht und würde uns allen gar schlecht bekommen. Nun mich Jette aber auch verläumdet hat bei Dir wegen der Oekonomie muß ich mich wol auch recht gründlich über mich selbst aussprechen. Wenn Du etwa die komische Geschichte kennst ich kanns thun und ich kanns auch lassen so hast Du mein leibhaftiges Bild. Freilich ist mir nichts zu schön wenn ich’s haben kann! warum auch? zumal was weniger meine Person als die Lieben die mich umgeben angeht. Und über das Habenkönnen verlange ich ordentlich daß die Begriffe eines einzelnen Mannes sehr lax sein müssen. Nicht daß er leichtsinnig sein müsse mit Schuldenmachen (Jette wird sagen ich hätte auch Schulden; aber die sind lediglich aus der öfteren Veränderung meiner Lage entstanden und sind genau genommen nicht einmal welche.) sondern nur welche des Lassenkönnens. Denn das fodere ich von einem Manne, und so habe ich immer das Geld mit vollen Händen ausgegeben wenn ich es hatte und hernach sehr wenig entbehrt wenn ich es nicht hatte ohne daß mich die rasche Anwendung je gereut hätte. Nun ich eine Wirthschaft habe ist das anders; ich gebe für mich und zu Fantasien das wenigste aus, und wenn ich nur eine irgend zureichende regelmäßige Einnahme habe ist gar keine Noth. Denn wenn ich gleich nichts aufzuschreiben pflege so habe ich doch den Wirthschaftsetat immer im Kopf; denn jede Ausgabe von Bedeutung ist an eine bestimmte Einnahme verwiesen und muß sich also auch immer nach dieser richten. Sei also gar nicht bange so gern ich Dir auch alles recht mache und so sehr ich auch wünschte daß alles recht hübsch wäre daß ich in unserer Einrichtung sehr über die Schnur hauen werde. Du sollst schon alles klein genug finden, das hat keine Noth. | 60v  Vgl. Brief . [Schließen]Etwas ausgelacht hatte ich Dich auch schon daß Du mir im vorigen Briefe den Lebensschein schicktest ohne Quittung und hätte ich dazwischen geschrieben so hätte ich dir einige Esel gebohrt. Es verlautet indeß noch nichts daß die WittwenKasse zahlt. Du weißt aberdoch daß Du die Hälfte der Pension auch nachher behältst? Sieh nur was Du da für ein schönes Taschengeld hast. Aber ich ärgere mich ordentlich über mich selbst daß ich da so tief in die äußerlichen Dinge hineingerathen bin, und ich habe Dir doch noch so vielerlei besseres zu sagen. Doch ich möchte auch das wieder den äußerlichen Dingen abbitten,  Vgl. Friedrich Schlegel (“Lucinde“ 1799) KFSA V, S. 62: “Die äußerlichen Dinge selbst flößen mir Hochachtung ein, wenn sie in ihrer Art tüchtig sind, und du wirst am Ende noch frohlockende Lobreden auf den Wert eines eignen Herdes und über die Würde der Häuslichkeit von mir hören.“  [Schließen]denn es ist so wahr was in der Lucinde steht man bekommt ordentlichen Respect vor ihnen wenn man in die Geheimnisse der Liebe und Ehe eingeweiht wird. Das ganze Haus wird ja ein Heiligthum mit allem was darin ist. Tische und Stühle alles lebt mit, Du sizest darauf Du arbeitest daran, in den Schränken ist deine Wäsche verwahrt die den geliebten Leib bekleidet, und nun gar das Sofa auf dem wir nicht maulen, und was könnte ich noch alles sagen – kurz ich will mich hiemit aufs vollständigste entsündiget haben gegen die äußeren Dinge, ehe ich fortfahre. Du weißt so gern was ich treibe. Nun will ich Dir sagen daß es gegenwärtig gar wenig ist, und daß ich mich herzlich nach einer ordnungsvolleren Zeit sehne.  Gemeint ist Band 2,3 der Platon-Ausgabe, der 1809 erschien. [Schließen]Ich werde soviel unterbrochen vorzüglich durch die Männer die an jenem Werk arbeiten und bald dies bald jenes berichten oder Rath fragen, daß noch keine einzige von allen den Einleitungen zum Platon gemacht ist und noch nicht einmal alles übersezt, so daß ich mich gewaltig betrügen werde in der Rechnung daß der Band noch vor Ende des Jahres fertig werden sollte. Indes habe ich Ursache zu hoffen daß dies bald besser werden soll. Was mir aber auch jezt schon recht große Freude macht, das sind meine  Schleiermacher las im WS 1808/09 über die Christliche Glaubenslehre (Mittwoch und Freitag Nachmittag) und die Theorie des Staates (Montag und Dienstag Nachmittag), vgl. A. Arndt u. W. Virmond „ Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) “ (1992), S. 303 f.  [Schließen]Vorlesungen. Mit den ersten Stunden bin ich selten zufrieden, war es auch diesmal nicht, wie ich auch mit dem Eingang in meinen Predigten am wenigsten zufrieden bin. Aber nun komme ich hinein und die Zuhörer auch, alles ordnet sich bestimter, es geht immer klarer hervor daß wir die Wahrheit ergriffen haben, der Vortrag wird immer leichter, und oft überrascht mich selbst mitten im Vortrage etwas Einzelnes was von selbst hervorgeht ohne daß ich daran gedacht hatte, so daß ich selbst aus jeder einzelnen Stunde fast belehrt herauskomme; ich kann dir gar nicht sagen was für ein Genuß das ist. Und dabei sind die Gegenstände so herrlich! denn jungen Männern jezt das Christenthum klar machen und den Staat, das heißt eigentlich ihnen alles geben was sie brauchen um die Zukunft besser zu machen als die Vergangenheit war. Liebste Jette wenn ich nun mit solcher Freude des Gelingens aus den Vorlesungen komme und fliege in deine Arme nachdem du mich vorher hast hereingehn sehn mit gerunzelter Stirn und allergrimmigstem Angesicht in Speculation vertieft, dabei soll dir schon herrlich zu Muthe sein. Aber ist Dir nicht auch bei dem was ich vorher sagte eingefallen wie mir, daß es ja fast so herauskommt als wäre der Anfang immer schlecht bei mir, und wenn das nun mit der Ehe auch so wäre? Ja ich kann nicht dafür stehn mein süßes Herz! aber dann laß Dich nur nicht irre machen und denke daß das bessere nachkommt. Wenigstens das ist mir ganz klar, daß wir nichts verflittern oder oben absahnen werden sondern gleich grade durch alles nehmen wie es Gott zusammen geschaffen hat. Unzufrieden werden wir wol miteinander sein können, warum nicht? so gut wie es jeder mit sich selbst ist. Aber | 61 anders glaube ich kann ich nicht sein dabei als entweder lache ich Dich aus oder wenn ich merke daß es Dir im Ernst verdrießlich ist komme ich und streichle Dich und lege Dein Köpfchen an meine Brust und bedaure Dich. Wie Du es nun machen wirst mit mir das weiß ich noch nicht. Aber störend kann uns beiden nie etwas sein. – Nun will ich aber auch gar nicht mehr meinen Gedanken freien Lauf lassen; sondern so wie ich wieder zum Schreiben komme (denn jezt muß ich endlich aufhören und an mein nachmittags Collegium denken denn Mittags esse ich aus) Vgl. Brief und Brief . [Schließen] nehme ich Deine beiden lezten Briefe vor und beantworte recht ordentlich alles bis aufs lezte. Zuerst weiß ich wol schelte ich dich denn damit fange ich gar zu gern an – aber stille denn ich muß fort meine liebe einzige sieh mich nur noch einmal recht an und gieb mir einen recht lieben Kuß.

Abends.  Vgl. Brief . [Schließen] Also schelten will ich Dich dabei bleibt es, nemlich darüber daß Du Dich quälst mit den Kindern und Dir keine ordentliche Nachtruhe machst. Sieh Liebchen das kann Dir nicht taugen, Du untergräbst dabei allmählich Deine Gesundheit, und das ist ganz gegen die Ordnung der Natur, denn es steht nirgends geschrieben daß sich die Mütter sollen von den Kindern ruiniren lassen, und ich bin sehr zufrieden daß ich hierin werde Ordnung schaffen. Wie das nun recht geschehen wird, daß weiß ich noch nicht es wird sich aber finden. Für mich zuerst sei nur nicht bange, wenn ich auch anfangs manchmal gestört werde das wird nicht lange dauern. Woran es nun bei den Kindern liegt das wollen wir wol finden, entweder gehn sie zu früh zu Bett oder sie schlafen zu warm oder sie schlafen zu viel bei Tage für ihr Alter – an irgend einem Ende wird es sich schon fassen lassen. Mein langschlafen ist übrigens nur im Winter zu verstehen, im Sommer sollst Du schon sehn stehe ich zeitig genug auf, und wenn Du ordentlich ungestört geschlafen hast sollst Du mit aufstehn sonst aber nicht.

 Vgl. Brief . [Schließen]Vor der Steffens, wenn wir sie nur erst hier hätten wie die Sachen jezt stehn ist es indeß fast zu hoffen, brauchst Du Dich auch eben gar nicht zu fürchten sondern Dich nur zu freuen auf sie, wie sie sich sehr freut auf Dich. Zuerst wirst Du ihn Steffens ganz erstaunlich lieben, und das sollst Du auch und ich werde gar nicht eifersüchtig sein, ohnedies ist er ja unser Stiefvetter wenn Du es nicht weißt laß es Dir von Jette erklären, wie Du noch meinen liebsten Freund gewissermaßen mit mir verwandt machst. Hernach aber wirst Du auch die Frau sehr | 61v von Herzen lieben; übrigens gehört sie gar nicht zu den Gesprächigen sondern ist ganz stiller Natur und nur manchmal tritt die ganze innere Lebendigkeit auf eine sehr schöne Art heraus. Ueberhaupt stellst Du Dir die Frauen hier etwas anders vor als sie sind, und giebst ihnen eine kleine Glorie die Du hernach allmählich abziehn wirst. Wenn Du erst von allen Briefe hättest wie von  Charlotte Schleiermacher [Schließen] Lotte , dann würde es sich schon vorher geben. Und steif bis Du ja gar nicht; wie wolltest Du doch steif sein? und wenn den Leuten Deine Sprache nur halb so schön klingt wie sie mir von Anfang an geklungen hat so müssen sie sich gleich in Dich verlieben. Das ist doch wunderbar daß ich Dir darüber noch niemals etwas hübsches gesagt habe, und es durchdringt mich noch immer ganz eigen wenn ich die süße Stimme höre, so daß auch wenn manchmal Dein Bild nicht ganz deutlich vor mir steht ich mir gleich die Stimme erscheinen lasse die mir fehlt, und dann kommt das liebe Bild nach. Das kommt aber davon weil ich Dir nie die Cour gemacht habe  lies: wie [Schließen]wir andern Frauen und Mädchen. Nun sage ich es Dir aber auch dafür auf eine andre Weise.  Die Zeichnung, die Schleiermacher für seine Braut hat anfertigen lassen, ist viele Jahre später in „Der Protestantismus am Ende des 19. Jahrhunderts“ , 1. Bd. hg. von C. Werckshagen (1900), S. 423 abgedruckt worden, vgl. Johannes Bauer, „Schleiermacherbildnisse“, S. 87. [Schließen] Weißt Du wol daß ich neulich Deiner auf eine besonders innerlich erfreuliche Weise gedacht habe als ich zur Zeichnung saß? Der nemlich lobte meinen Mund, er wäre die beste Parthie in meinem Gesicht und hätte recht viel Charakter. Ein Andrer hätte nun vielleicht gedacht ein Redner müsse freilich gerechterweise auch einen guten Mund haben;  Vgl. Brief . [Schließen] ich aber dachte daran gar nicht, sondern nur an alles hübsche und liebliche was Du mir über die schönste Kunst des Mundes gesagt hast. Darauf that ich mir denn innerlich recht viel zu gut, es überkam mich ein Stolz von ganz eigner Art und ich wurde ordentlich wie aus Deiner Seele heraus ein wenig verliebt in mich. Sei nur nicht böse ich meine gar nicht daß Du verliebt in mich wärest, und das sollst Du auch gar nicht sein aber da sich nun das Gefühl gegen mich selbst wendete kann ich es doch nicht anders nennen. Sonst ärgere ich mich manchmal und verweise es mir ernstlich wenn Jungfer Nanny sagt: wir beide wären verliebt und  lies: vergäßen [Schließen]vegäßen darüber alles andere.  Vgl. Brief . [Schließen]Das freut mich aber daß Du Dich doch einigermaßen mit falschen Federn gepuzt hattest als Dir die Zeit so kurz vorkam. Die Delikatesse wollen wir nun zwar gar nicht ganz verkennen aber ihr doch ein ganz anderes Departement anweisen, aber gar nicht soll sie Dich hindern mir ein süßes Wort von Sehnsucht und Ungeduld zu sagen. Aber wegen der Kinder, das ist nun eine eigne Sache! wenn da nur Deine Ungeduld befriedigt wird! ich kann | 62 ja gar nicht wissen ob ich es recht verstehe. Unsicher bist Du gewiß eigentlich nicht in Deinem Betragen gegen Jette das kann ich mir nicht recht denken. Was Dich so täuscht ist nur das Gefühl daß neben Dir der Vater fehlt. Erseze ihn nur indeß liebes Mütterchen so viel Du kannst; und das geschieht unter andern auch dann wenn Du nicht zu bange bist wegen  Henriette Pauline Marianne von Willich, vgl. Brief .  [Schließen] Henriettens Reizbarkeit. Es ist damit eben wie mit gewissen Kränklichkeiten des Körpers die man nicht zu sehr schonen muß weil sie sonst immer ärger werden. Vielleicht werde ich Dir in dieser Hinsicht manchmal zu hart vorkommen. Sage es mir dann nur immer; aber glaube nicht daß ich viel ändern werde. Grade wenn ich an die Seite denke, die hart und streng erscheinen wird in meinem Leben mit den Kindern, kann mich eine entsezliche Ungeduld überfallen nach den künftigen um mir selbst recht anschaulich zu machen daß mir das ganz gleich sein wird gegen alle wiewol eigentlich mein innerstes Gefühl es mir sicher genug sagt. Aber das harte und strenge wird nur eine kleine Seite sein und Du hast gewiß recht Dir die süßesten Bilder von Zärtlichkeit und inniger Liebe zu machen zwischen den Kindern und mir. Sieh meine einzige Sorge wenn ich an das ganze schöne Leben denke ist nur die, woher die Zeit kommen soll, und wie man immer alles schöne täglich und stündlich wird genießen können was da ist! Mir wird dann immer zu Muthe sein als wenn das Feuer auf den Nägeln brennte, und so ist mir immer am wohlsten.

 Vgl. Brief . [Schließen]Ist es nicht ganz wunderbar daß ich grade so gewesen bin wie Du Dich beschreibst als Kind? ohne Liebe und dumpfen Sinnes! Liebe und Religion sind freilich eines, und so ist auch mir beides zugleich gekommen, wiewol ich den Punkt nicht so genau angeben kann. Auch hat es nachher gar oft mit mir gewechselt und ich bin ganze Zeiten wieder in die Dumpfheit zurükgefallen. Aus meiner eignen Erfahrung heraus habe ich nun schon oft Eltern getröstet wenn Kinder so hingingen, daß das Gute schon aufwachen würde, und bis jezt habe ich immer recht gehabt. So wollen wir nun auch uns nicht zuviel Sorge machen. Eine Natur von edler Art wohnt doch in unsern Kindern, und in einer solchen muß ein frommes und liebevolles Leben auch immer den gleichen Sinn erwekken früher oder später. – Aber einzige Jette so schnell ist mir das Licht noch nie ausgegangen wie dieses droht. Ich feierte nun gern noch das Lob was Du mir gegeben hast wegen der brieflichen Liebkosungen aber ich kann nur noch eine einzige Umarmung aufbringen und muß mich trösten auf die Zeit wo es den Liebkosungen keinen Eintrag mehr thun wird ob Licht ist oder nicht. Die schönste gute Nacht und liebe Träume meine innig geliebte. | 62v

Donnerstag. Ich kann Dir nur noch Lebewol sagen süßeste Jette und  Vgl. Brief . [Schließen] das neulich vergessene Zahnpulver Recept hinzufügen welches ich Dir sehr empfehle. Die Tinctur ist weniger wesentlich und ich habe sie noch nicht erhalten. Uebrigens ist das Recept nicht nur schon sehr bewährt, sondern auch von meiner eignen Erfindung, worauf ich mir nicht wenig zu gute thue.  Vgl. Brief . [Schließen]Dein Stammbuch bekomst Du nächstens; ich habe es in der Arbeit gesehn und es wird recht hübsch, nur etwas zu stark aber das war nicht mehr zu ändern.   Grüße unsere Schwester  Luise von Willich und Sophie Schlichtkrull [Schließen] Luise und Sophie recht herzlich. Nächstens schreibe ich ihnen gewiß nur heute ist keine Möglichkeit mehr. Wie gern wäre ich vorzüglich Weihnachtsabend und Sylvesternacht bei euch. Ich weiß noch gar nicht wo wir beide zubringen werden.  Am 10. 1. 1809 wurde Adelheid Reimer geboren. [Schließen] Mine Reimer wird wahrscheinlich grade in dieser Zeit entbunden. Ein Kind ist zwar das herrlichste Weihnachtsgeschenk was sie dem Manne bringen kann aber sonst ist das doch eine unbequeme Zeit. Am ersten Weihnachtstag predige ich in meiner künftigen Kirche, da kannst Du meiner auch gedenken. Vielleicht auch am Neujahrstag Nachmittags. Gott sei mit Dir meine herzige Jette und wenn Du fleißig an mich schreibst so küße Dir die Hände recht zärtlich in meinem Namen, und wenn Du Dich sehnst so denke wie ich Dir die Sehnsuchtsseufzer von den Lippen küssen möchte. Lebe mir wol aufs zärtlichste umarmt Du gute liebe Tochter und Braut. Ganz und ewig

Dein Ernst.

Zitierhinweis

2961: An Henriette von Willich. Berlin, Sonntag, 4.12. bis Donnerstag, 8. 12. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006790 (Stand: 26.7.2022)

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