Sonntag d 4t. Decemb. 8.
No 26.
Du bist jezt ja ganz über
alle Maßen herrlich mit fleißigem und reichlichem
Briefschreiben meine einzige Jette! ich komme mir ordentlich
schlecht vor gegen dich.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Denn das mag wol nicht viel sein was du mir
nachrühmst daß ich mit wenigen Worten viel zu sagen
wüßte. Es mag mehr an Deinem vortreflichen Lesen
liegen mit den Augen und dem Sinn der Liebe als an
meinem Schreiben.
Vgl. Brief
und Brief
.
[Schließen]Donnerstag hatte ich meinen lezten Brief
abgeschikt, und Freitag kam der Deinige. Ist es nun nicht schlecht daß ich noch gar keine
Zeile geschrieben? Ja anderwärts genug, nur nicht am
Schreibtisch. Soll ich Dir sagen wo ich vorzüglich viel an dich
schreibe? In Gesellschaft eben nicht, da komme
ich nur so zu einzelnen Bemerkungen oder
Einfällen oder Liebkosungen die ich Dir zuflüstern möchte,
besonders Freitag Abend wo mit ein Paar lieben Mädchen hier
recht viel von der Eifersucht die Rede war, und ich recht
viel Scherz machte auf die Rechnung wenn ich je eine Frau
hätte. Sonst aber am meisten des Morgens und Abends so
lange ich noch
auf
über der Zeilein
meiner Schlafkammer bin im Bett und
außer dem Bett – des Morgens ist das wol eine halbe Stunde
mußt Du wissen, und des Abends läßt du mich auch nicht immer
gleich einschlafen. Und dann auf der Straße, und das ist
auch den Tag über eine schöne Zeit. Da regierst Du aber so
daß ich selbst auf dem Wege nach dem Collegio wo ich an
meinen Vortrag denken sollte unversehens immer bei dir bin,
und deshalb um sicher zu gehn alles zu Hause in Ordnung
bringen muß während ich manchmal wirklich am Schreibtisch
an dich schreiben könnte.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Daß du an meinem Geburtstag mit Weißbrod tractirt hast ist schon
aller Ehren werth und gar nicht auszulachen ich
habe ja auch mit nichts anderm tractirt, und für
täglich essen wir, dermalen wenigstens gar keins.
Weniger das gestehe ich wol aus Sparsamkeit als weil es
eben gar nichts so schmakhaftes ist wie bei Euch.
Ueberhaupt liebe bis in diese kleinsten Kleinigkeiten
hinein (die Speisekammer gehört auch dahin, die hier
wenigstens so ganz unentbehrlich nicht ist
leider wie bei Euch.) hat doch | 57v
eure Art von Hauswirthschaft ein Interesse und ein Leben
das Du hier so nicht finden wirst. Wenn du es nur nicht zu
schmerzlich vermissest.
Mittwoch d. 7t.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Nun denke dir einzige Jette, so bin ich am Sonntag
unterbrochen worden und seitdem nicht wieder zum
Schreiben gekommen ohnerachtet ich am
Montag deinen Brief vom 27ten bekommen habe
Du numerirst ihn No 21 oder 22 nach meiner
Rechnung ist er aber erst No 19. Ich beruhige mich indeß; es ist gewiß keiner verloren gegangen
sondern die Reise hat dich nur aus dem Zusammenhang der
Zahlen gebracht. Laß Dir nun zuerst ein Leiden
klagen was ich Gestern Abend erfahren habe.
Die
vielleicht Johanna Hedwig Wilhelmine von
Boye
[Schließen]
Boje
hat hier ganz öffentlich erzählt nicht nur von
unserer Verbindung das schadete nun weiter nichts mehr,
aber auch davon daß
Henriette Herz
[Schließen]
Jette
zu uns ziehn wird.
Dasselbe hat Lotte Schwarz in Anklam
erzählt und es ist aus Anklam hieher
geschrieben worden. Das wird Jette
gewiß sehr unlieb sein, nicht nur weil es überhaupt fatal
ist wenn so lange vorher von einer Sache gesprochen wird,
sondern vorzüglich weil man gar nicht dafür stehn kann daß
ihre
Esther de Lemos
[Schließen]
Mutter
es nicht irgend woher erfährt.
Am Ende wenn der erste Verdruß überstanden ist hoffe ich
soll sie das bewegen die Sache zu beschleunigen wenn doch
keine Rüksichten mehr dabei zu beobachten sind. Daß Jette Dich des Hauses wegen
gleich auf unsere Seite bringen würde wußte ich wol, und
ich denke in diesem Stük wirst Du unserer Art zu leben den
Vorzug geben; sie kommt mir weit gebildeter vor und wahrhaft
häuslicher ist auch für die
Kinder der Henriette von Willich aus erster
Ehe
[Schließen]
Kinder
gewiß weit zuträglicher.
Vgl. Brief
.
[Schließen]
Indeß ist es auch recht gut
Anne (Nanny) Schleiermacher
[Schließen]
Nannys
Stube zu haben zur
Abwechselung theils wenn eine von euch
allein sein will theils weil doch Fälle komen daß
die Wohnstube in einem Zustande ist wo man nicht gern
alle Leute hineinführt. Darum wünsche ich auch sehr daß wir es schon
nächsten Winter mögen zwingen können alle drei oberen
Stuben immer zu heizen, und ich denke wol das kann gehn. Es
ist um so nothwendiger da dein Klavier wol schwerlich
anders als in Nannys Stube
Plaz haben wird.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Ueber Deine Wirthschaftlichkeit habe ich troz allem was mir Jette
gesagt hat auch nicht die kleinste Unruhe gehabt,
vielmehr meine erste Unruhe ist die die Du mir
selbst giebst. Denn um die Vergeßlichkeit ist es
ein gar unökonomisches Ding, sie kann entsezliche
Buschelei im Hause anrichten, und am Ende muß doch
auch alles was man vergessen hat auf eine oder die
andere Art durch Geld gut gemacht werden, wenn es
überhaupt gut gemacht werden
kann.
Ich sehe das täglich an Reimers
| 60 wo die Vergeßlichkeit recht
ihren Thron aufgeschlagen hat.
Ueber die müssen wir also Herr werden liebste Jette das
hilft schon nichts aber du sollst auch nur sehn wie gut das
geht. Wenn ich Dir im
voraus sage daß ich mich rasend über die Vergeßlichkeit
lustig machen werde so mache ich dir einen kleinen Schrekk
und du kommst Dir vielleicht auch im voraus ein bischen
empfindlich vor, aber sei nur nicht bange Du wirst gar nicht
empfindlich sein, es ist immer der pure lautere Scherz, und
ich denke alle kleinen Schwachheiten so lange man sie nun
einmal hat sind grade dazu zu brauchen daß man Scherz
drüber macht so bringen sie doch noch etwas gutes ins Leben
hinein. Mit dem Fürchten vor der großen Jette ist
es doch nichts.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Denn grade wenn man so ein kleines Dusselchen ist muß
es ja eine herrliche Sache sein ein solche Klugchen
im Hause zu haben.
Wir wollen sie auch gehörig ehren und feiern sie soll
regieren über alles und unsere permanente Bohnenkönigin
sein. Ausgelacht soll sie aber auch werden, dem entgeht
niemand im Hause. Schlimm ist es nur daß ihre Regierung
gleich jezt einen so harten Stoß erleidet, ordentlich eine Art
Rebellion. Vgl. Brief
.
[Schließen]
Denn gegen den Thiergarten für nächstes Jahr opponiere ich
mich hartnäkkig, lebe Du Dich nur nicht zu sehr
hinein einzige Jette denn es geht wirklich nicht
und würde uns allen gar schlecht bekommen.
Nun mich Jette aber auch verläumdet hat
bei Dir wegen der Oekonomie muß ich mich wol auch recht
gründlich über mich selbst aussprechen. Wenn Du etwa die komische
Geschichte kennst ich kanns thun und ich kanns auch lassen
so hast Du mein leibhaftiges Bild. Freilich ist mir nichts zu
schön wenn ich’s haben kann! warum auch? zumal was weniger
meine Person als die Lieben die mich umgeben angeht. Und
über das Habenkönnen verlange ich ordentlich daß
die Begriffe eines einzelnen Mannes sehr lax sein müssen.
Nicht daß er leichtsinnig sein müsse mit
Schuldenmachen (Jette
wird sagen ich hätte auch Schulden; aber die sind lediglich aus der
öfteren Veränderung meiner Lage entstanden und sind genau
genommen nicht einmal welche.) sondern nur
welche des Lassenkönnens. Denn das fodere ich von einem
Manne, und so habe ich immer das Geld mit vollen Händen
ausgegeben wenn ich es hatte und hernach sehr wenig
entbehrt wenn ich es nicht hatte ohne daß mich die rasche
Anwendung je gereut hätte. Nun ich eine Wirthschaft habe
ist das anders; ich gebe für mich und zu Fantasien das
wenigste aus, und wenn ich nur eine irgend zureichende
regelmäßige Einnahme habe ist gar keine Noth. Denn wenn
ich gleich nichts aufzuschreiben pflege so habe über der Zeileich
doch den Wirthschaftsetat immer im Kopf; denn
jede Ausgabe von Bedeutung ist an eine
bestimmte Einnahme verwiesen und muß sich also
auch immer nach dieser richten. Sei also gar nicht bange
so gern ich Dir auch alles recht mache und so sehr ich
auch wünschte daß alles recht hübsch wäre daß ich in
unserer Einrichtung sehr über die Schnur hauen werde. Du
sollst schon alles klein genug finden, das hat keine Noth.
| 60v
Vgl. Brief
.
[Schließen]Etwas ausgelacht hatte ich Dich auch schon daß
Du mir im vorigen Briefe den Lebensschein
schicktest ohne Quittung und hätte ich
dazwischen geschrieben so hätte ich dir einige
Esel gebohrt. Es verlautet indeß noch nichts daß die WittwenKasse
zahlt. Du weißt aberdoch daß Du die Hälfte der Pension auch nachher
behältst? Sieh nur was Du da für ein schönes Taschengeld
hast. Aber ich ärgere mich ordentlich über mich selbst daß
ich da so tief in die äußerlichen Dinge
hineingerathen bin, und ich habe Dir doch noch so vielerlei
besseres zu sagen. Doch ich möchte auch das wieder den äußerlichen
Dingen abbitten, Vgl. Friedrich Schlegel (“Lucinde“ 1799) KFSA V,
S. 62: “Die äußerlichen Dinge selbst flößen mir Hochachtung ein, wenn
sie in ihrer Art tüchtig sind, und du wirst am Ende noch frohlockende
Lobreden auf den Wert eines eignen Herdes und über die Würde der
Häuslichkeit von mir hören.“
[Schließen]denn es ist so wahr was in der Lucinde steht man bekommt
ordentlichen Respect vor ihnen wenn man in die Geheimnisse der
Liebe und Ehe eingeweiht wird.
Das
H
über den ursprünglichen Text geschriebenganze
Haus wird ja ein Heiligthum mit allem was darin ist.
Tische und Stühle alles lebt mit, Du sizest darauf Du
arbeitest daran, in den Schränken ist deine Wäsche verwahrt die den
geliebten Leib bekleidet, und nun gar das Sofa auf dem wir
nicht maulen, und was könnte ich noch alles sagen – kurz
ich will mich hiemit aufs vollständigste entsündiget haben
gegen die äußeren Dinge, ehe ich fortfahre. Du
weißt so gern was ich treibe. Nun will ich Dir sagen daß es
gegenwärtig gar wenig ist, und daß ich mich herzlich nach
einer ordnungsvolleren Zeit sehne.
Gemeint ist Band 2,3 der Platon-Ausgabe, der 1809
erschien.
[Schließen]Ich werde soviel unterbrochen vorzüglich durch
die Männer die an jenem Werk arbeiten und bald dies bald jenes
berichten oder Rath fragen, daß noch keine einzige
von allen den Einleitungen zum
Platon gemacht
ist und noch nicht einmal alles übersezt, so daß
ich mich gewaltig betrügen werde in der Rechnung daß der Band
noch vor Ende des Jahres fertig werden
sollte.
Indes habe ich Ursache zu hoffen daß dies bald
besser werden soll.
Was mir aber auch jezt schon recht große Freude
macht, das sind meine Schleiermacher las im WS 1808/09 über die Christliche
Glaubenslehre (Mittwoch und Freitag Nachmittag) und die Theorie des Staates (Montag und Dienstag Nachmittag), vgl.
A. Arndt u. W. Virmond „
Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis)
“ (1992), S. 303 f.
[Schließen]Vorlesungen. Mit den ersten Stunden bin ich selten zufrieden,
war es auch diesmal nicht, wie ich auch mit dem Eingang in
meinen Predigten am wenigsten zufrieden bin. Aber nun
komme ich hinein und die Zuhörer auch, alles ordnet sich bestimter,
es geht immer klarer hervor daß wir die Wahrheit ergriffen
haben, der Vortrag wird immer leichter, und oft überrascht
mich selbst mitten im Vortrage
etwas Einzelnes was von selbst hervorgeht ohne daß ich daran
gedacht hatte, so daß ich selbst aus jeder einzelnen
Stunde fast belehrt herauskomme; ich kann dir gar nicht
sagen was für ein Genuß das ist. Und dabei sind die
Gegenstände so herrlich! denn jungen Männern jezt das
Christenthum klar machen und den Staat, das heißt eigentlich ihnen
alles
klar machen
über der Zeilegeben
was sie brauchen um die Zukunft besser zu machen als die
Vergangenheit war.
Liebste Jette wenn ich nun
mit solcher Freude des Gelingens aus den Vorlesungen komme
und fliege in deine Arme nachdem du mich vorher hast
hereingehn sehn mit gerunzelter Stirn und
allergrimmigstem Angesicht in Speculation
vertieft, dabei soll dir schon herrlich zu Muthe
sein. Aber ist Dir
nicht auch bei dem was ich vorher sagte
eingefallen wie bei
mir, daß es ja fast so herauskommt als wäre der Anfang immer
schlecht bei mir, und wenn das nun mit der Ehe auch so
wäre? Ja ich kann nicht dafür stehn mein süßes Herz! aber
dann laß Dich nur nicht irre machen und denke daß das
bessere nachkommt. Wenigstens das ist mir ganz klar, daß
wir nichts verflittern oder oben absahnen werden sondern
gleich grade durch alles nehmen wie es Gott zusammen
geschaffen hat. Unzufrieden werden wir wol
miteinander sein können, warum nicht? so gut wie es jeder
mit sich selbst ist. Aber | 61 anders glaube ich kann
ich nicht sein dabei als entweder lache ich Dich aus oder
wenn ich merke daß es Dir im Ernst verdrießlich ist komme
ich und streichle Dich und lege Dein Köpfchen an meine
Brust und bedaure Dich. Wie Du es nun machen wirst mit mir
das weiß ich noch nicht. Aber störend kann uns beiden nie
etwas sein. – Nun will ich aber auch gar nicht mehr meinen
Gedanken freien Lauf lassen; sondern so wie ich wieder zum
Schreiben komme (denn jezt muß ich endlich aufhören und an mein nachmittags
Collegium denken denn
Mittags esse ich aus) Vgl. Brief
und Brief
.
[Schließen] nehme ich Deine beiden lezten Briefe vor und
beantworte recht ordentlich alles bis aufs lezte.
Zuerst weiß ich wol schelte ich dich denn damit fange ich
gar zu gern an – aber stille denn ich muß fort meine liebe
einzige sieh mich nur noch einmal recht an und gieb mir
einen recht lieben Kuß.
Abends. Vgl. Brief
.
[Schließen]
Also schelten will ich Dich dabei bleibt es, nemlich darüber
daß Du Dich quälst mit den Kindern und Dir
keine ordentliche Nachtruhe
machst. Sieh Liebchen das kann Dir nicht taugen, Du untergräbst
dabei allmählich Deine Gesundheit, und das ist ganz gegen
die Ordnung der Natur, denn es steht nirgends geschrieben
daß sich die Mütter sollen von den Kindern ruiniren
lassen, und ich bin sehr zufrieden daß ich hierin
werde Ordnung schaffen. Wie das
nun recht geschehen wird, daß weiß ich noch nicht es wird
sich aber finden. Für mich zuerst sei nur nicht bange,
wenn ich auch anfangs manchmal gestört werde das wird nicht
lange dauern. Woran es nun bei den Kindern liegt das wollen
wir wol finden, entweder gehn sie zu früh zu Bett oder sie
schlafen zu warm oder sie schlafen zu viel bei Tage für
ihr Alter – an irgend einem Ende wird es sich schon fassen
lassen. Mein langschlafen
ist übrigens nur im Winter zu verstehen, im Sommer sollst
Du schon sehn stehe ich zeitig genug auf, und wenn Du
ordentlich ungestört geschlafen hast sollst Du mit aufstehn
sonst aber nicht.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Vor der Steffens, wenn wir sie nur erst hier hätten wie die
Sachen jezt stehn ist es indeß fast zu hoffen,
brauchst Du Dich auch eben gar nicht zu fürchten
sondern Dich nur zu freuen auf sie, wie sie sich sehr freut auf
Dich.
Zuerst wirst Du ihn Steffens ganz erstaunlich lieben, und das sollst
Du auch und ich werde gar nicht eifersüchtig sein,
ohnedies ist er ja unser Stiefvetter wenn Du es nicht weißt laß es Dir von Jette erklären, wie Du noch
meinen liebsten Freund gewissermaßen mit mir verwandt machst.
Hernach aber wirst Du auch die Frau sehr | 61v von Herzen lieben; übrigens gehört sie gar nicht zu den
Gesprächigen sondern ist ganz stiller Natur und nur
manchmal tritt die ganze innere Lebendigkeit auf eine sehr
schöne Art heraus. Ueberhaupt stellst Du Dir die Frauen hier etwas anders
vor als sie sind, und giebst ihnen eine kleine Glorie die
Du hernach allmählich abziehn wirst. Wenn Du erst von allen Briefe hättest wie von Charlotte Schleiermacher
[Schließen]
Lotte
, dann
würde es sich schon vorher geben. Und steif bis Du ja gar
nicht; wie wolltest Du doch steif sein? und wenn den Leuten Deine
Sprache nur halb so schön klingt wie sie mir von Anfang an
geklungen hat so müssen sie sich gleich in Dich verlieben.
Das ist doch wunderbar daß ich Dir darüber noch niemals
etwas hübsches gesagt habe, und es durchdringt mich noch
immer ganz eigen wenn ich die süße Stimme höre, so daß
auch wenn manchmal Dein Bild nicht ganz deutlich vor mir
steht ich mir gleich die Stimme erscheinen lasse die mir
fehlt, und dann kommt das liebe Bild nach. Das kommt aber davon weil ich
Dir nie die Cour gemacht habe lies: wie
[Schließen]wir
andern Frauen und Mädchen. Nun sage ich es Dir aber auch
dafür auf eine andre Weise. Die Zeichnung, die Schleiermacher für seine Braut
hat anfertigen lassen, ist viele Jahre später in „Der Protestantismus am
Ende des 19. Jahrhunderts“ , 1. Bd. hg. von C. Werckshagen (1900), S.
423 abgedruckt worden, vgl. Johannes Bauer, „Schleiermacherbildnisse“,
S. 87.
[Schließen]
Weißt Du wol daß
ich neulich Deiner auf eine besonders
innerlich erfreuliche Weise gedacht habe als ich zur Zeichnung saß?
Der nemlich lobte meinen Mund, er wäre die beste
Parthie in meinem Gesicht und hätte recht viel
Charakter. Ein Andrer hätte nun vielleicht gedacht
ein Redner müsse freilich gerechterweise auch einen
guten Mund haben;
Vgl. Brief
.
[Schließen] ich aber dachte daran gar nicht, sondern nur an alles
hübsche und liebliche was Du mir über die schönste
Kunst des Mundes
gesagt hast. Darauf that ich mir denn innerlich
recht viel zu gut, es überkam mich ein
Stolz von ganz eigner Art und ich wurde ordentlich wie aus
Deiner Seele heraus ein wenig verliebt in
mich. Sei nur nicht böse ich meine gar nicht daß Du
verliebt in mich wärest, und das sollst Du auch gar nicht
sein aber da sich nun das Gefühl gegen mich selbst wendete
kann ich es doch nicht anders nennen. Sonst ärgere ich mich manchmal und verweise es mir
ernstlich wenn Jungfer Nanny sagt:
wir beide wären verliebt und lies: vergäßen
[Schließen]vegäßen darüber alles andere.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Das freut mich aber daß Du Dich doch
einigermaßen mit falschen Federn gepuzt hattest als Dir die
Zeit so kurz vorkam. Die Delikatesse wollen wir
nun zwar gar nicht ganz verkennen aber ihr doch
ein ganz anderes Departement anweisen, aber gar
nicht soll sie Dich hindern mir ein süßes Wort von Sehnsucht und
Ungeduld zu sagen. Aber wegen der Kinder, das ist nun eine eigne Sache!
wenn da nur Deine Ungeduld befriedigt wird! ich
kann | 62 ja gar nicht
wissen ob ich es recht verstehe.
Unsicher bist Du gewiß eigentlich nicht in
Deinem Betragen gegen
Jette das kann ich mir nicht recht denken. Was Dich so täuscht ist nur das Gefühl daß neben
Dir der Vater fehlt. Erseze ihn nur indeß liebes
Mütterchen so viel Du kannst; und das geschieht unter
andern auch dann wenn Du nicht zu bange bist wegen Henriette Pauline Marianne von Willich, vgl. Brief
.
[Schließen]
Henriettens
Reizbarkeit. Es ist damit eben wie mit gewissen Kränklichkeiten des
Körpers die man nicht zu sehr schonen muß weil
sie sonst immer ärger werden. Vielleicht werde
ich Dir in dieser Hinsicht manchmal zu hart
vorkommen. Sage es mir dann nur immer; aber
glaube nicht daß ich viel ändern werde. Grade wenn ich an die Seite denke, die hart und streng
erscheinen wird in meinem Leben mit den Kindern, kann mich eine
entsezliche Ungeduld überfallen nach den
künftigen um mir selbst recht anschaulich zu
machen daß mir das ganz gleich sein wird gegen alle wiewol
eigentlich mein innerstes Gefühl es mir sicher genug sagt.
Aber das harte und strenge wird nur eine kleine Seite sein
und Du hast gewiß recht Dir die süßesten Bilder von
Zärtlichkeit und inniger Liebe zu machen
zwischen den Kindern und mir. Sieh meine einzige Sorge wenn ich an das
ganze schöne Leben denke ist nur die, woher die Zeit
kommen soll, und wie man immer alles schöne täglich und
stündlich wird genießen können was da ist! Mir wird dann
immer zu Muthe sein als wenn das Feuer auf den Nägeln
brennte, und so ist mir immer am wohlsten.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Ist es nicht ganz wunderbar daß ich grade so gewesen bin wie Du Dich
beschreibst als Kind? ohne Liebe und dumpfen
Sinnes! Liebe und Religion sind
freilich eines, und so ist auch mir beides zugleich gekommen,
wiewol ich den Punkt nicht so genau angeben kann. Auch hat
es nachher gar oft mit mir gewechselt und ich bin ganze
Zeiten wieder in die
Dumpfheit
zurükgefallen. Aus meiner eignen Erfahrung heraus habe ich nun
schon oft kinder
Eltern getröstet wenn Kinder so hingingen, daß das Gute schon
aufwachen würde, und bis jezt habe ich immer recht gehabt.
So wollen wir nun auch uns nicht zuviel Sorge
machen. Eine Natur von edler Art wohnt doch in unsern
Kindern, und in
einer solchen muß ein frommes und liebevolles Leben auch
immer den gleichen Sinn erwekken früher oder
später.
– Aber einzige Jette so
schnell ist mir das Licht noch nie ausgegangen wie dieses
droht. Ich feierte nun gern noch das Lob was Du mir
gegeben hast wegen der brieflichen Liebkosungen aber ich kann nur
noch eine einzige Umarmung aufbringen und muß mich trösten
auf die Zeit wo es den Liebkosungen keinen Eintrag mehr
thun wird ob Licht ist oder nicht. Die schönste gute Nacht
und liebe Träume meine innig geliebte. | 62v
Donnerstag. Ich kann Dir nur noch Lebewol sagen
süßeste Jette und Vgl. Brief
.
[Schließen]
das neulich
vergessene Zahnpulver Recept hinzufügen welches ich Dir
sehr empfehle. Die Tinctur ist weniger wesentlich
und ich habe sie noch nicht erhalten.
Uebrigens ist das Recept nicht nur schon sehr bewährt,
sondern auch von meiner eignen Erfindung, worauf ich mir
nicht wenig zu gute thue. Vgl. Brief
.
[Schließen]Dein Stammbuch bekomst Du nächstens; ich habe es in der
Arbeit gesehn und es wird recht hübsch, nur etwas
zu stark aber das war nicht mehr zu ändern.
Grüße unsere Schwester Luise von Willich und Sophie Schlichtkrull
[Schließen]
Luise und Sophie
recht herzlich.
Nächstens schreibe ich ihnen
gewiß nur heute ist keine Möglichkeit mehr. Wie
gern wäre ich vorzüglich Weihnachtsabend und
Sylvesternacht bei euch. Ich weiß noch gar
nicht wo wir beide zubringen werden.
Am 10. 1. 1809 wurde
Adelheid Reimer
geboren.
[Schließen]
Mine Reimer
wird wahrscheinlich grade in dieser Zeit entbunden.
Ein Kind ist zwar das herrlichste
Weihnachtsgeschenk was sie dem Manne bringen kann aber
sonst ist das doch eine unbequeme Zeit. Am ersten
Weihnachtstag predige ich in meiner künftigen Kirche, da
kannst Du meiner auch gedenken. Vielleicht auch
am Neujahrstag Nachmittags. Gott sei mit Dir meine herzige
Jette und wenn Du fleißig an mich schreibst so küße Dir
die Hände recht zärtlich in meinem Namen, und wenn Du Dich
sehnst so denke wie ich Dir die Sehnsuchtsseufzer von den
Lippen küssen möchte. Lebe mir wol aufs zärtlichste umarmt
Du gute liebe Tochter und Braut. Ganz und ewig
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