Heidelberg. Am 25. Nov. 8.

 Zur Rezensionsanfrage vgl. Brief 2576, KGA V/9 von Philipp Marheineke (14. 11. 1807). [Schließen] Schon lange, mein Verehrtester, war mir aufgetragen, Sie an die Recension der Ihnen bekannten Bücher zu erinnern: nun aber haben wir beide uns nichts mehr vorzuwerfen, da ich mit dem Moniren ebensolange gezögert, als Sie mit dem Recensiren.  Friedrich Schlegels Rezension zu Friedrich Leopold Stolbergs „Geschichte der Religion Jesu Christi“ (Teil 1 und 2, 1806-1807) erschien in den „Heidelberger Jahrbüchern“ , 1. Jg., 1. Abtl. (1808), S. 266-290. Schlegels lobende Rezension Stolbergs, in der seine Wendung zum Katholizismus zum Ausdruck kam, wurde kritisch in der Redaktion diskutiert und man stellt ihr im ersten Heft des zweiten Jahrgangs eine anonyme Rezension von K. F. Rink gegenüber, der einige empfindliche Bemerkungen gegen Schlegel setzte: „Bemerkungen über einige Stellen in Fr. Schlegels Rezension“, in: „Heidelberger Jahrbücher der Literatur“, 2. Jg., H. 1, S. 3-12 (vgl. Einleitung in Friedrich Schlegel, KFSA VIII, S. CLIX-CLXV). Schleiermacher tauschte sich im Briefwechsel mit Brinckmann über Stolbergs Buch aus; während Brinckmann Stolberg lobte (ohne ihn gelesen zu haben), ist Schleiermacher, der Stolberg selbst auch noch nicht gelesen hatte, äußerst skeptisch, vgl. Brief und Brief. Schlegels Rezension fand allerdings auch kein positives Urteil bei Schleiermacher, was er Friedrich Schlegel auch selbst schrieb, vgl. Brief.  [Schließen] Indeß wenn Sie können, thun Sie es bald: Denn noch erfreuet sich unser Institut nichts dessen, was wir alle hier und draussen so gern von Ihnen gegenrecensirt(?) gelesen hätten. Ich gestehe, ich habe eine heimliche Furcht und habe auch diese Besorgniß bereits meinem Collegen Daub geäußert, daß Sie mit uns, d.h. mit dem Ton und der Tendenz unserer Jahrbücher, nicht recht zufrieden sind. Sollte aber auch bey Ihnen wie bey sovielen andern z.B. bey mir, die eine und andre Recension z.B. von Friedrich Schlegel über Stolberg, Anstoß erregt haben, so bitt’ ich Sie, dieß nicht der Redaction oder dem besondern Bestreben derselben zuzuschreiben, dem Institut gerade diese und keine andere Tendenz zu geben. Es ist vielmehr eine Liberalität derselben daran Schuld, die, wie ich schon mehrmals bemerkte, fast bis zum Indifferentismus geht und jezt erst, nachdem über jene Recension so verschiedentliche Urtheile im Publicum gehen, hat man von demselbigen Stolberg noch eine andere Recension besorgt. Ich bin hier für einen zu tüchtigen Protestanten bekannt, als daß man mich mit einem solchen Auftrag, der zugleich eine Antikritik Schlegels in sich faßt, hätte verschonen sollen und ich habe den Antrag angenommen und der guten Sache ein scharfes Wort geredet. Außerdem ist, wie ich höre, eine Recension jener Schlegelschen Recension eingelaufen, ohne verlangt zu seyn und man will auch diese im nächsten Heft abdrucken lassen, um Unpartheylichkeit genug zu beweisen.

 Vgl. Brief *2298 oder Brief *2401, KGA V/9. [Schließen]Als ich vor nun fast zwey Jahren hieherging, schrieben Sie mir, aus Heidelberg könne wohl mancherley Gutes kommen, so lange der Protestantismus dort Duldung finden werde. Und fürwahr, Ihre divinirende Ahnung ist nicht ganz ohne Grund gewesen: Denn das Verhältniß desselben zum Katholicismus ist seitdem hier schon äußerst mislich geworden. | 8v Dazumal war noch wie unser Grosherzog selbst, Alles fast protestantisch am Hofe: jezt ist die ganze Regierung katholisch und nur in den untergeordneten Stellen arbeiten noch einige Protestanten. Die hiesige theologische Facultät hat besonders jezt ein gar seltsames Verhältniß zu einer durchaus katholischen Curatel: doch muß das rechte Verhältniß nur, wie bisher, mit Muth und ohne Menschenfurcht behauptet werden. Inzwischen seh’ ich voraus daß nicht alle Glieder der Facultät sich künftig zur Zufriedenheit solcher Curatel betragen werden: aber nie könnte man einer protestantischen ein andres Ansinnen machen, als es zu seyn im vollsten und wo möglich, kräftigsten Sinne des Worts.

 Konrad Marheineke: „Universalkirchenhistorie des Christentums“ (1806); zu Schleiermachers Anfrage vgl. wohl Brief *2401, KGA V/9. [Schließen]Ob ich meine Kirchengeschichte fortsetzen werde, fragen Sie in Ihrem lezten Briefe? jede Erinnerung an dieses Buch betrübet mich sehr und schon darum kann ich es nicht über mich gewinnen, es fortzusetzen. Ein seit mehrern Jahren fast ausschließlich fortgeseztes Studium hat mich schon hinlänglich von der völligen Nuzslosigkeit und Untauglichkeit jener Arbeit in solcher Art überzeugt: es müsse eine ganz andere dem ersten Band ganz unähnliche Arbeit seyn, wenn ich mich entschließen könnte, sie fortzusetzen.  Die Untersuchung mündete in: Konrad Marheineke: „Christliche Symbolik oder historisch-kritische und dogmatisch-komparative Darstellung des katholisch, lutherischen, reformierten und socianischen Lehrbegriffs. Nebst einem Abriß der übrigen occidentalischen Religionspartheyen, wie auch der griechischen Kirche“ (Bd. 1/2: 1810, Bd. 3: 1813).  [Schließen]Ich habe mich aber schon lange fast ausschließlich auf einige sehr specielle dogmenhistorische Untersuchungen eingelassen, die den gegenwärtigen katholischen Lehrbegriff betreffen und mir einige für meinen Protestantismus überaus erstaunliche Resultate gegeben haben. Ich denke auf nächsten Sommer ein ausführliches dogmenhistorisches Werk herauszugeben.

Genug aber und schon zuviel von mir. Desto lieber ein Wort von Ihnen und über Sie, den ich mit meinem Freund Creuzer so oft zum Thema unsres Gespräches mache. Möchte doch bald das Heil, wo Sie wieder in academische Wirksamkeit eintreten könnten, recht nahe seyn: nun irgend bey Ihnen noch Hofnung dazu vorhanden ist, so ist recht gut, daß Ihren Freunden mislungen ist, Sie hieher zu bringen, wozu wir ohnehin erst Ihren Willen und Entschluß hätten haben müssen und jezt vollends würden Sie sich bey dem Ver | 9hältniß unserer Universität zum Staate vollends nicht aufs beste befinden, soweit ich Ihre Grundsätze hierüber kenne. Der Gallicismus wuchert und richtet an allen Seiten sich immer fester ein und aus allen alten und tüchtigen Formen entfliehet nun vollends das lezte Leben. Es ist eine betrübte Zeit für die Wissenschaft und ihre äußern Beziehungen: die Zahl unserer Studirenden nimmt auch schon merklich ab und wird es noch mehr, wenn im Norden das academische Wesen erst wieder eingerichtet und in den alten Gang gekommen ist.

 Gemeint ist ein Artikel in der Zeitschrift „Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser“. Dort war im 5. Jg. (No 188) auf S. 752 Schleiermachers Predigt in Königsberg kurz besprochen: „Am Sonntage predigte Schleiermacher in der Schloßkirche, aber sein ziemlich gedehnter Vortrag sowie etwas viel Affektation und Preziosität in der Sprache, nahmen gleich von Anfang an gegen ihn ein, und er ließ den Schüler Platons, den trefflichen Verfasser der Reden über die Religion, gar sehr vermissen.“  [Schließen] Daß Sie in Königsberg waren, hat mir der Frechmüthige erzählt: es muß unser Aller eifriges Streben seyn, in Blättern dieser Art getadelt zu werden. –  Die kritischen Schrift Heinrich Ludwig Plancks trägt den Titel: „Bemerkungen über den ersten Paulinischen Brief an den Timotheus in Beziehung auf das kritische Sendschreiben von Hrn. Prof. Fr. Schleiermacher“ (1808); die Rezension von Beckhaus erschien im 1. Jg. (1. Abt.), H. 3 (1808), S. 337-360. [Schließen] Der junge Planck hat mir neulich bey seiner Durchreise eine critische Schrift gegeben, die er gegen die  korr. v. Hg. aus: ihrigeIhrige über 1 Timotheus gerichtet hat. Sie haben Sie ohne Zweifel schon gelesen: auch über diese ist eine Recension bey eben dem Herrn Beckhaus in Iserlohn bestellt, der Sie in unsern Jahrbüchern recensirt: mich dünkt, wenn man Sie überwinden will, muß es noch auf eine etwas andere Art, nämlich auf die  korr. v. Hg. aus: ihrigeIhrige , allein geschehen. Indeß wollen wir nun begierig sehen, welches Resultat davon in die critischen Einleitungen zum N.T. eingehen wird. Möchten Sie nun aber vor allem Zeit gewinnen, sich auf einige Jahre wenigstens ganz allein der Theologie hinzugeben. Sie wissen am besten, welcher Reform diese große Wissenschaft bedarf und von wem könnte sie erwünschter ausgehen, als einzig von  korr. v. Hg. aus: ihnenIhnen ?

 Neben dem großen „Handbuch der christlichen Kirchengeschichte“ (Bd. 1: 1801, Bd. 2: 1802, Bd. 3: 1803, Bd. 4: 1806) schrieb Johann Ernst Christian Schmidt noch die „Grundlinien der christlichen Kirchengeschichte“ (1800), die unter dem Titel „Lehrbuch der christlichen Kirchengeschichte“ inhaltlich stark verändert als 2. Auflage 1808 erschien.  [Schließen] Zu denjenigen Schriften, welche  korr. v. Hg. aus: sieSie zu recensiren angenommen haben, soll ich Ihnen jezt noch Schmidts Compendium der Kirchengeschichte anbieten, (nicht das größere Handbuch sondern das Lehrbuch zweite Auflage 1808. die sogenannte erste Auflage war ein ganz andres Buch, nämlich zwey oder drey Bogen). Es wurde mir angetragen, aber ich schlug es aus; weil ich partheiisch scheinen könnte, wenn ich mich, wie ich doch müßte, gegen das Buch erklärte.  Marheineke spielt auf Schleiermachers Vorlesungen zur Kirchengeschichte 1806 an sowie auf die geplante Publikation „Kurze Darstellung des theologischen Studiums“, deren 1. Auflage 1811 publiziert wurde (KGA I/ 6, S. 243-446). [Schließen] Ich übernahm es nicht, es Ihnen anzutragen aus einem besondern Eigennutze, in der Erinnerung nämlich, daß Sie noch zu Halle | 9v einmal Vorlesungen hielten über die rechte Behandlung der Kirchengeschichte. Es schien mir die Anzeige dieses Buchs nun zugleich eine sehr gute Gelegenheit, uns mit dem wesentlichen Inhalt Ihrer damaligen Vorlesungen bekant zu machen und ich ersuche Sie nun außer im Namen der Redaction noch im Namen dieser Wissenschaft, es sobald als möglich zu thun. Es ist ja bey der Anzeige eines Compendiums nicht sowohl nöthig, alle einzelnen Irrthümer zu rügen, als den Plan und Organismus, besonders die Idee in Betrachtung zu ziehen, nach der es gearbeitet ist.

Leben Sie wohl, mein Verehrungswürdigster und möge der Himmel Ihnen alle Ihre Pläne gelingen lassen.

Marheinecke.

Zitierhinweis

2950: Von Philipp Konrad Marheineke. Heidelberg, Freitag, 25. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006779 (Stand: 26.7.2022)

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