Poseritz am Donnerstag

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Wie angenehm bewillkommete mich  Vgl. Brief . [Schließen]Dein liebes Briefchen vom 13ten bei meiner Ankunft hier. Ich danke Dir so herzlich daß Du dir die Zeit dazu nahmst.

Wir haben unsere Reise recht glücklich gemacht und von Bergen an hatten wir die angenehme Begleitung unsesrer lieben Lotte Pistorius deren Mann sich jezt leidlich befinden soll.   Es handelt sich um die Schriftstellerin Caroline von Günderrode, die unter dem Psyeudonym „Tian“ veröffentlichte. Ihre große Liebe war der Philologe und Mythenforscher Friedrich Creuzer , der sich nach einer schweren Krankheit von seiner Geliebten Caroline von Günderrode 1806 trennte, die sich anschließend das Leben nahm.  [Schließen] Sie theilte uns unterwegs die interessante Geschichte der Verfaßrin von Tians Poesien mit. Du kennst sie gewiß wie ihre Wercke. Eine unglückliche Leidenschaft für den Professor Kreutzer in Heidelberg hat sie zu dem Entschluß des Todes gebracht. Eine Freundin von Lotte hatte sie für Lotte aufgeschrieben und wußte sie durch einen Mann der in der Unglücklichen Nähe gelebt und ihre Verhältnisse genau gekannt hatte.

Mit inniger Freude hat unsere  Sophie Schlichtkrull [Schließen] Sophie uns wieder aufgenommen und mir ist auch sehr wohl dabei daß ich wieder hier bin. Hätte ich nur unsere lieben Götemitzer erst gesehn! Einen schrecklichen Schnupfen haben wir alle mitgebracht, ich bin ganz kümmerlich davon. Klein Jettchen ist ganz beßer.

 Vgl. Brief, bei den Schwestern handelt es sich wahrscheinlich um die Schwägerinnen Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich. [Schließen] Du süßer Ernst wenn Du mich so ordentlich frägst so muß ich dir wohl sagen daß meine außerordentliche Ruhe und Gelassenheit gar nicht gründlich wahr war sondern bloße Vernünftigkeit und eigentlich Folge der Unterredungen die ich mit den Schwestern über diesen Punkt | 69v hatte und denen nach ihrer Delikatesse es nun schon unmöglich vorkomt daß ich dir aussprechen könnte, ich habe Ungeduld nach dem neuen Leben. Ich aber stehe gar nicht an dir zu sagen daß ich mich oft ganz unendlich nach dir sehne daß mir die Zeit jezt auch wieder recht lang vorkomt obschon im ersten Augenblick als ich vom Mai hörte sie mir kurz dünkte. Ach süßer lieber Ernst und Ungeduld, viel stärker gewiß als du habe ich wircklich in Rücksicht auf   Henriette (Jette) Pauline Marianne von Willich und Ehrenfried von Willich (d. J.)  [Schließen]die Kinder , ich kann es oft gar nicht aushalten daß die lieben Wesen so von ihrem Vater und dem ganzen harmonischen für sie heilsamen Leben entfernt sind. Ach für Jette thut es auch sehr sehr Noth daß es nicht lange so bleibt, ich selbst bin gar zu unsicher in meinem Betragen gegen sie. Wie wird   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nannys Lustigkeit ihr gut sein. Ich kann es dir nicht sagen wie sehr ich oft um das Kind leide, welch ein schmerzvolles Gefühl mich ergreift wenn ich sie so in ihrem heftigen lieblosen Wesen versunken sehe. Es ist auch ein ganz eignes Kind – sie war neulich Abends so sehr unartig ohne Aufhören, war schon einmahl hinaus gesezt gewesen ganz ohne Erfolg, ich wußte nichts mehr mit ihr zu beginnen ich schob sie von mir, wollte nichts mit ihr zu thun haben und sezte auch hernach diese Härte fort daß ich sie beim zu Bette gehn nicht küssen wollte und nicht freundlich mit ihr sprach. Aber nun hättest Du sehn sollen den tiefen gewaltigen Schmerz der das kleine Wesen ergriff, ein | 70 Weinen – nein gar kein Kindesweinen so schmerzvoll aus tiefer Brust. Ich selbst konnte mich der Thränen nicht erwehren und des Kindes Anblick ihre Blässe und ihr ganzes Wesen bewegte mich ganz unbegreiflich, ich überließ mich nachher meinem Herzen ihre Thränen an meiner Brust zu trocknen indem ich sie liebreich ermahnte. Aber eine Unruhe konnte mich nicht verlassen ob ich nicht vorhin zu weit gegangen und ihr reitzbares Wesen zu sehr in Bewegung gebracht habe. Ach Ernst über die Unruhe ob man seinem Kinde auch schade, geht doch keine! Welch ein unaussprechliches Verlangen überfiel mich darauf nach Dir nach deinem väterlichen Auge das alles recht sehn wird! – Es ist mir das allersüßeste Bild wenn ich mir die  Kinder des Johann Ehrenfried von Willich und der Henriette von Willich [Schließen] Kinder denke mit liebender Verehrung an Dich hangend auf Deinem Schooße in deinen Armen sie sehe. Ja mein Ernst wie sehr hast du Recht daß in Jettchen frühe das religiöse muß geweckt werden – wie habe ich es selbst erfahren daß daraus ein ganz andres neues Leben hervor wachsen kann und wohl jeder Mensch hat dies mehr oder weniger in sich erfahren – Ich war ein so sehr unbedeutendes Kind ohne Liebe und dumpfen Sinnes – aber mit einer eigenen Freude gedenke ich der Zeit da meine erste Liebe sich entwicklete, die Liebe zum unsichtbaren Vater und ich ganz wie von neuem gebohren wurde und mein Sinn das Rechte und Beßte traf, so daß | 70v wenn ich jezt mir zurückrufe was ich damals still in mir erkannte, ich noch völlig damit übereinstimme und nichts als falsch verwerfen könnte. Ich fühle jene Zeit der Geburt des höhern Lebens immer recht eigentlich als Gottes Erbarmen über mich. Ich hing mit unbeschreiblicher Liebe und Sehnsucht an Gott und die genußreichsten Thränen flossen oft bei einem einfachen gellertschen Liede oder am Clavier wenn ich zu einem Adagio oder Andante einen selbstgemachten Text sang der immer nur frommen Inhalts war. So oft ich Gott mein Herz und mein ganzes Leben darbrachte so hatte ich doch nie irgend eine Bitte ihm vorzutragen als nur die daß er mein Herz reinige und bereichere. Ich war so ganz ohne Wunsch, ergeben in seinen Willen daß ich eben so freudig würde die Weissagung eines schmerzvollen Lebens empfangen haben als eines glücklichen. Und wie so durchaus heimlich und verborgen dies Leben war, daß ich keine Seele hatte die hieran hätte Theil nehmen mögen. Ich habe so oft denken müssen wenn Du damals schon mein Väterchen geworden wärest! Vielleicht habe ich Dir dies eben gesagte schon einmahl alles gesagt, ich weiß es nicht, aber wenn auch Du wirst doch mit Theilnahme mit mir in eine Zeit zurückgehn die mir so werth ist, so wie ich mich erfreuen werde an jeder Mittheilung einer bedeutenden Periode Deines Lebens – Mir | 71 ahndet auch daß Jette wird frühe Sinn für das religiöse haben obgleich es mir doch nicht immer ganz gewiß ist ob er sehr in ihr vorherrschen wird. Wie werde ich Dich segnen und wie wird Ehrenfried dich segnen für alles Schöne das durch Dich wird ins Leben gefördert werden.    Vgl. Brief , die Rede ist von Heinrich Christoph von Willich und Hermann Christoph Baier.  [Schließen] Das wäre recht herrlich gewesen wenn Du uns die Traurede hättest aufschreiben können, ich wollte daß du selbst uns trauen könntest – da das nicht geht so ist mir Willich auch der Liebste. Mit Herrman; das ginge auf keinen Fall.    Das glaube ich nun doch nicht mein Lieber daß ich  lies: dir darin [Schließen]dir; darin folge deine Kirche zu versäumen um Andre zu höhren, ja wohl wollen wir immer darüber reden und ich zweifele nicht daß ich dir nicht immer sollte etwas zu sagen haben  korr. v. Hg. aus: daßdas mir besonders lieb gewesen in Deiner Predigt

Mit Ehrenfried war es auch so, er mochte auch gerne mit mir reden wenn er aus der Kirche kam wir machten dann gewöhnlich einen Spaziergang. Ich durfte ihm immer alles sagen wie mir es gewesen war. Er hatte sich sehr vervollkommnet in der lezten Zeit – ich zweifle daß er so gut schon gepredigt als du ihn gehört hast. Er hätte gewiß sehr viel Schönes in einer Gemeinde wirken können –  Ehrenfried von Willich war Millitärpfarrer [Schließen]in jener war wohl wenig möglich. | 71v

Abends.

Mein geliebter Ernst ich bin freilich schon recht müde und verlange nach dem Bette aber ich muß mir doch das Vergnügen machen noch ein bischen an Dich zu schreiben. Ach Lieber ich werde doch gar zu glücklich sein wenn ich erst bei Dir bin, gieb mir auch recht liebe Küsse heute Abend, mir ist heute gar zu wohl indem ich mich an Deine Seite träume – Siehe ich kann es doch hier Sophien und  Luise von Willich [Schließen] Louisen gar nicht recht aussprechen wie glücklich ich bin und wie unendlich ich Dich lieb habe – Sie sind noch gar zu sehr voll Wehmuth und es ist mir immer rührend wenn Sophie sich überwindet, von der Zukunft von meiner Einrichtung und dergleichen zu reden sie ist immer im Kampfe mit Thränen, und so wird es auch sein wenn Du hier bist, jede Liebkosung selbst, die sie wahrnimmt wird sie wehmüthig aufregen ach und der Abschied ich mag nicht daran denken!

Wie es mir fatal ist daß ich gar nicht ordentlich Dir über das Haus schreiben kann denn große  Henriette Herz [Schließen] Jette komt mir bei der Berathschlagung ganz unentbehrlich vor. Sie hat mir mehrere mal geäußert sie habe an 2 Zimmer  Brenna de Lemos [Schließen] Brennas wegen nicht genug. Und dann lieber Ernst weiß ich es nicht recht wie Du es mit Nannys Zimmer meinst, ob sie recht eigentlich ein eigenes Zimmer zu haben wünscht oder ob du es nur so meinst und ich mit den Kindern auch drin sein könnte wenigstens den größten Theil | 72 des Tages. Denn wenn die große Stube unser beßtes Zimmer sein soll und also immer in Ordnung wenn Leute uns besuchen und überhaupt hübsche Möbeln hinein gesezt werden soll, so sehe ich nicht wie sich das vereinigen läßt wenn sie grade auch Kinderstube sein soll. Ich würde es sehr hübsch finden wenn Nannys sogenannte Stube ihre und meine und der Kinder Stube wäre, und wir Nachmittags beim Theestündchen und immer wenn Jemand bei uns käme in das große Zimmer zusammen wären. Wollte Nanny aber lieber eine eigene Stube haben könnte sie sich dann nicht das untere Zimmer einrichten und wir dem ohngeachtet doch darin eßen? Du thust mir nun aber die Liebe, wenn Nanny es sich anders ausgerechnet und ihr das andre lieber ist nehmlich die obere Stube für sich zu haben – und sagst ihr hiervon kein Wort, ich schreibe dir so frei hin wie es mich dünckt du mußt das aber von mir wissen daß so bald du mir sagst das andre ist besser um Nannys Willen ich auch ganz und gar damit zufrieden, und ich möchte für keinen Preis daß Nanny es weniger gut haben sollte wenn ich dort bin als jezt. Sage mir aber wie wird es damit daß das Gesinde Zimmer nicht | 72v geheizt werden kann. Das Mädchen kann doch nicht in der Kälte sitzen? eine Speicherkammer bemerke ich auch nicht, da aber keine da ist so denke ich mir daß Ihr bei Eurem Wirthschaften keine gebraucht.

Sonst kann ich mir das Haus sehr niedlich denken was mich nicht wenig freut. Kann es mir so lebhaft vorstellen wie mir immer wohl sein wird wenn ich so zu Dir in dein Zimmer komme, sei es mit dir zu plaudern oder auch nur still um Dich zu sein und zwischen deinen Büchern zu stöbern. Die mußt du doch suchen alle im Zimmer zu lassen Du kannst ja alle Wände damit bekleiden. In eines Gelehrten Zimmer können mir nicht zu viel Bücher sein, mir ist dann zu Muthe als möchte ich mich für eine Zeit lang darin begraben. Erinnerst Du dir noch wie Kosegartens Zimmer aussah? Und dann mahle ich mir auch so oft die Dunckelstunde aus wie Du dann gewiß die Kleinen auf dem Schooße und auf den Beinen sitzen hast und ihnen erzählst und sie spielend unterrichtest. Und dann des Abends wenn die Uebrigen sich schon von uns getrennt haben und Du dann so recht für mich lebst und  lies: mir mitheilest  [Schließen]mit mittheilest aus der früheren Zeit und wir lange noch lieb und traulich plaudern – Du lieber Ernst wie kannst Du mich nur so fragen ob ich mich auch sehne!

Ach ich sehe schon mein Brief wird wieder unerhört | 73v lang. Wie soll ich es machen daß ich die Kunst lerne so zu schreiben wie Du, kräftig und viel gesagt in wenig Worten.

 Vgl. Brief. [Schließen] Ich freue mich daß Du nun auch mit der Israel in Briefwechsel bist, besonders ihretwegen, die so wenig hat, wodurch sie sich erheben kann. Es ist recht viel daß sie den höhern Sinn so in sich bewahret hat unter den dumpfsinnigen Stralsundern. Aber süßer Ernst das mußt du doch nicht glauben daß sie so ist als unsere herrliche Pistorius ! was sie uns giebt ist gewiß wahr und ihr Eigenes aber sie bringt gern in goldenen Schaalen dar was sie giebt. Sie hat ein gewaltiges Idealisiren z.B. ihre kleine Emma die wohl ein recht liebes holdes Kind sein mag, sieht sie so ganz außerordentlich und ich halte sie dabei nicht frei von Eigenliebe und von allem Künsteln. Ich glaube ich habe immer recht klar in ihr Leben hineingesehen – und liebe sie sehr. Aber das mußt Du doch nicht sie in die Reihe stellen unserer allernächsten Freundinnen. Du kannst gewiß viel auf sie wirken und darum freue ich mich Eures Bundes sehr, wir wollen sie recht an uns halten, sie ist sehr arm. Vergieb mir dies gesagte.

 Vgl. Brief. [Schließen]Nein mein liebes Väterchen ich bekomme alle Posttage einen Brief wenn Du alle Posttage schreibst. | 73 Deine Briefe gehen immer 9 bis 10 Tage und es ist gleich ob Du Donnerstag oder Sontag schreibst. Schreibe doch immer so oft Du magst. Noch eins bitte ich Dich laß dir das nicht unangenehm sein was ich über unsere Zimmer geschrieben und besonders störe Nanny nicht in ihrem Plan. Nun gute Nacht Du lieber Herzens Mann schließe mich nur immer recht innig an Deine Brust – ich habe ja keine liebere Stelle unter Gottes weitem Himmel. Ich drüke deine Hand mit aller Liebe an mein Herz und erflehe Gottes Seegen über Dich und mich und unsere Kinder und unsere Lieben.

Deine Jette.

Lieber Ernst ich schicke Dir hier einen Lebensschein für die Wittwenkasse, für den October habe ich noch 20 Thaler zu fordern wenn sie ausgezahlt werden sollten so nimm sie doch an Dich und verwende sie um das Leinen in Schlesien zu bezahlen freilich reichen sie wohl lange nicht zu, ich hoffe aber auch jezt daß mein  Friedrich von Mühlenfels [Schließen] Bruder mir wenigstens meine Zinsen wird auszahlen können. Beifolgendes Blatt von Willichs Hand hat er an Deinem Geburtstag auf Deinen Nahmen gemacht nachdem er Dich hoch hatte leben lassen rückte er hiermit heraus. Habe ich Dir auch alle Grüße recht bestellt von Herrman und von Tante Baier und von Theodor von Lotte Schwarz und von der  wohl Philippine Hahne [Schließen] Hane . Du könntest wohl eins bei der  Wilhelmine Gaß [Schließen] Gaß anhöhren was eigentlich von Hasselbach an ist . Sie soll ja eine vertraute Jugendfreundin von ihm sein. Lebe tausendmahl wohl

Zitierhinweis

2949: Von Henriette von Willich. Poseritz, Donnerstag, 24. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006778 (Stand: 26.7.2022)

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