Sagard den 17t Nov. 8

18.

Sehr leid ist es mir daß du so wenig in dieser Zeit von mir erfahren hast, die Schwierigkeiten mit der Post haben mich sehr gestört.  Vgl. Brief 2921 und Brief 2923. [Schließen]Du siehst daß ich schon in Wieck an Dich geschrieben hatte und welche Pause wird entstehn ehe du diesen Brief erhältst –  Vgl. Brief 2904, 4 – 9. [Schließen]Aber recht küssen möcht ich Dich dafür und es hat mich außerordentlich gefreut daß du ordentlich ein bischen Ungeduld gehabt da mein Brief so lange ausblieb. Süßer Ernst ich muß mich nun schon ein mahl in das Wunder finden, obgleich es mir noch immer eines bleibt, daß Du mich so lieb haben kannst und meine Briefe Dir Freude machen können.  Vgl. Brief 2898, Brief 2904 und Brief 2910. [Schließen]Denke nur ich habe heute drei an der Zahl von Dir hier vorgefunden, meine Freude und mein Genuß war unbeschreiblich – ich hatte in Wieck recht geschmachtet und wohl gehofft nach Deinem Versprechen daß hier welche liegen würden, ich fand hier No 17 18 und 19. Mir ist sehr wohl daß ich wieder hier bin  Vgl. Brief 2904, 85 – 89. [Schließen]Du hast gut prophezeiet daß mir dort beklommen sein würde bei der unveränderten Güte und Freundlichkeit die man mir dort bewies wuchs doch je länger je mehr meine Sehnsucht nach dem lieben Sagard . Seit heute Nachmittag sind wir nun hier; unser  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jettchen hat seit einigen Tagen wieder etwas Fieber und Du kannst denken daß ich nicht ohne Unruhe die Reise mit ihr gemacht, aber ich konnte mich doch nicht überwinden dort länger zu bleiben. Ich hoffe auch es soll ihr nicht weiter geschadet haben und ihre Krankheit nur unbedeutend und vorüberge | 61vhend sein, jezt schläft das Kindchen so ruhig hier neben mir.  Ehrenfried von Willich (d. J.) [Schließen] Friedchen ist sehr wohl und munter. Lotte Schwarz kam am Dienstag zurück sehr heiter und voll schöner Hoffnung. Hasselbach denkt fürs erste in Stetin zu bleiben, er hat Zulage bekommen und nimmt im Institut an welches Bartholdi und Krüger errichtet haben. Lotte wird seine Mitarbeiterin sein.  Charlotte Schwarz [Schließen] Lotte gefällt mir sehr, sie ist so offen und wircklich herzlich froh – es war ein rührendes Wiedersehen mit  Eleonore und Friederike Schwarz sowie eine weitere Schwester oder aber die Schwägerin Philippine Schwarz [Schließen] Mutter und Schwestern .  Philippine Schwarz geb. Ha(h)ne  [Schließen] Philippine ist ganz die alte gegen mich gewesen, sonst habe ich sie verändert gefunden und so daß er mich schmerzlich war, sie ist noch stiller und verschloßner als vorher: Im Wiecker Hause ist sie freundlich aufgenommen von den Alten und herzlich von den Schwestern . So ist es nicht mein Ernst daß sie sich gegen mich ausklagen sollte obschon ich ihr gewiß sehr nahe bin, und sie mir das oft fühlen läßt, sie deutet höchstens nur an – Es hat mir wehe gethan daß ich keine Freude fühle über ihre Verbindung mit Theodoren ohne daß mir klar machen kann warum nicht, ich hatte sie sehr [lieb] ehe ich sie beide gesehen hatte. Sie sind recht innig mit einander – aber man fühlt dort doch keine Frische und Fülle – kurz es hat mir nicht recht wohl gethan und Philippine ist solche herrliche reiche Seele! Auch wäre sie nicht so geknickt!  Theodoren habe ich auch predigen hören, und er war mir recht lieb dabei, obwohl  Hermann Baier [Schließen] Herrman lieber. Wenn Du mich etwas schelten wirst daß ich so lange in Wieck blieb ohne daß es mir recht gemüthlich war, so hast Du ganz recht. Ich bin darin gewaltig schwach | 62 daß ich freundlichen Bitten nicht wiederstreben kann selbst wenn ich fühle daß ich ohne Noth dabei  korr. v. Hg. aus: aufoffereaufopfere.  Vgl. Brief 2910, 133 – 141. [Schließen]Ich bin etwas neidisch darauf daß du meine Briefe so für Dich behalten kannst. Siehe ich kann das nicht, ich theile natürlich nur stellenweise mit aber Alle die mir nahe sind machen darauf auch Anspruch, es ist hier gar zu sehr Mode sich alles mitzutheilen ich thue es wircklich gerne wo ich es thue, es geschieht ja nur lieben Menschen, aber noch lieber unterließe ich es fast ganz. Ich will Dir ordentlich beichten wem ich aus deinen Briefen vorgelesen habe. In Wieck nur Philippinen und Lotten . Erstere hat sich so sehr an den Briefen gefreut die Du mir nach  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfrieds Tode geschrieben, sie hat sie auch Theodorn vorgelesen, überhaupt hat man sich in Wieck nur sehr theilnehmend über Dich geäußert. Lotte drang so in mich ihr von Dir mitzutheilen und auf so herzliche Art daß ich es nicht abschlagen konnte, und wollte immer mehr hören so daß ich ihr ziemlich viel vorlas. Aber nachher hat mich das gereut, welches mir eine sehr unangenehme Empfindung gab und mich gewiß vorsichtig machen wird mich so nicht wieder hinreißen zu lassen. Die Empfindung ist freilich ohne Grund denn sie meint es gewiß herzlich und aufrichtig. Außerdem habe ich nur noch Tante Baier der  Amalie Hahne [Schließen] Hane hier, Lotte Pistorius und den  Da sie aus Sagard schreibt, sind wohl die Schwester ihres verstorbenen Ehemanns, Mariane von Willich, und ev. die Frau seines Bruders, Charlotte von Willich, geb. Cronhelm, gemeint. [Schließen]Schwestern mitgetheilt nun weißt Du es Alles. Von nun an geschieht es auch nicht mehr als wenn es mich recht dazu drängt, denn Jedem ist nun sein Recht geschehen etwas von Dir zu erfahren – Die liebe Tante Baier leidet viel durch ihre Tochter die auf Wittow verheirathet ist; diese kränkelt unerhört und ist auf das | 62v äußerste verzogen auf die Mutter, giebt überhaupt der Mutter zu viel traurigen Besorgnißen Anlaß. Heute ist sie mit uns von da gereist. Wie stimte sie ein zu den Worten daß unter Euch Beiden eine stillschweigende Verbindung statt fände! sie hat Dich sehr lieb.  Mein Herzens lieber süßer Ernst Deine Briefe machen mir doch gewaltige Freude! Ich denk immer Du weißt es doch noch nicht wie ich dich liebe wie ich so ganz dein bin –  Vgl. Brief 2904, 116 f.  [Schließen]ganz unerhört gut soll ich Dir sein und mich auch nach Dir sehnen? Ernst mein lieber trauter Mann weißt Du es denn nicht daß ich Dir über alle Begriffe gut sein muß um so Dein sein zu können? und soll ich Dir das noch erst sagen wie ich mich nach Dir sehne, wie unendlich oft – wie ich sitze und von Dir träume so daß ich mich oft erschrecke indem ich denke die Leute sehen mir wohl was an. Ja es wird ein unaussprechlich süßes heiliges herrliches Leben werden – Ernst Du bist doch ein ganz einziger Mensch, ich wundere mich oft wie ich sonst schon glaubte Dich recht zu kennen und nun noch immer liebes und neues sich mir enthüllet. Denke nur nicht Du könest mir jemals zu unbändig und wild sein wie Du es nennest; so wenig ich sie besitzen mag so sehr zieht mich die Lebendigkeit in Deiner Natur an. O Ernst es ist so etwas Köstliches die ungetheilte reine innige Liebe eines Mannes wie Du zu besitzen, daß ich ganz davon überschüttet werden kann – wie mein ganzes Wesen in Dein edleres hinein wächst und von Dir empfängt und sich nährt – das kann ich nur fühlen aber gar nicht recht | 63 sagen. Wäre Dir nur auch wircklich ganz so wohl an meiner Brust wenn wir uns wiedersehn als Du es Dir nun träumest!

 Vgl. Brief 2898, 99 – 101. [Schließen]Mein süßer trauter Ernst! bisweilen wache ich gewiß noch wenn Du zu Bette gehst und denckst ich schlafe schon.  Vgl. Brief 2898, 19 – 35. [Schließen]Ich gehe oft recht spät zu Bette, oft frühe. Nun will ich es aber und will mir versparen was ich noch mit Dir zu plaudern habe. Ich sage Dir eben so lieb und süß gute Nacht als du mir oft – ja süßer Ernst wenn Du künftig zu Bette gehst und ich schlafe schon mußt Du mir immer noch liebe Küsse geben und es darf dir nicht leid sein mich zu wecken denn ich kann im Augenblick wieder einschlafen. Ach träumen kann ich leider auch nicht von Dir, aber ich habe auch überhaupt selten klare und hübsche Träume. Das habe ich längst aufgegeben einen Zusammenhang zu finden zwischen meinen Träumen und dem was mich am meisten bewegt. Süßer Mann heute Abend kann ich kaum mich losreißen – ich möchte immer die liebe Hand halten und in die lieben Augen hinein sehn – schlafe recht süß und denk auch an mich.

Freitag Abend.

 Vgl. Brief 2910, 47 – 49. [Schließen]Das finde ich ganz herrlich an Dir daß du gar nicht Dich anzustrengen brauchst, Dich in allem so ganz darfst gehn lassen. Ich glaube recht wohl ist Einem auch nur mit solchem. Herrman sprach neulich zu mir davon wie er sich in diesem Punkt geändert habe und wie viel wohler ihm sei seit er sich nicht mehr anspanne | 63v sondern in seinen Arbeiten seiner Neigung folge.

Ehrenfried ließ sich auch immer ganz gehn das hast du wohl an ihm gekannt. Ich war aber früher nicht immer mit mir darüber einig ob es das beste sei, ich hatte oft den heimlichen Wunsch er möchte seine Thätigkeit weiter ausbreiten was er seiner Natur nach doch wohl nicht ohne Anstrengung gekonnt hätte.

 Vgl. Brief 2904, 66 – 70. [Schließen]Du lieber Ernst wie Du an Allem Theil nimmst! Ja ich habe alle Papiere des theuren Mannes aufbewahrt, aber nicht darin gekramt sondern nur zusammen gepackt um erst mit Dir gemeinschaftlich alles auszusuchen. Das ist Dir doch auch recht?

Ich gestehe Dir ich bin gerne schnell hinweg geeilt über alles was ich aufzuräumen hatte aus der vergangenen Zeit – des lieben Mannes Bild ward freilich lebendig dadurch in mir aber auch die lebhafte Erinnerung an die Zerstörung – am liebsten denke ich mir doch unseren Ehrenfried von allen menschlichen frei wie von allen irdischen Verhältnissen – als reinen Engel nur liebend und segnend. In dem Denken an ihn wie er menschlich lebte kann es mir bisweilen vorkommen als sähe er mich mit wehmüthiger Miene an daß ich so ganz glücklich sein kann ohne ihn daß ich nicht mehr das schuldige Opfer der Thränen ihm bringen kann – Daß alle Sachen die er lange benuzte mir theuer sind und ich ungern sie in fremde Hände lasse kannst | 64 Du dir denken, doch soll das ganz auf Dich ankommen. Vgl. Brief 2910, 56 – 61.  [Schließen] Ich gestehe Dir ich hatte nicht gewünscht die Bettstellen möchten die unsrigen werden, ich hatte ein dunkles Gefühl dagegen, aber da Du es willst so soll es mir auch recht sein. Ach weißt Du daß Ehrenfried in der Einen gestorben ist? daß sich daran sehr schreckliche Bilder knüpfen kanst Du denken, ich weiß es nicht aber ich glaube doch nicht daß sie jemals zu sehr mich angreifen sollten. Wie Du entscheidest so soll es mir auch am liebsten sein. Wirst Du wohl gerne von Ehrenfrieds Kleidern tragen? ich habe noch ein gutes schwarzes Kleid und noch andre Sachen für Dich aufgehoben, mir würde es Freude machen. Ändern wirst Du alles lassen müssen. Es ist noch ein Oberrock da von hellem Tuch sage mir ob Du den wohl gut anwenden könntest ich wollte mir sonst was daraus machen lassen es wäre mir aber fast lieber wenn Du ihn brauchen köntest. Antworte mir hierauf.

Unser Jettchen bessert sich schon, sie war nicht bettlägerig aber doch sehr unwohl. Ich hoffe sie wird in einigen Tagen wieder frisch sein daß ich nicht nöthig habe meine Rückkehr nach Poseritz aufzuschieben die am Dienstag fest gesetzt ist.

Ich selbst habe mir Schnupfen und Husten auf der Reise geholt und fühle daß ich mich in Acht nehmen muß welches mir innerlich zuwieder ist wenn ich nicht so | 64v viel wieder leiden will an Zahnschmerzen wie vergangenes Frühjahr. Bisher hat es sich nur angemeldet.    F. Schleiermacher: „Predigten. Zweite Sammlung“ (1808)  [Schließen]Deine Predigten habe ich Herrman gelassen und dann wollte Lotte Schwarz sie auch gerne haben. Herrman gab mir seine Antrittspredigt beim Abschied die ich dir gerne vorläse. Du interessierst Dich gewiß auch für Hermanns Verbindung und so will ich dir noch erzählen daß Kosegarten sein Herz gegen Lotte Schwarz ausgeschüttet darüber daß er gar nicht wisse wie er dran sei. Allwine habe sich ihm noch nicht entdeckt, er wisse nicht liebe sie Herman oder nicht und Herman habe in mehreren Wochen nicht geschrieben so daß er fast glauben müße es gehe das Ganze wieder auseinander. Lotte hat ihm nun gerathen mit Allwine zu reden und ihr Vertrauen als Vater zu fordern, das hat er dann auch wollen. Uebrigens soll Allwine sich zu ihrem Nachtheil verändern, so städtisch und weltlich werden – Hermann leidet gewiß viel.

Die Hane bittet Dich ihr auch das botanische Buch zu verschaffen, doch um des Portos wegen verlangt sie es nicht früher als bis Du es ihr mitbringen kannst. Vergiß es auch nicht. Auch sind hier eine Menge Frauen die alle Kleider von Schlesischer Leinwand zu haben wünschen. Doch fürs erste nur Proben, und den Preis zu wissen. | 65  Vgl. Brief 2910 und Brief. [Schließen] Höre süßer Ernst ich weiß nicht recht was ich für eine Miene dazu machen soll daß Du mich frägst „ich soll Dir doch wol nicht auch poetische Briefe schreiben“? ich will Dir hiermit sagen daß ich etwas empfindlich bin daß Du mir ganz deutlich sagst daß Du glaubst ich lege Werth auf schöne Phrasen und Schnickschnack und dann könte ich auch wohl empfindlich sein, wäre ich nicht selbst so voll Demuth und erkennete daß ich gar über so etwas nicht urtheilen kann, darüber daß obgleich ich Dir schrieb Hasselbachs Briefe wären recht schön gewesen, Du doch ohne das geringste davon zu wissen, voraussetzest daß es Schnickschnack gewesen ist – Ueber meine Briefe sprichst Du hernach freilich recht süß – Du Lieber wie können sie Dir aber so sehr werth sein, mir ist jedes mahl in dem ich couvertire so zu Muthe, der Umstände ist es doch wahrlich nicht werth, und dann dencke ich auch wol zuletzt warum habe ich nicht alles ein bischen zierlicher und netter eingekleidet – aber nein das unmittelbare wie es in die Feder komt ist mir just lieb beim schreiben an Dich, ich könnte gar nicht anders an Dich schreiben, mit dem zierlichen und netten war auch nur Scherz das ist nun ja gar nichts, aber  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich manches höchst unvollständig ausgeredet so daß ich mich nur damit tröste daß du mich schon durch und durch kennest und selbst ergänzen kannst, und an andern Stellen wieder die langweiligsten Worte gemacht das weiß ich oft selbst recht gut, aber ich kümmere mich darum weiter gar nicht.

Ich plauderte noch gerne viel mit dir aber – | 65v dauert es noch lange ehe ich zu Bette komme so schmilzt mir das eingebrannte Licht den Leuchter aus – lebe wohl mein Väterchen – so viele und so lange Küsse noch als Du willst – Du wirst nicht gar zu viele wollen, o Gott süßer Ernst wie lieb habe ich Dich doch.

Guten Morgen mein Lieber! Ich will nur jezt meinen Brief fertig machen denn ich habe noch mehrere zur morgenden Post zu schreiben. –  Vgl. Brief 2904, 74 – 79. [Schließen] Ja wohl war der Gang nach dem Dobberworth schön! mir war auch ganz besonders wohl. Ich war eigentlich in der Zeit in einem beständigen Wanken zwischen Glauben an Deiner Liebe und Zweifel daran. Oft kamst Du mir auch so sehr gleichgültig vor, und besonders war mir oft wenn Du mich liebtest würdest Du wohl unwillkührlich etwas dazu thun trauliche Augenblicke zu verlängern oder gerne mich bisweilen allein sprechen welches ich nie gemerckt habe – Dann aber mochte ich es auch wieder erstaunlich gern daß Du immer alles so gehn ließest und nie etwas berechnetest und herbeiführtest. Wie mir das in deinem ganzen Thun so etwas außerordentlich liebes ist.    Vgl. Brief 2904, 122 – 125. [Schließen]Wie nahe geht es mir daß ich nun nicht auch communiciren kann mit Dir zugleich mein theurer Ernst.  Vgl. Brief.  [Schließen]Du weißt nun schon daß ich es eben mit den Schwestern gethan habe. – Im Frühjahr wir beide hier zusammen nicht wahr? Uebermorgen ist dein Geburtstag ich werde mit vieler Liebe bei Dir sein und hoffe Du wirst mir selbst mit lieben Worten nahe sein. Den Kindern werde ich den Tag ein bischen festlich machen. | 66 Wie danke ich Dir daß du mich so in deine tiefsten Anschauungen einweihest – noch manches redete ich gerne mit Dir über diese Punkte aber ich will mir das zum mündlichen versparen. Hier will mir Niemand zugestehen daß mir Jette ähnlich ist, sondern sie soll ganz  Mariane Regina von Willich [Schließen] Ehrenfrieds Mutter gleichen im Innern und Äußern – Es wird sich ja mit der Zeit deutlich zeigen wer Recht hat. – Klagen muß ich Dir daß es mit dem Beschäftigen nicht so gut geht als ich Anfangs glaubte, sie ist gar nicht fest zu halten wenn man Ordnung und Besonnenheit fordert, sie will nur spielen und es ist ihr äußerst langweilig wenn sie aufmercken soll. Nur mit dem Erzählen kann man gewiß viel bei ihr thun und es thut mir recht leid daß ich nicht erfindungsreicher bin und es mir an allen Hülfsquellen fehlt. Uebrigens geht es ziemlich gut mit ihr und sie ist recht thätig in ihrem eigenen freien Spiel – Lieber Ernst was muß es für ein Genuß sein so ein thätiges Leben zu führen wie Du, ja wohl ein rechter Theil des Lebens liegt für Dich noch in dieser Zwischenzeit ehe wir uns sehen. Du glaubst nicht wie ich das Alles mit Dir genieße. Mir ist so manche Stunde erschrecklich leer, und habe es dann nur selten in meiner Gewalt etwas ordentliches kräftiges für die Seele darauf folgen zu lassen – das geht den ganzen Tag so hin Handarbeit und Kinder warten, das ist ja auch recht gut und ich sollte zufrieden sein aber ich bin bisweilen ganz herunter ganz elend wie   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny sagt, und krank vor Sehnsucht | 66v nach etwas andrem, nach kräftiger Kost. Mein inneres Leben ist wircklich ganz arm und leer wie du es dir gewiß nicht denckst, bloß Du giebst ihm Nahrung und deine Briefe Aufregung – Du siehst wie sie mir wohl thun müßen und darfst nicht mehr fragen ob ich nach Dir verlange. Ach Ernst ich werde wie in eine andre Welt gehoben sein!  Kannst Du Dir wohl vorstellen daß mir bisweilen bange sein kann bei allem dem reitzenden in der großen Königsstadt ? Daß es mich nehmlich zu sehr anziehen könne grade wegen der Neuheit und weil ich eigentlich sehr viel Sinn und Neigung für Vergnügungen der Art habe. Gar vieles was wir sonst geniessen könnten werde ich für meine Person mir doch der Kinder wegen versagen müssen. Gar lebhaft kann ich es mir vorstellen wenn zum Beispiel interessante Männer bei Dir sind und ihr redet so daß ich auch folgen kann wie es mir dann erschrecklich schwer wird fortzugehen wenn die Stunde schlägt daß die Kinder mich fordern daß ich sie zu Bette bringen muß oder dergleichen ich habe das schon bisweilen erfahren und ich muß mich dann recht zusammen nehmen um so gerne zu den Kinderchens zu gehen als ich es doch immer thun sollte. Ach mein lieber lieber Mann sei mir auch recht gewaltig gut und laß es Dir nicht fatal sein daß mein Brief so lang geworden. Die herzlichsten Grüße von Allen.

Deine Jette.

 Marianne von Willich [Schließen] Mariane hat sich sehr gefreut.

Grüße meine liebe Nanny .

Zitierhinweis

2928: Von Henriette von Willich. Sagard, Donnerstag, 17.11. bis Sonnabend, 19. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006757 (Stand: 26.7.2022)

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