Berlin, den 10. Nov. 1808. Was aber uns beide betrifft, liebe Schwester, so mußt Du es ja wol fühlen, daß ich Dich herzlich und brüderlich liebe, daß mir alles immer willkomen ist, was Du mir mittheilst, je mehr Du mir recht das Innere Deines Herzens darlegst, desto lieber, und daß ich Dir gern recht viel sein möchte für Dein ganzes Leben. Aber sieh nur, Du thust mir ja Unrecht, wenn Du überall willst das Maß von  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried's Liebe anlegen. Du mußt ja rechnen auf die unmittelbare Sprache der Natur, auf ein Zusammenleben von Kindheit an, darauf daß Ehrenfried nicht nur weit genauer wußte, wie alles in Dir ist, sondern auch wie es geworden war. Und ebenso kannst ja auch Du mich nicht so ganz im einzelnen verstehen, wie Du Ehrenfried verstandest, und, es kann Dir leicht begegnen, daß Du auch die Liebe, die in mir ist für Dich, nicht immer ganz so wahrnimmst. Laß uns das nur immer recht im Auge behalten und uns immer mehr zu nähern und zu einigen suchen, so werde ich auch gegen Dich seine Stelle immer besser vertreten können.

Daß Du wehmüthiger empfindest als die anderen bei meiner Verbindung mit  Henriette von Willich [Schließen] Jettchen , bei Deiner Trennung von ihr und den   Henriette Pauline Marianne und Ehrenfried von Willich  [Schließen] Kindern , das ist natürlich, und stelle Dich nur selbst nicht darüber zur Rede. Laß Dir daran genügen, wie wir es thun und uns herzlich daran freuen, daß gegen unsere Verbindung Dein Herz nichts einzuwenden hat, und daß, wenn Du recht rein und mit Deinem ganzen Wesen empfindest, Du Dich mit uns freuen kannst. Und was die Trennung betrifft, so halte nur das recht fest, daß es mein schönster Beruf ist, der Kinder recht eigenthümliches Wesen herauszubilden und also auch alles, was in ihnen Ehrenfrieds Erbtheil ist, und das ist es ja, worauf Du den größten Werth legen mußt.

 Vgl. Brief 2927, 82 – 85. [Schließen] Rät ihr den Winter über in Poseritz zu bleiben, da sich Henriette von Willich darüber sehr freuen würde.

Zitierhinweis

2914: An Luise von Willich. Berlin, Donnerstag, 10. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006743 (Stand: 26.7.2022)

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