Berlin d. 9t. Nov. 8

No 20.

Eben liebste Jette bin ich fertig geworden mit der inliegenden Zeichnung des Kanonierhauses. Gesehen habe ich es nun freilich nicht, sondern nur   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny und ich habe nach ihrer Beschreibung gezeichnet so gut ich mit der bloßen Feder ohne Lineal und Zirkel konnte. Einen Fehler aber mußt Du gleich abrechnen daß ich nemlich das Haus verhältnißmäßig zu lang und nicht tief genug gezeichnet habe. Es ist mehr vierekig und Du mußt Dir also alles ein wenig schmaler und etwas tiefer denken so daß zum Beispiel der Saal nicht so länglicht ist, auch die Kammer neben meiner Stube nicht, und meine Stube selbst und die Eßstube ganz vierekig; auch der Flur und das Kabinet sind schmaler. Ueberhaupt mußt du dir nur alles nicht groß denken denn es ist ein ziemlich kleines Haus. Große Jette wird Dir ohngefähr einen Begriff davon machen können wenn du ihr sagst, daß die Eßstube ohngefähr so groß ist als Nannys jezige Stube. Die Fenster hinten heraus gehn in den Garten, der nicht breiter ist als das Haus. Noch ein kleiner Fehler der dich nicht sonderlich interessiren kann ist daß die Gesindekammer falsch gelegt ist, sie liegt längst der andern Wand an der Gartenseite. Verstehn denke ich werdet ihr alles wenn ihr euren Verstand zusammen anstrengt du und die große. Die Einrichtung denke ich wird dir auch einleuchten daß sie nicht anders gemacht werden konnte. Nannys Stube ist zwar größer als meine aber der Plaz zwischen Thür und Fenster ist viel zu klein für meinen Schreibtisch und also hätte der nur in falschem Lichte stehn können was ich gar nicht leiden kann. Also nehme ich lieber die kleinere. Meine Bücher werden nicht alle darin Plaz haben und werden zum Theil in der Kammer stehen müssen aber das schadet nicht. Nun sind aber nirgends als unten, wo auch ohne die Herz wir beide doch nicht Plaz gehabt hätten zwei Stuben neben einander, und es war also gar nicht so zu machen daß wir Wand an Wand gewohnt hätten. Du mußt dich schon durch die beiden Kammern durch bemühen wenn du mich besuchen willst. Dazu soll dann der kleine Sofa wenn Du ihn herschikken willst in meiner Stube stehn damit wir uns ganz traulich zusammen hinsezen können und plaudern wenn Du mich besuchest. Keller und Boden habe ich nicht mit zeichnen können, beides soll aber gut sein. So ist das alles leidlich gut mein Liebchen; nur weiterhin sehe ich mit Gottes Hülfe einige Schwierigkeiten, die werden sich aber wol auch beseitigen lassen. Die Maler und die Töpfer indeß haben gleich ehe wir einziehn alle Hände voll zu thun, und Geld werden wir genug brauchen können, wenn es | 47v der Himmel nur beschert. – Die Freude mit dem Hause habe ich Dir gleich heute machen müssen. Nanny war erst heut Nachmittag da; beim Thee hat sie mir ihren Bericht abgestattet; und dann haben wir noch  Es handelt sich um die „Ilias“ von Homer, vgl. Brief 2898, 6 – 8. [Schließen]einen Gesang im Homer gelesen und hernach habe ich die Zeichnung angefertigt. Nun will ich Dir aber auch gute Nacht sagen mein gutes liebes Herz. Ich denke Dich jezt auf dem Rükwege nach Poseriz oder schon dort und sehne mich nach der Nachricht von Deiner und der  die Kinder von Henriette von Willich und dem verstorbenen Ehrenfried von Willich [Schließen] Kinder glüklichen Ankunft. Nur ungern, ich kann es nicht läugnen habe ich Dich mit den Kleinen so lange in Wyk gedacht. Zum Glükk aber ist mir doch nie eigentlich eine schlimme Ahndung gekommen als ob Dir etwas übles begegnen könnte. Mein Liebchen ich habe immer lauter fröhliche Gedanken und eine solche Sicherheit auch wegen alles dessen was nicht von uns abhängt wie ich gar nicht glaubte daß ein Mensch haben könnte. Das macht alles die Liebe und das gründliche tiefe Gefühl daß wir beide das rechte gefunden haben. So schlafe denn süß und laß Dir von mir träumen wenn Dir das besser gelingt als mir. Gott sei mit Dir und mit unsern lieben Kindern. Glaube nur nicht daß ich an die gar nicht gedacht habe bei dem Hause. Ich denke eins schläft bei uns und eins bei Nanny .

D 10t. Nun ist das erste was ich thue daß ich Dir meinen Morgengruß bringe. Aber Du Gute wie lange hat Dich wahrscheinlich das kleine Volkschon nicht schlafen lassen! Wir waren hier einige Zeit so ins lang schlafen hineingerathen daß wir es nur seit wenigen Tagen mit Mühe dahin bringen werden um Sieben Uhr aufzustehn; und das ist jezt fast die rechte Zeit um was ich so sehr liebe von dem wahren Morgen der Natur den ersten Genuß mit aufzufassen. So fühle ich mich nun auch ganz herrlich munter wenn ich den Kopf in die frische Morgenluft herausstekke. Das herrlichste Wetter haben wir auch hier ununterbrochen; nach ein Paar sehr kalten Tagen die wol in Wyk noch weit kälter mögen gewesen sein ist es wieder recht milde geworden und doch klarer Himmel, gleich schön zum Fleißigsein und zum Spazierengehn in der Mittagsstunde was ich nicht gern auslasse. Du bist wahrscheinlich schon eine Stunde früher munter bei  über der Zeilevor Tage was mir immer etwas düster vorkommt und ich ungern thue. Ich denke mir ich werde Dich dann manchmal abhalten wenigstens vom Aufstehn und wir werden bis zur heitern Dämmerung die Zeit verplaudern und  Ehrenfried (d.J.) und Henriette Pauline Marianne von Willich  [Schließen]der wilde Knabe oder Jettchen wird um uns und über uns herumkriechen. Süßeste Jette ich male immer so fort an kleinen Zügen aus dem schönen Leben, und ich denke alle sollen Dir gefallen die ich im Ernst meine, was sagst Du aber zu folgendem Wir überlegten daß im Saal wol schwerlich ein gro | 48ßer Sofa würde stehn können und daß zwei Eksofas eben so hübsch wären, wenn wir nun böse sind Jette und ich, sezte ich hinzu, so seze ich mich in den einen und sie in den andern. Nanny meinte zwar man müsse den Teufel nicht an die Wand malen aber ich weiß wir können schon etwas dreist sein mit solchem Scherz; unsere Liebe ist ja so heilig und rein und göttlich fast daß er uns wol nichts anhaben soll.

Fatal ist es daß die Briefe hier immer später als nöthig ist abgegeben werden. Ich hätte  Vgl. Brief 2901. [Schließen]Deinen lezten nicht numerirten, es ist aber No 14 schon am Sonntag haben können als  über der Zeileehe ich meinen abschikte, nun fand ich ihn erst Montag Abend als ich spät aus einer Gesellschaft zurükkam.  Vgl. Brief 2882.  [Schließen]Der Brief den Du damals bekommen hattest war erst meine No 14, dies also schon der sechste seitdem, und zwölf Tage war der Brief unterwegens gewesen, diese Langsamkeit ist unausstehlich.  Sachanmerkung:

Habe ... gekommen ist.] 
Vgl. Henrich Steffens : „Was ich erlebte“ (1840-1843), Bd. 5, S. 167. Schleiermacher schilderte die Reise zuvor in einem Brief an Henriette Herz, vgl. Brief 2883, 2 – 28, und vielleicht in einem Brief an seine Schwester Charlotte Schleiermacher, vgl. Brief *2897. Henriette von Willich beklagt in Brief 2901, 9, dass sie über die Dessauer Reise keine Nachricht hat.

Hanne] Johanna Steffens

nur] oder: immer
 [Schließen]
Habe ich Dir aber nicht seitdem von der Dessauer Reise und von Steffens geschrieben? wie ich ihm auf dem schönen Wege nach Wörliz unser Geheimniß anvertraut habe, wie er mir außer sich vor Freuden um den Hals fiel, wie sein erstes war Gott wie wird Hanne sich freuen! wie er immer wieder drauf zurükkam daß das doch das herrlichste wäre für mich und daß es grade so hätte kommen müssen! wie wir einen ganzen Tag in dem lieblichen Wörliz herumgelaufen sind, und ich immer, wiewol es größtentheils leise regnete aufschrie, es wäre doch nichts daß wir unsere Frauen nicht bei uns hätten, und schwur wol hundertmal daß ich Dich dort hinführen müsse sobald nur möglich? Eine Sucht habe ich die ganz leidenschaftlich ist Dich überall wo mir ausgezeichnet wohl gewesen ist oder wo die Natur mich besonders freundlich und durchdringend angesprochen hat [hinzuführen]. Wieviel solche Aufgaben habe ich nun schon für das Leben! werden wir nur überall hinkommen? Wir waren hernach in Dessau noch einen Tag wo viel erzählt und verabredet wurde, alles zur Sache gehörig auf deren Ausführung ich noch immer hoffe, aber doch jezt nichts gewisses über das Wann oder Ob sagen kann. Am dritten Morgen schieden wir von einander, alle gewiß wahrhaft gestärkt. Daß ich nicht genau weiß ob ich Dir von dieser Reise erzählt oder nicht muß Dich gar nicht wundern das geht mir sehr oft so (große Jette klagt genug darüber) mit Dingen die ich mehreren zu sagen habe. Habe ich es dem einen oder dem anderen geschrieben so denke ich leicht es wissen es Alle. Auch wenn ich lange und viel daran gedacht habe jemanden etwas zu schreiben bilde ich mir hernach leicht ein daß es wirklich schon geschehn ist. Da wirst Du mich nun künftig hübsch in Ordnung zu halten haben. Diesmal kann es leicht sein daß die Dessauer Geschichte | 48v nur an Lotte nach Gnadenfrei recht ordentlich gekommen ist.
 Vgl. Brief 2901, 10 – 17. [Schließen]Aber übrigens kleine süße Jette hattest Du doch unrecht zu klagen daß ich Dir nicht ordentlich genug antwortete.  Vgl. Brief 2850, 77 – 80. [Schließen]Wenn ich Dir ein Paar Mal gesagt habe ich behielte manches zurük, so waren das theils nur Sachen die sich wirklich besser besprechen als schreiben theils galt es nur von dem Augenblik wo mich eben vielleicht die Post oder sonst etwas übereilte und Du hast es richtig nachbekommen. Wunderbar ist es aber hübsch daß wir oft so  über der Zeilezu gleicher Zeit an dieselben Sachen denken.  Vgl. Brief 2875, 141 f.  [Schließen] Als Du mir zuerst schriebst ich möchte an Willich schreiben war  Vgl. Brief *2891 an Heinrich Christoph von Willich.  [Schließen]mein Brief an ihn eben abgegangen;  Vgl. Brief 2901, 27 – 35 von Henriette von Willich und Schleiermachers Brief 2904, 122 – 125.  [Schließen]nun schreibst Du mir von Deinem Communiciren und ich habe es im vorigen Briefe gethan. Aber hier muß ich mich doch rühmen daß ich meine Sache besser gemacht habe indem ich es Dir im Voraus geschrieben habe. Diesmal wird es wol vergeblich sein, Du wirst den 27ten es nicht schon wieder wollen, wiewol ich nicht sehe warum Du die baldige Wiederholung scheuen solltest. Geht es aber nicht: so müssen wir einen andern Termin verabreden. Die Bestimmung wird aber wol von mir ausgehn müssen denn ich möchte doch nicht gern anders als in der Dreifaltigkeitskirche communiciren wo nur alle Sechs Wochen Abendmahl ist. Wir müssen sie jezt schon in dieser Zeit der lieblichen Hofnung einmal zugleich feiern so daß einer des andern gedenken kann, diese herrliche das Gemüth so innig durchdringende Handlung. Ueberhaupt wird auch unsere Ehe ebenso fromm sein als heiter, und beim Frühstük, oder wenn es sich macht, wollen wir recht oft etwas zusammen lesen aus der heiligen Schrift oder über  lies: sie. Was  [Schließen]sie. Was  Es handelt sich um Henriette Herz und ihren möglichen Entschluss, zum Christentum überzutreten, vgl. Brief 2901, 36 f.  [Schließen] Du mir sagst bei dieser Gelegenheit über unsere Freundin liegt mir immerfort recht auf dem Herzen; aber wir können nichts dabei thun als sie selbst gewähren lassen. Sie fehlt ihr wirklich selbst diese schöne Gemeinschaft, sie vermißt sie oft und von schmerzlicher Rührung darüber habe ich sie schon durchdrungen gesehen. Ich weiß nicht warum ich habe aber oft die Ahndung gehabt sie würde grade auf Rügen den Entschluß fassen. Meine Fantasie legte eben ahndend gern alles schönste schon immer nach Rügen; aber so viel ist wohl wahr daran daß ihr hier die äußeren Umgebungen die Sache erschweren. Laß es uns aber geruhig abwarten. Ist sie erst in unser Leben ganz verflochten so glaube ich doch nicht daß sie es lange aushält uns nicht auch so anzugehören. Für unsere kleine Henriette wird es auch recht wesentlich sein den Keim der Frömmigkeit bald in ihr zu entwikkeln, gewiß das schönste um sie gleichförmig zu machen und milde von innen heraus. Ja liebste Jette wenn uns Gottes Gnade nicht verläßt, und warum sollte sie so werden wir ein Leben führen das Vielen zur Erbauung gereichen kann oder  über der Zeileund zur Stärkung, und Allen zur Freude die es kennen werden.



Sieh nun sind wieder Besuche hier gewesen bis den lezten Augenblik und ich muß wieder vieles lassen auf nächstens, und ich weiß nicht einmal gewiß ob ich Sonntag werde schreiben können. So lebe denn wol Du einzige Geliebte und küsse mir die Kinder so zärtlich und so väterlich wie ich Dich küsse,  Vgl. Brief.  [Schließen]und wenn die kleine Jette wieder so prächtig fragt „So lieb hat dich Schleiermacher[] so sage nur dreist immer noch mehr.

Ernst

 Am linken Rand von Bl. 47
Sachanmerkung:

Hermann] Hermann Christoph Baier
 [Schließen]
Bist du nicht ganz wunderlich daß es dich verlegen macht ein Paar Tage bei Hermann zu sein? Habe ich dir darauf auch noch nicht geantwortet? ich wollte dich recht ordentlich auslachen, und dir fast sagen wenn es dich verlegen machte würde ich doch wol anfangen müssen eifersüchtig zu werden.

Zitierhinweis

2913: An Henriette von Willich. Berlin, Mittwoch, 9.11. bis Donnerstag, 10. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006742 (Stand: 26.7.2022)

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