Freitag d 4t. Nov. 8.

No 19

Volle Vierzehn Tage hast Du mich denn doch nicht schmachten lassen Kleine sondern heute nach Tisch als ich eben auf dem Sofa faullenzte  Vgl. Brief 2892. [Schließen]kam Dein kleinstes Briefchen was schon gestern hätte abgegeben werden sollen. Es hat mir viel Spaß gemacht wiewohl es mich auch zu sehr ernsthaften Betrachtungen hätte bringen können. Denn  Vgl. Brief 2892, 15 – 17. [Schließen]bedenke nur, es endekt sich da auf einmal eine große Verschiedenheit zwischen uns. Ich hoffe zwar auch, daß die Zeit zwischen hier und April schnell vergehen wird aber eigentlich kommt es mir doch noch entsezlich lang vor, und ich fühle mich ungeduldig und möchte die Zeit peitschen mit lauter tüchtigen Thaten und süßen Liebesworten daß sie recht schnell flöge, und Dir kommt es so nah vor?   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny , die eben noch hinter meinem Stuhl stand, und der ich es klagte, und sagte „ich würde Dir schreiben was ich denn hiemit thue, weil Dir die Zeit so kurz vorkäme darum wäre wol auch das Briefchen so kurz gerathen“. Die machte ein ganz gedenkliches Gesicht dazu und sagte das wäre freilich eine eigne Verbindung, und wenn die Briefe erst kurz würden wäre zu besorgen, daß die Liebe allmählich ausginge, und das beste von der Sache vorbei wäre ehe es eigentlich dazu käme. Dann aber rühmte sie sich wieder das wäre bloß ihre Schuld, sie hätte Dir soviel vorgeredet von allem was noch zu thun wäre, daß Dir die Zeit wol müßte kurz vorkommen. Ach ihr lieben Weiber! was seid ihr glüklich dran mit eurer Rumpelwirthschaft und eurem Leinenzeug daß euch nun die Zeit so kurz vorkommt, und ihr meint der Tischler wird nicht allen Schafthalm verreiben können auf den Tischen und Kommoden und eure niedlichen Finger nicht alle Stiche fertig machen können ehe es zur Kirche läutet. Nun verzagt nur nicht, das wird ja wol gehn!  Vgl. Brief 2882, 36 – 41. [Schließen]Und ehe das schönste liebliche Leinenzeug fertig zu sein braucht was ich wenn es erst da ist mit rechter Andacht betrachten will, ich meine das Kinderzeug, geht doch noch eine schöne Zeit ins Land hinein. Denke dagegen nur mich. Ich weiß daß ich ehe ich Dich habe vollkommen Zeit habe  Schleiermacher las im WS 1808/09 die Glaubenslehre und die Theorie des Staates, letztere zum ersten Mal, vgl. A. Arndt und W. Virmond: „ Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis)“ (1992), S. 303 f.; zugleich saß er an Band 2.3 seiner Platon-Übersetzung, die 1809 erschien. [Schließen]zwei große Collegia zu lesen und dabei eine mir ganz neue Wissenschaft durchzuarbeiten, einen ganzen schweren Band Plato zu übersezen, und, alles Predigen ungerechnet, auch wol wenn mir der heilige Geist etwas besonderes eingiebt, noch irgend ein anderes Buch zu schreiben, und nun soll mir die Zeit nicht noch unendlich lang vorkommen? ich bitte Dich einzige Jette überlege Dir welch ein ansehnlicher Theil des Lebens und der gesammten Thätigkeit in diesen Geschäften steke und theile mein Gefühl! Oder wenn Dir das noch nicht genug ist so überlege daß wenn Du mich nur 20mal so lange hast als noch hin ist bis zu unserer Hochzeit Du dann einen mehr als fünfzigjährigen Mann hast. Höre Kind das muß helfen.  Sachanmerkung:

Nun ... ergözt habe.] 
Vgl. Brief 2892, 17 – 21.

wir] lies: wie
 [Schließen]
Nun kannst Du denken wir mir Deine Bitte vorgekommen ist, doch ja nichts zu übereilen wenn es mich anstrengen oder mir Sorge machen könnte | 45v und wie ich mich an dieser Gelassenheit ergözt habe.
Wirklich ergözt es soll nicht etwa Spaß sein oder Spott; mit meiner Ungeduld zusammen gab das eine rechte Wonne. Süße Jette von Anstrengung weiß ich ja gar nichts! Du kennst meine Faulheit noch nicht. Niemals arbeite ich mehr oder weniger als mir eben bequem ist und als mich der Geist und die Sache treibt, und Sorgen kommen gar nicht in meine Seele. Aber das Leben ist kurz und die Zeit ist edel und wir haben gar nichts zu verlieren. Alles das bewegte ich in meinem Herzen auf dem Sofa als mir Nanny Dein Verzeichniß mittheilte. Ich fing erst ein groß Gekreisch an und sagte das wäre gar nicht mein Fach ihr müßtet das miteinander ausmachen. Hernach wie sie das nicht annehmen wollte habe ich ihr eine Menge Thorheiten darüber gesagt mit einigem Ernst untermischt, und ich möchte sehn was für einen Bericht sie daraus zusammen sezen wird. Eins aber sage ich dir selbst daß ich nemlich Fürbitte besonders einlege wenn du nichts dagegen hast, für die Bettstellen deren Ihr euch bedient habt  Der verstorbene Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried und Du. Sollten die uns nicht auch dienen? sollten sie nicht ein Symbol sein von dem freundschaftlichen Zusammenhang zwischen Deiner neuen Ehe und deiner ersten von meinem Verhältniß zu Ehrenfried in Beziehung auf Dich? Ach ja liebes süßes Herz, die laß immer mitkommen. – Uebrigens wenn ich dir sage daß mir immer klarer wird und sicherer je mehr Du Dich mir aufschließest, so ist es nicht daß mir noch etwas gefehlt hätte, etwas unruhig oder unklar gewesen wäre; sondern es ist die immer wachsende Fülle des Lebens der Liebe, das immer nach andern Seiten gewendete immer erneute Gefühl der Glükseligkeit und Herrlichkeit. Aber ich weiß nun schon die Zeit nicht mehr daß mir etwas gefehlt hätte. Liebe, wie haben wir uns schon eingelebt mit einander, wie ganz gehören wir uns an! wie könnte da an irgend einen Mangel zu denken sein? Höre noch Eins ehe ich Dir gute Nacht sage. Große Jette zieht uns auf, daß wir beide einen rechten Fehler mit einander gemein hätten, das Verschieben, und sie meint das könnte ein rechtes Leiden für uns werden. Die Sache mag wahr sein; aber wir wollen ihr doch lauter Esel bohren Liebchen. Mir ist es recht lieb daß Du denselben Fehler hast, desto sicherer bin ich daß ich mir ihn abgewöhnen werde. Und Du wirst in allen den kleinen Dingen des häuslichen Lebens einen großen Beistand dabei haben an Nanny, welche eigentlich einen ordentlichen Abscheu hat gegen alles verschieben. Ueberhaupt wird es herrlich sein wie die Beiden uns hofmeistern werden die große  Henriette Herz [Schließen] Jette und Nanny jede nach ihrer Art, und wir werden in lauter Wonne eingehüllt da sizen und uns das gefallen lassen wie eine Art von Bedienung die sie uns leisten. Ach alles wird ja gar zu herrlich sein liebe Jette! ich muß dich etwas unbändig und wild umarmen wenn ich recht dran denke! ich bin heute ordentlich ganz ausgelassen und | 46 bilde mir daher ein, daß es dir auch grade ganz außerordentlich wohl geht heute. So laß dir auch nun noch recht wohl sein unter meinen zärtlichsten Küssen.

D. 5t. So ausgelassen bin ich heute nicht gewesen wie gestern. Ich habe vielerlei Besuch gehabt von Morgen an, habe guten Rath gegeben und disputirt, habe viel über meine Kollegia speculirt, die Finger dabei tüchtig zerrieben, manches aufgeschrieben noch mehreres heruntergeschlukt, ein Paar Briefe angefangen und keinen zu Ende gebracht, bin in der Mittagsstunde mit Nanny in sehr kalten Winde aber klarem Wetter spazieren gegangen und den Abend mit ihr bei der Levi, der Freundin unserer großen Jette gewesen, die mich sehr nach der Kathen und allen Rüganern gefragt hat. Nun habe ich noch geschwind etwas am  Schleiermacher arbeitete laut Tageskalender am Alkibiades (I). [Schließen] Plato gearbeitet weil das keinen Tag ganz ausfallen darf. Wenn Du nun hier wärst so plauderte ich wol noch mehr mit dir aber so allein will es nicht recht gehn die Stube ist zu kalt geworden; und so wird dies auch nur ein kleines Brieflein werden denn Morgen will ich zeitig in die Kirche gehn und hernach viele Besuche machen. Wenn Du noch einmal zu  Hermann Baier [Schließen] Herrmann reisest so wollte ich wol es wäre ein Sonntag dabei und Du hörtest ihn predigen und schriebst mir recht ordentlich darüber. Gar zu gern hätte ich ihn einmal gehört weil ich mich seiner und seiner Amtsthätigkeit so erstaunlich freue.  Sachanmerkung:

Aber ... und Peinlichkeiten.] 
Vgl. Brief 2892, 24 – 28.

Philippine] Philippine Hahne
 [Schließen]
Aber das Eine muß ich Dir doch noch sagen daß es mir gar zu lang vorkommt daß du auf Acht Tage willst nach Wyk gehn. Glaube nur es ist nichts kluges da als die Erinnerung an unsern Spaziergang. Wenn nun auch Philippine da ist wirst Du doch keine Freude dran haben sondern lauter Verlegenheiten und Peinlichkeiten.
Sie wird immer gereizt sein und den Worten und dem Betragen der Alten und nächstdem auch aller Menschen stets auf der Lauer, die Arme kann ja gar nicht anders.  Theodor Schwarz [Schließen] Theodor wird nicht kek und frisch durchgehn wie er sollte sondern sich schwächlich betragen und furchtsam. Die Alten werden  lies: abwechselnd [Schließen]abwechseln steif und kalt sein oder gezwungen freundlich; und wenn Dich dann  Philippine Hahne [Schließen] Philippine wie ich glaube daß ihr euch sehr lieb habt zu ihrer Vertrauten macht so hast Du ja nichts als Angst und Noth davon. Nun noch den neuen Jammer mit  Charlotte Schwarz [Schließen] Lotte .  Vgl. Brief 2892, 31 – 37. Der Mann ist Hasselbach. [Schließen]Sie wäre wol tüchtig genug und könnte viel entbehren und viel thun; aber der Mann mag mir auch eine Art von Quängelhans sein. Was willst Du nun da so lange machen? Das beste wird noch sein daß Du Herrmann wol öfter siehst. Wissen es denn die Wyker von uns? und hast Du Lotten etwa auch vorgelesen aus Briefen wo keine poetischen Empfindungen drin sind? Du willst doch wol nicht daß ich dir auch solche schreiben soll? ich wenigstens bedanke mich | 46v für solchen Schnikschnak von schönen Phrasen wie die gewiß gewesen sind. Ueberhaupt gieb mir Briefe von zehnerlei Liebenden und ich halte gleich unbesehens Neun davon für nichts gegen unsere; auf die halte ich große Stükke und wühle gern in dem Reichtum meiner Hälfte davon, und wenn mir eine Frau wie unsere köstliche Pistorius , deren Geburtstag heute gewesen ist, sagt daß sie Dir mit Freude und Rührung zugehört hat aus den Deinigen lesen, so glaube ichs und freue mich dran gar innig, und ist doch gewiß gar kein poetisches Quingeliren drin sondern einfältig frisch derb andächtig zärtlich alles zusammen wie eben die Liebe ist, und rasch hin wie eben die Feder läuft und die Zunge laufen würde. Mir ist hier noch gegen Niemand so zu Herzen gewesen vorzulesen aus Deinen Briefen außer daß Nanny manchmal etwas abkriegt. Ich bin aber etwas geizig und ich wollte lieber ich weiß nicht was verlieren als eines von Deinen lieben Worten wenn ich es vorläse und es ginge dem Hörer, weil ihm eben Gott weiß was durch den Kopf ginge nicht recht mit Lust und Freude und einer Art von Entzüken durchs Herz. Wenn ich aber Herrmann hier hätte oder meine Schwester  Charlotte Schleiermacher [Schließen] Lotte oder Karoline Wucherer oder die Niemeier oder ich könnte recht zur Proek kommen, denen läse ich gern vor. Nun gute Nacht. Du siehst des Abends spät ist immer mein Schreibstündchen nach dem alten ehrlichen Sprichwort Nach gethaner Arbeit ist gut ruhen, und das ist doch die süßeste Ruhe wenn ich mich vor der Hand auch nur im Geist an Dich anlehne und Deinen Duft einsauge du liebe Blume meines Lebens.

Aber ich thue es auch immer nur wenn ich recht fleißig und tüchtig gewesen bin. Und nun lebewol bis Morgen. Ach lebe immer recht wohl aber spute Dich auch daß bald Ostern wird.

D. 6t. Der Morgengruß ist auch das Lebewol heute, süße Jette. Wo Du nur sein magst heute? Vielleicht in Altenkirchen das sollte mir außerordentlich lieb sein. Wirst Du auch Herrmann gehörig sagen wie lieb ich ihn habe, und ihn ermuntern daß er mich etwas von sich hören lasse? Sei nur recht traulich mit ihm. Von  wohl „Tante“ Baier: Margarethe Amalie Baier [Schließen]der herrlichen Tante hast Du mir auch noch nichts gesagt das ist nicht halb recht.

Ich habe Nanny gesagt sie soll Dir nicht eher antworten bis sie Dir das Haus beschreiben kann was sie in den nächsten Tagen sehen wird. Denn der Gegenbesuch ist schon erfolgt. Dann kann sie dir sagen was für das Haus erfodert wird und was schon bei uns ist. Aber dann mußt Du Dir noch einen Ueberschlag machen wie theuer Du dort die Sachen auf die Du keinen besonderen Werth sezest verkaufen könntest, und wie viel der Transport kosten würde. Könntest Du sie leidlich verkaufen so wäre es ja doch besser hier neue dem Hause angemessen zu kaufen da man sehr schöne Meublen jezt zu sehr guten Preisen haben kann. Wir haben volle Muße uns das recht gründlich zu überlegen denn im Herbst kannst du doch nichts mehr herschikken theils hätte es hier nirgends Plaz zu stehn und müßte sehr theure Miethe auf dem Pakhof geben theils würde es auch gewiß auf den Flüssen einfrieren ehe es herkäme. Siehst Du ich kann auch recht verständig reden, aber schließen muß ich doch damit daß ich Dich recht zärtlich umarme.

Ernst.

 Vgl. Brief 2863, 60 – 62. [Schließen]Ich habe Dir nun richtig gefolgt und jeden Posttag einen Brief abgeschikt, ist es Dir auch nicht zuviel geworden? Ob dies und jenes wird ausführt werden, das liegt noch sehr im Dunkeln. Es unterbleibt vielleicht es kann aber auch sehr schnell kommen.

Zitierhinweis

2910: An Henriette von Willich. Berlin, Freitag, 4.11. bis Sonntag, 6. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006739 (Stand: 26.7.2022)

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