Mittwoch d 2t. Nov. 8
An Jettchen.
No 18.
Wahrscheinlich kamen die Nachrichten aus einem
Brief von Henriette Herz an Anne (Nanny) Schleiermacher, der laut
Tageskalender am 31.10. einging.
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Durch unsere große Jette habe ich nun schon
allerlei Nachrichten von Deinem Aufenthalt in
Jasmund meine liebste
Jette nur ob Du dort schon Briefe von mir erhalten hattest
außer Vgl. Brief
2856, den Henriette Herz
laut Brief
2875,
5 – 8 nach Sagard mitbrachte.
[Schließen]dem, den Dir Jette mitbrachte, und wie lange Du noch dort zu bleiben dachtest,
davon weiß ich nichts, und von Dir selbst ist nun Morgen der
dritte Posttag seit ich nichts erhalten habe. Das ist
warlich eine kleine Hungersnoth; aber es mag nicht zu ändern
gewesen sein außer wenn Du Jette ein Paar Zeilen mitgegeben hättest
und ich rechne desto sicherer auf Morgen. Wunderlich ist es, daß die
Briefe so sehr ungleich gehn; offenbar müssen sie öfters irgendwo
liegen bleiben. Was mir aber auch Morgen schönes kommen
mag, ich kann doch den Abend nicht hingehen lassen ohne ein
Paar Wörtchen mit dir zu plaudern meine süße. Ach wenn Du
so alles bekämest was ich
innerlich mit dir plaudere, das wäre fast viel. Morgens und
Abends im Bett und nach Tische oder in der Dunkelstunde auf
dem Sofa wird manches Viertelstündchen so
verbracht. Manchmal will ich es gar nicht, ich will Dich
nur flüchtig begrüßen und Schleiermacher hielt ab dem 14. 11. 1808 laut
Ankündigung im Wintersemester 1808/09 zwei Vorlesungen: zur
Glaubenslehre und zur Theorie des Staates, vgl. A. Arndt und W. Virmond:
„
Schleiermachers Briefwechsel
(Verzeichnis)“ (1992), S. 303 f.
[Schließen]dann an die Collegia denken die mir nun bald
bevorstehen und an denen noch viel ins Reine zu bringen ist –
aber ehe ich mich versehe bin ich wieder bei Jettchen. Daß
Du mir das nur nicht leidest wenn Du hier bist! aber jezt
kannst Du gar nichts dagegen thun Du Arme! Denn
daß Du von Allem nichts erfährst hat nichts zu sagen Du
weißt es ja doch.
Heute Nachmittag habe ich etwas merkwürdiges vollbracht mit Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
. Wir haben nemlich zusammen Visite gemacht, es war
Nannys
erste,
bei der Es handelt sich um die Wittwe des
Karl Friedrich
Thiele
, reformierter Pfarrer
an der
Dreifaltigkeitskirche
. Schleiermacher plante, mit seiner zukünftigen Frau in das
Haus in der Kanonierstraße einzuziehen.
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Predigerwittwe
im
Kanonierhause
. Der Zwekk war das
Haus endlich in Anschauung zu nehmen, und Nanny dachte das so gleich auf einmal zu
erwischen; ich sagte ihr aber gl
vorher das würde so nicht gehn sondern die Festung würde
müssen | 43v regelmäßig belagert werden. So
wurden denn heute nur die Laufgräben eröffnet; nächstens
kommt nun gewiß die Mamsell die wir heute nicht fanden und
macht Nanny einen Gegenbesuch, und dann denke ich
laden sie uns einmal förmlich ein und bei dieser
Gelegenheit wo alleswohl vorbereitet gereiniget und geschmükt
ist wird dann wol das Haus gezeigt werden. Du sollst
hernach sogleich die Beschreibung davon haben; bis jezt
haben wir immer nur fantastisch eingerichtet Nanny und ich ins Blaue hinein. Dabei habe ich mir sehr
wohl gefallen, es wird so alles viel geräumiger und netter,
und es thut mir wirklich leid daß wir uns nun nachgrade
werden zur Wirklichkeit hinunter bemühen müssen.
Recht viel Plaz werden wir nicht übrig haben, das sehe ich
dem Hause schon an, aber ich denke es wird doch leidlich gehn.
Wenn wir Abends zu Hause sind wie heute so lese ich jezt
mit Nanny den Vgl. Brief
2898,
6 – 8.
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Homer
der mir selbst wieder ganz neu ist, weil ich seit vielen vielen
Jahren gar nicht hinein gesehn und den Deutschen
überhaupt noch nie ordentlich und ganz gelesen
habe. So denke ich wollen
wir uns auch immer wenn wir allein sind Abends ein
Lesestündchen halten, zumal wenn große
Jette da ist
die so prächtig vorliest;
die Kinder der Henriette von Willich aus erster
Ehe
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Kinder
müssen erst zu Bette sein, das versteht sich. Und um mir das recht ausmalen zu
können möchte ich gern bald wissen wie es sich dort wird
einrichten lassen mit Wohnstuben und Schlafkammern. Es ist
mir als rükte die Zeit mit großen Schritten näher. Das macht theils die Ungeduld theils ist es auch ein Vorgefühl, daß
wenn ich erst wieder Collegien lese sie noch eins so
schnell vergehen wird, theils kommt es von Nanny die alle Tage redet man müsse nachgrade
anfangen zu besorgen und einzurichten, der Winter würde
vergehn ehe man eine Hand umdrehte. Und Du mein gutes Kind hast indeß
wir hier für die Zukunft sorgen
und
über der Zeileoder
uns wenigstens so anstellen, in der
Vergangenheit gelebt unter den Denkmälern Deines
ersten schönen Glüks und deines ersten herben Schmerzens!
Wie oft bin ich Dir im Geist dahin ge | 44folgt
und habe mit dir empfunden Ehrenfrieds
Nähe und die Trauer um ihn
und die Freude
um ihn
über den ursprünglichen Text geschriebenin ihm
.
Es ist eine recht schöne heilige Vorbereitung auf unser
künftiges Leben liebste Jette daß Du das vergangene noch einmal so
ganz besonders ins Auge fassen recht viel Erinnerungen
sammeln und sinnlich erneuern, und ein vollständiges Bild
davon niederlegen kannst in Deiner Seele. Ich wollte ich
könnte es mit dir? wenigstens sollst du recht vieles davon
für mich auch gethan haben und lies: mir
[Schließen]mit mittheilen gelegentlich jezt oder später. Hast Du auch in des theueren
Mannes Papieren gekramt? sei nur recht karg
damit und vernichte nicht zuviel. Was irgend eigenhändige
Aufsäze von ihm sind nicht bloße Nachschriften
Abschriften oder Auszüge das bewahre doch ja auf
vorzüglich alle Spuren von Predigten wir wollen noch schöne
Stunden dadurch haben mit einander.
Aber die Erinnerungen an unser schönes Zusammensein
haben dich doch auch nicht verlassen in Sagard
? es thut mir so wohl wenn du mir etwas davon
mittheilst aus den Zeiten der unbewußt entstehenden und sich
äußernden Liebe.
Das rechte Gegenstük zu
Stubbenkammer war der
Spaziergang nach dem Hügelgrab in der Nähe von Sagard auf Rügen;
Schleiermacher spielt auf einen früheren Spaziergang in Stubbenkammer
und einen nach Dooberworth an.
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Dobberworth
, wo mich die väterliche
Liebe zu Jettchen so besonders ergriff aber es war mir dabei auch gegen
dich so eigen zu Muthe so süß mich ganz eins mit dir zu
fühlen in der Liebe zu dem Kinde die Sorge darum mit dir zu
theilen neben Dir zu gehn recht wie dein Gatte. Liebe süße Jette wie oft
wollen wir nun noch so gehn hier und abwechselnd Kinder
tragen und führen draußen im Park herum, oder in was für
schöne Gegenden wir eine Sommerausflucht machen. Es war mir
so unendlich süß die Sorge um die Kinder mit dir zu
theilen, wieviel mehr noch nun auch du selbst ganz mein
bist. Wie mag es dir nun nur gehn mit den lieben Henriette und Ehrenfried von Willichs Kinder,
Henriette Pauline Marianne von Willich und Ehrenfried (Friedchen) von
Willich
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Kleinen
? ich hoffe daß ihnen die Reise noch recht gut
bekommen soll.
Vgl. Brief
2875,
172 – 174.
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Aber höre der Aufenthalt in
Wyk hat dich gewiß wenig schadlos
gehalten dafür daß du dich von Friedchen dem Schreier
getrennt hattest.
Das muß ja fatal genug gewesen sein! Theodor Schwarz und seine Schwester
Charlotte
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Theodor verreist Lotte verstimmt,
Eltern des Theodor und der Charlotte
Schwarz
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die Alten
verschloßen und innerlich verdrossen.
Da ist meine Braut
Lenchen am Ende noch die beste gewesen. Hast Du Dich auch unseres
Spazierganges recht erinnert? Mein Gefühl war
damals schon nahe an der höchsten Klarheit aber es kam mir
nicht vor als theiltest Du es so,
sondern als wolltest
| 44v du dich recht fest halten im töchterlichen
Verhältniß. Ich hatte auch früher Momente wo dies die
Oberhand behielt, und so ist es uns gleich ergangen bis
sich beides so herrlich in Eins verschmolzen hat; und du
sollst nun auch immer zugleich mein Töchterchen sein.
Liebste einzige Jette im Leben bin ich noch
nicht so rein heiter und selig so innig zufrieden und
glüklich gewesen als seit ich Dich habe. Ich möchte es Dir
immer sagen und Dich dafür liebkosen; und möchte in jedem Briefe
wenn ich wieder von Dir scheiden muß so einen stillen und
doch herrlichen Abschied nehmen wie jenen
lezten Abend da Du noch zulezt und am längsten bei mir
bliebst.
Donnerstag
Die Post ist da und ich habe wieder nichts Du kleine böse Jette. Warte nur ich werde es der kleinsten Henriette auftragen daß sie dich schelten soll
daß du ihren lieben Schleiermacher so sizen läßt. Vgl. Brief
2875,
28 – 31.
[Schließen]Also den ganzen Namen sagt die kleine Dirne
heraus? das ist wirklich zuviel; und wenn Du Dich
auf die Zeit freust wo sie wird Vater sagen so
sehe ich nicht ein warum Du ihr nicht das jezt
schon ganz in der Stille demonstrirst und einlernst
daß sie wenigstens wenn sie mit dir allein spricht
Vater sagt.
Liebste Jette
der künftige Reichthum und die Herrlichkeit die uns
bevorsteht ist so groß, daß wir mit dem besten Gewissen
und ohne Furcht uns etwas zu verderben anticipiren können
soviel sich nur thun läßt – zumal Du wieder auf der andern
Seite auch hernach noch aufsparen willst. Nun Adieu für heute. Mache daß Du glüklich nach
Poseriz zurük kommst damit das
ordentliche Schreiben wieder in Gang kommt. Gott behüte Dich und die
Kleinen, bleibt mir ja recht frisch und
munter, und sei mir ganz unerhört gut und verlange auch
ein Bischen nach mir. Ich
denke wenn dieser Brief ankommt bist Du wieder in Poseriz
bei unserer guten Sophie Schlichtkrull, Ehrenfried von Willichs
Schwester, bei der Henriette von Willich nach dem Tod ihres Mannes mit
den Kindern wohnte.
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Sophie
, und wenn bei Euch solch Wetter ist wie hier kann
dir Jette den
Brief immer zu Fuß bringen. Laß Dich recht süß umarmen Du Herzens Jette von
Küsse mir die Kinder und grüße alles um Dich her. Noch eins. Am 27ten communicire ich. Könntest Du das doch auch! Unsere Liebe ist so andächtig und schön sie muß sich auch hier begegnen. Geht das nicht so laß uns zeitig genug einen späteren Termin verabreden.
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