An Schleier [Autorfußnote Bl. 40v]

Den frischen Cranz des Lebens mit den unverwelklichen Blumen, den  Henriette von Willich [Schließen] Jettchen und die  Kinder des Johann Ehrenfried von Willich und der Henriette von Willich [Schließen] Kinder Dir bringen, laß mir ihn begleiten mein Bruder, mit der herzlichsten Schwesterliebe, ich habe keine andre Gabe, o nim sie auf mein Bruder in Deinem Herzen, Du wirst wohl Raum dafür haben – glaubst Du es wohl nicht? daß Er auch mich Dir würde ans Herz gelegt haben? ja Schleier Gemeint ist der verstorbene Bruder Ehrenfried von Willich. [Schließen] er hätte es gethan! glaub es mir wenn Du es nicht weist, und versprich es ihm, mich nicht zu laßen. „Du solst nie verlaßen sein“ das waren seine Worte womit er mich ans Herz drükte als meine  Marianne Regina von Willich [Schließen] Mutter starb. Und er hat alles verlaßen müßen was er hir hatte. Und Du bist glücklich mein Bruder, in Deine Arme kanst Du nehmen was ihm das theuerste war! und Jettchen ist glüklich, und die Kinder sind – und so werdet Ihr leben und gedeihen im Glük, und in seiner und Eurer Liebe!

Gerne hätte ich Dir auch etwas geschikt, aber ich wuste nichts was Dir wohl hätte Freude machen können. Draußen konnte ich nichts finden, ein gelbes Blatt mogte ich Dir nicht schicken und ich fand kein grünes mehr.

Nun nur noch 3 Monate, dann ist der Winter vorüber dann kömt der Frühling, dann kömst Du mit Deiner Schwester und wenn Du hir bist, dann reist Du bald wieder, und dann nimst Du sie mit mein Bruder! ein neues, frisches Leben fangt Ihr dann an, und ich freue mich dann Eurer Glükseeligkeit.

Nun habe ich wieder gesprochen wie es in meinem Herzen war und nur dies kann ich Dir immer geben, oder schweigen.

Selten nun werde ich etwas von Dir bekommen ich weiß es wohl, und bin nun auch schon ganz ruhig dabei. Lieber Schleier | 40v wie konnte ich es auch verlangen. Ganz anders muß es mit mir noch werden, wenn ich das könnte. Nur etwas mögte ich gerne, immer recht mit dem Vertrauen schreiben daß Du gerne nimst was ich Dir sage, aber  korr. v. Hg. aus: daßdas ist ja auch nicht möglich – Sieh, wie, ach nein ich will darüber nicht sprechen –

Lebe wohl lieber Bruder! ich bin doch auch bei Dir, mit ganzer Seele wenn Du alles Schöne empfängst.

Grüße   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny tausendmal.

Deine Schwester Luise

Zitierhinweis

2902: Von Luise von Willich. Sagard, wohl Dienstag, 1. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006731 (Stand: 26.7.2022)

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