B. d. 22t. Octob. 8

No 15

Sieh da bist Du mir nun wirklich ganz entwischt, kleine Frau, daß ich gar nicht recht weiß wo ich Dich suchen soll.   Luise von Willich, Henriette von Willichs Schwägerin, vgl. den Brief *2874 von Henriette Herz. [Schließen] Abgereist bist Du mit Luise nach Sagard, das schreibt mir große Jette aber wie Du nun Deine Reise einrichtest, ob Du zuerst nach  über der Zeilein Sagard verweilst, oder erst nach Altenkirchen und  Wiek, Ort auf Rügen [Schließen] Wyk gehst davon hast du mir gar nichts ordentliches gesagt, worüber ich Dich hiemit will gescholten haben. Du  lies: mußt [Schließen]muß so wichtige Sachen nicht so flüchtig behandeln sondern hübsch gesezt.  Vgl. Brief 2863, 60 – 62. [Schließen]Ich will nun wenigstens Deinen Wunsch erfüllen Dir alle Posttage zu schreiben. Gott gebe nur seinen Segen daß Du auch alles bekommst ohne daß es gar zu altbakken wird.  Vgl. Brief *2881 an Charlotte Cummerow und Brief 2882 an Henriette Schleiermacher. [Schließen]Den Anfang habe ich am Mittwoch gemacht wo ich Dir durch die Cummerow geschrieben. Morgen  über der ZeileDas war No 14 leider habe ich soviel ich mich erinnere vergessen zu numeriren. Morgen will ich den Brief in ein Paar Zeilen an  Sophie Schlichtkrull, Henriette von Willichs Schwägerin, bei der sie mit ihren Kindern seit dem Tod ihres Mannes wohnte. [Schließen] Sophie (von der ich noch nichts von Antwort habe) einwikkeln, die muß ja am besten wissen wo Du zu finden bist.    Vgl. Brief 2863, 60 – 62. [Schließen]Ob ich es zu begehrlich finde daß Du so oft als möglich etwas von mir wissen willst? sieh wie kannst Du nur so etwas fragen? Denn wenn ich es recht bedenke so liegt darin die Voraussezung daß ich meinerseits nicht rechte Lust habe so oft als möglich mit Dir zu reden. Du siehst ich könnte Dir da einen großen Krieg darüber machen, und zanken ist auch etwas gar herrliches aber ich hatte doch jezt keine rechte Lust, wenn auch nicht in diesem Augenblik Besuch käme.

Reimers waren bei uns und Gassens . Nach meiner löblichen Art habe ich wieder unsere Gesundheit auf verschiedene Weise ausgebracht, als die Insel Rügen , oder meine nächste Reise, oder was mir eben einfällt wobei einer der es nicht  über den ursprünglichen Text geschriebender nichts weiß nichts rechtes merken kann. Es ist nun ziemlich spät geworden dabei, aber ich muß doch noch ein mitternächtliches Vierteilstündchen mit Dir verplaudern. Zanken will ich also gar nicht; Vgl. Brief 2860 und Brief 2863. [Schließen] ich möchte Dir lieber sagen daß wenn es möglich wäre Du mir durch deine beiden lezten Briefe noch lieber geworden wärest, eben weil Du so herrlich das innerste Wesen der Liebe darin ausgesprochen hast, wie eben das größte und das kleinste der heiligste Ernst und der süßeste Scherz | 36v Eins ist in ihr, und alles Andacht und Frömmigkeit. Der strengste Ernst in dem einer für den Andern oder mit dem Andern in den Tod ginge läßt sich gar nicht denken als daß er zugleich in sich trägt das volle Bewußtsein aller seligen süßen Augenblikke des leichtesten fröhlichsten Lebens, so wie wir in diesem auch die ganze Kraft die reiche Fülle und Tiefe des Daseins mit dem reinsten Ernst fühlen. – Aber mit dem liebergewordensein daran ist doch auch wieder nichts meine herrliche Jette ich habe das schon immer recht gut gewußt, daß das so in Dir ist; aber doch ist mir jede neue Offenbarung Deines Wesens immer ein Zuwachs von Leben Freude und Herrlichkeit. Und liebes Herz so soll es Dir auch mit mir gehn noch wieder auf eigne Weise.  Vgl. Brief 2863, 40 – 43. [Schließen]Darum seze das nicht so entgegen daß unser schönes eheliches Leben Dir alles ist, mir aber nicht alles sein könne weil mich noch die Wissenschaft in Anspruch nimmt. Das ist doch nicht so sondern ganz anders. Mein Leben in der Wissenschaft und in der Kirche, und so Gott will und Glükk giebt wie mir beinahe ahndet auch noch im Staat soll gar nicht von Deinem Leben ausgeschlossen und Dir fremde sein, sondern Du sollst und wirst den innigsten Antheil daran nehmen. Ohne das giebt es keine rechte Ehe. Du brauchst deshalb die Studien und die Werke nicht alle zu verstehn; aber mein Bestreben und meine That wirst Du immer nicht nur anschauen und verstehn sondern auch theilen, so daß nichts ohne Dich gelingt, nichts ohne Dich vollbracht wird, alles mit Deiner That ist, und Du Dich meines Wirkens in der Welt wie Deines eigenen erfreust. Du wirst sehn und fühlen wie es mir bald mehr bald weniger gelingt, wie sich bald der Reichthum drängt bald die Trägheit mich wieder herunterzieht, Du wirst mich erfrischen und beleben und ich werde alles an Dir auslassen und in Dich übertragen. Darum wäre es mir nun außerordentlich lieb, wenn es sich so einrichten ließe im  Das zukünftige gemeinsame Wohnhaus der Eheleute stand in der Kanonierstraße. [Schließen] Kanonierhause , daß mein Arbeitszimmer mit dem Deinigen Thür an Thür wäre damit wir uns immer recht in der Nähe haben können.   Soll ich immer anfangen Dir manchmal zu erzählen was ich eben treibe und wie? Jezt eben geht es mir etwas bunt, auf der einen Seite ziemlich gut, auf der andern sehr schlecht. Laut Eintrag im Tageskalender handelt es sich um den „Phädon“.  [Schließen] Ich habe eben ein Gespräch vom Plato fertig übersezt, und bin eben dabei es durch | 37zusehn und im einzelnen zu bessern und zu glätten. Das ist nun eine miserable Arbeit  über den ursprünglichen Text geschriebenein miserables Geschäft . Ich habe überall, kommt mir vor, etwas flüchtiger gearbeitet als sonst wol, vorzüglich weil es unter so vielen Unterbrechungen geschehen, und ich also nicht alles vorige immer klar genug vor Augen hatte. Nun geht es erbärmlich langsam weil es gar langweilig ist und ich muß mich hüten nicht lange hintereinander es zu treiben weil ich sonst ganz nachlässig werde. Das kommt daher weil ich noch nie verstanden habe und auch nie verstehen werde mich tüchtig anzustrengen wie andere Leute meiner Art thun. Nebenher habe ich nun jezt besondere Auflegung mir meine Gedanken und Einsichten über den Staat und das gemeinsame Leben der Menschen überhaupt recht klar und vollständig zu machen. Das arbeitet nun immer zwischen jenem durch und ist ein herrlicher Zustand inneren Lebens und Gebährens; auch stelle ich mir wirklich vor es muß viel Aehnlichkeit haben mit dem Gefühl einer Frau in der sich ein Kind bildet.  Tatsächlich las Schleiermacher erst im Wintersemester 1811/12 „Geschichte der Philosophie unter den Griechen“. [Schließen]Nun drängt es mich Vorlesungen zu halten über diesen Gegenstand, das ist immer der erste Ausweg, denn dadurch tritt mir alles am besten vor Augen und arbeitet sich aus; und so will ich denn anfangen Anstalten hiezu zu machen damit ich sie in drei oder vier Wochen beginnen kann. Dann komme ich wieder in ein geschäftiges Leben was mir Freude macht wenn ich auf dem Katheder stehe, und Du sollst sehen wie mir das gedeihen wird. –  laut Tageskalender am 16.10.1808 [Schließen]Gepredigt habe ich hier erst einmal wieder, aber nun wird es auch wol öfter geschehen.

Laß mich nun nur auch recht bald erfahren, wie du deine Reise gemacht hast, wie sie Dir und den  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kindern bekommen ist wie die lieben Kleinen sich aufführen und wie Du leibst in dem lieben Sagard . Grüße mir die liebe Bank in der  Ort, an dem sich Friedrich Schleiermacher und Henriette von Willich verlobt haben. [Schließen] Brunnen Aue und sage ihr recht viel schönes von mir. Herzens Jette es ist doch ein einziges Gefühl mit dem ich an diesen Augenblik zurükdenke, der was sich so lange in Verborgenen gebildet hatte plözlich ans Licht brachte. Geängstiget hast Du mich doch auf der lieben Bank. Sagtest Du mir nicht Du sähest doch gar nicht recht wie es auszuführen wäre daß wir zusammen lebten. So etwas ähnliches war es und da ward mir fast als hättest Du noch nie an das rechte gedacht was ich Dir vorschlagen wollte. Aber eben deshalb konnte ich um so weniger mich länger halten | 37v es mußte gesagt sein und ein Ende werden. Wenn auf der Bank sizest meine einzige süße Braut, auf der ich dies liebliche Wort zuerst zu Dir ausgesprochen habe, so wird Dir gewiß alles wieder einfallen, wie es gewesen ist, und sage mir dann doch ein Wörtchen darüber Du plauderst gar zu süß von unserer Liebe

Aber nun gute Nacht mein süßes Liebchen Du schläfst schon längst. Morgen noch ein Paar Wörtchen zum Morgengruß, und dann möchte ich noch ein kleines Blättchen an  Heinrich Christoph von Willich [Schließen] Willich schreiben wenn ich irgend dazu kommen kann. – Mich wundert überhaupt daß da Du es Allen gesagt Du mir noch gar nicht aufgetragen hast an die Deinigen zu schreiben. Wenn du es für überflüssig hältst so lasse ich es auch gern; aber ich bin auch sehr bereit dazu und thue es herzlich gern wenn Du es irgend wünschest. Vergiß mir das nicht. Ich sage Dir nun gute Nacht, und ich sähe so gern wie ruhig sich Deine Brust bewegt, und küßte Dich wenn ich Dich nicht störte. Weißt Du daß ich mich recht darauf freue in Zukunft Dich schlafen zu sehn? Eine schlafende weibliche Gestalt von reinem Sinn wie Du ist fast so schön als ein Kind. Ich will auch immer recht leise heranschleichen wenn ich bis in die Nacht hinnein gearbeitet habe aber dann soll es mir auch ein süßer Lohn sein und ich zur herrlichsten Ruhe einladen wenn ich Dich schlafen sehe.



Nun sage ich Dir guten Morgen mein Liebchen aber um mich gleich wieder von Dir zu trennen. Das ist hart und so soll es in Zukunft nicht sein; wir kosen dann erst manch süßes Wort zusammen und frühstükken mit einander ehe mich die Geschäfte von Dir trennen. Das wird mich stärken, wenn es sein müßte auf den ganzen Tag. Ach wärst Du doch erst hier mein süßes Herz und das schöne fromme frohe Leben erst begonnen.

Grüße mir nun alles. Zuerst unsere lieben Kleinen und mache daß  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Henriette mich nicht vergißt; es ist gar schön daß Du nun schon öffentlich  lies: mit ihr  [Schließen]mir ihr von mir reden kannst. Dann auch Willichs alle Eltern und Kinder und die gute brave  Mariane von Willich [Schließen] Mariane und die liebe anmuthige  Amalie Hahne [Schließen] Hane . Marianen sage recht herzliches von mir. Und wenn Du nach Bobbin kommst so schütte Dein und mein ganzes Herz aus in der herrlichen Tante Beier mütterliche Brust, und mahne  Hermann Baier [Schließen] Hermann als meinen treuen lieben Bruder daß er mich solle etwas von sich hören lassen nach seinem Versprechen; und mache daß Du nicht lange in der beklommenen Luft von Wyk bleibst, es wird Dir dort nicht wohl sein.  Charlotte Schwarz [Schließen] Lotte ist doch noch bei weitem die Beste dort die grüße mir recht freundlich. Und laß mich nicht darben, schikke mir bald liebe Worte und süße Küsse. Du holde liebe einzige Lebewohl

Dein Ernst.

Zitierhinweis

2889: An Henriette von Willich. Berlin, Sonnabend, 22.10. bis Sonntag, 23. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006718 (Stand: 26.7.2022)

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