Berlin den 20ten October 1808.
Die kleine Reise, wiewohl
leider ohne die Frauen ausgeführt war doch recht hübsch.
Wir wollten erst zu Fuß gehen Reimer und ich weil aber ein
dritter, ein laut Steffens' Erinnerungen handelt es sich um
den „jetzigen Generalleutnant“ Lützow, d.h. Leopold von Lützow, den
jüngeren Bruder des Freicorpsführers Adolf von Lützow, vgl. H. Steffens
„Was ich erlebte“ (1840–1843), Bd. 6, S. 167.
[Schließen]Herr von Lützow,
ein Freund von Fritz Dohna
ein gar
herrlicher Mensch, der über Dessau in
Geschäften weiterreiste sich zu uns gesellte, der Bagage bei
sich hatte, die zu Fuß nicht fortzubringen war, so fuhren
wir.
Steffens und Blanc fanden wir schon in
Dessau
, und die
Freude war, wie Du
denken kannst gar groß. Steffens ist munter und frisch wie er lange
nicht war,
und so hat er auch
Frau und Kinder
zurück gelassen.
Wir waren auch ganz die Alten
zusammen und freuten uns der Aussicht auf ein künftiges
Zusammenleben und alles dessen wodurch wir es im Nothfall
herbeiführen helfen wollten. Einen ganzen Tag brachten wir,
wiewohl im Regen doch sehr vergnügt in Wörlitz zu.
Auf dem Wege erzählte ich Steffens von Jettchen
; Du kennst ihn
und kannst Dir seine innige Freude denken. Er fand das auch
das schönste was mir je hätte werden können, und meinte
auch grade auf solche Art hätte es kommen müssen. Wir
durchstreiften den Garten nach allen Seiten und ohnerachtet
des Regens that uns doch nichts so leid als daß
wir nicht alle die wir liebten zusammen hatten auf dem
herrlichen Fleck.
Lützow der Geschäfte beim wohl der Erbprinz von Friedrich von Anhalt-Dessau
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Erbprinzen
und sonst hatte konnte nicht
immer bei uns sein aber er hat sich auch bis über die Ohren
verliebt in Steffens
zu meiner großen Freude.
Zum Rückweg konnten wir keinen
Wagen bekommen und ich wollte im schlechten Wetter nicht
wagen ihn zu Fuß zu machen weil ich Sonntag früh zu
predigen hatte und | 76v wir wenn alles recht glücklich
ging erst Sonnabend ganz spät Abends hätten ankommen
können. Wir mußten also Extrapost reisen auf
offner Kalesche eine entsetzlich kalte Nacht hindurch.
Von Potsdam gingen wir
dann um uns zu erwärmen zu Fuß und kamen unerwartet einen
halben Tag früher.
Die arme Nanny hatte
sich so gefreut auf diese Reise,
wo sie Johanna Steffens
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Hanne
und Caroline Wucherer
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Caroline
wiederzusehen hoffte,
nun war ihr das zu Wasser
geworden, aber sie hat sich doch gar prächtig drein
gefunden. Es freut mich recht daß sie so große Fortschritte
in Deiner Liebe gemacht hat; sie entwickelt sich auch
wirklich zusehends besser und schöner, und unstreitig würde ihr inneres Wesen nicht so
herausgekommen sein in Pleß
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Plesse
wie hier. Wir stehn
auch gar vortrefflich zusammen aber besonders seit Schleiermachers Reise nach
Rügen
im Sommer 1808, auf der er sich mit
Henriette von Willich
verlobte.
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Rügen
, was zu allem Guten und
Schönen einen neuen Sprung gegeben hat, wird es alle Tage
schöner. – Die Vollmacht des Briefaufbrechens
mußte ich ihr ja in Beziehung auf die Deinigen
besonders geben, da leicht Einlagen an sie und an
Carl Friedrich Ferdinand Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten
, mit dem Henriette Herz eine enge Freundschaft
verband.
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Alexander
darin sein konnten die ja früher ankamen wenn sie von hier aus bestellt
wurden. Übrigens folgte ja gar daraus nicht
daß sie die Briefe lesen sollte was sie auch
nicht gethan hat und wie Du Dir das hast zusammendenken
können Es konnte nicht ermittelt werden, wer gemeint
ist.
[Schließen]sie könnte auch Deinen Brief an F. erbrochen haben begreife ich gar nicht. Empfindlich bin ich übrigens über Deine Schelte gar
nicht gewesen, liebe einzige Jette, über gar
keine, denn ich glaube ich habe schon drei Parthien
bekommen. Wenn ich es je mündlich werde liegt das wohl nur
darin daß es im Gespräch leichter einen unrechten Augenblick giebt
die Stelle anzubringen, im Schreiben aber nicht, oder
vielleicht auch eine
gewisse Manier die in Briefen auch nicht vorkommen kann.
Vgl. Brief
2860,
69 – 77.
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Sage mir aber, meine einzige Alte ist es
nicht auch Henriette von Willich
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Jettchens
Werk und weil ich seitdem ganz besonders in
Gnade bei Dir stehe daß Du meine
Unausstehlichkeiten so sehr | 77 gering anschlägst? Hast Du auch das Grimmig
böse Aussehn vergessen was ich manchmal habe, wie
Ihr sagt? und den ökonomischen
Leichtsinn, und manches andre?
Vgl. Brief
*2864.
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Aber nun laß Dir
auch eine Epistel lesen liebe Jette – Nemlich ganz
wunderlich finde ich es daß Du es ein
Unrechtthun nennst daß ich es sage Du sähest meine
Schwachheiten besser als die andern. Die genauste
Freundschaft soll ja und muß auch die genauste
Kenntniß geben und der schönste Vorzug liegt ja darin daß der
Freund den Freund mit seinen Fehlern liebt, andre
ihn aber oft nur lieben weil sie sie nicht sehen.
Wie wunderlich mir aber immer zu Muthe ist, liebe
Jette, wenn Du mich groß nennst, das kann ich
Dir gar nicht sagen. Du weißt daß ich die
Bescheidenheit ordentlich hasse, und daß ich recht
gut weiß was ungefähr an mir ist, aber groß, das
wüßte ich wahrlich nicht wo es mir säße. Und mit
dem Satze fällt denn auch die Folgerung weg daß
ich mit dem Kleinern leicht könnte fertig werden,
ich habe noch keinen Finger gerührt um besser zu
werden in irgend einem Stück und bin darin der
gemeinste und fast niederträchtigste Mensch den es geben kann; was
so geschehen ist, ist mir ganz ohne mein Zuthun
gekommen. –
Vgl. Brief
2856,
27 – 42.
[Schließen] Wegen
Henriette
Pauline Marianne von Willich
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Henriettens
habe ich recht ernsthaft an Jettchen
geschrieben sie müsse sie wieder zu dem Gefühl der
mütterlichen Autorität und der kindlichen
Abhängigkeit, welches den Kindern so
natürlich ist zurückführen. Dieß ist eine gar
wichtige Seite die man ja nicht vernachlässigen darf, und wenn
auch für eine Zeitlang etwas von der wirklich
unendlichen Liebenswürdigkeit des Kindes
sollte verloren gehen was leicht sein könnte. Ob ich wohl Geschick haben werde Kinder zu erziehen?
ich der ich mich selbst so gar nicht erziehe und nichts in
mir machen kann? ich verlasse mich lediglich auf Joh 4,16
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Gott und die Liebe was ja beides Eins ist
. Ja wenn Gott seine Verheißung | 77v auch an mir erfüllt und zum Amte den Verstand giebt so sollen die Kinder recht die Freude unseres Lebens sein
– diese und andre!
Soll ich Dir sagen, liebe Jette daß ich noch gar
nicht ganz von der wunderlichen Ahnung loskommen
kann ich würde keine andern haben als diese? ich sage mir tausendmal daß diese Ahndung nur in der alten
Gewöhnung von
Eleonore
Christiane Grunow , die Frau eines Amtskollegen, die
Schleiermacher letztendlich erfolglos zur Scheidung und zur Heirat mit
ihm zu bewegen versuchte.
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Eleonore
her mich kinderlos zu denken ihren Grund hat ich
lache mich hundertmal darüber aus aber ich kann sie nicht ganz los
werden. Ein kleiner Schleiermacher, kannst Du Dir denn das recht
denken? Wenn mir einmal die Vorstellung etwas
lebhaft wird so werde ich ordentlich närrisch darüber vor
Freude. Vgl. Brief
*2864.
[Schließen]Was machst Du dann aber für Spitzfindigkeiten und
sagst daß Du dann außer dem Leben ständest? Du
stehst ja recht mitten drin einzige Jette! wie willst Du
doch unser Leben und Deins unterscheiden? und daran soll gar nicht gedacht werden daß
Du zurückbleiben müßtest wenn ich Jette hole
auch ohne Alexander
der gewiß jetzt von seinen Eltern nichts nimmt
und von seinem Gehalte wie alle dortigen Officianten starke
Abzüge erleidet. Gesprochen habe ich nicht mit ihm darüber
weil mir die Sache von selbst so klar ist.
Es ist unklar, welcher der Brüder Alexander von
Dohnas hier mit Frau gemeint ist.
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Sein Bruder ist hier durchgegangen ich habe
ihn aber nur einen Augenblick und sie gar nicht
gesehen
Schleiermacher reiste laut Tageskalender am
10.10.1808 nach Dessau ab.
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weil er grade am Tage meiner Abreise nach
Dessau kam.
Vgl. Brief
*2864.
[Schließen]Von dem Werke welches Dich so interessirt kann ich Dir
leider wenig sagen. Ich muß fürchten daß
seine Erscheinung sich sehr verzögert und
vielleicht in der Form in der es entworfen war nun gar
nicht erfolgt. Du weißt wie es mit den
Schriftstellern ist wenn die Noth sie nicht drängt
so scheint es zu gehn. Politische Neuigkeiten weiß ich Dir
nicht zu sagen als daß jetzt hier die
bestimmtesten Anstalten zur Räumung
gemacht werden, und Stegemann der
hier ist sie als unausbleiblich bald erfolgend
ansieht, und die Rückkunft | 78 des Hofes
Anfangs December profezeihet.
Ob damit zusammenhängt daß auch die Wittwenkasse
wieder vollständig zahlen wird weiß ich nicht,
ich wenigstens werde dann vom 1ten Januar an bezahlt. So
wenig das nun auch sagen will so bin ich doch selbst unter
diesen Umständen, die bei weitem nicht so günstig sind als die
welche ich mir ohne die Räumung gedacht hatte ganz gewiß
Jettchen im Frühjahr zu holen und mit dem neuen Amte zugleich,
das nun allerdings in der Kanonierstraße seinen Anfang
nimmt, auch das schöne
Leben anzufangen. Schleiermacher las im WS 1808/09 im Vorfeld der
Universitätsgründung über Dogmatik und die Theorie des Staates und arbeitete an dem Bd. 2,3 der
Platon-Übersetzung.
[Schließen]
Vorlesungen und Plato müssen anfänglich das übrige thun
und im Herbst kommt dann, hoffe ich, die Universität zustande.
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