B. d 6t Octob. 8.

An Jettchen

No. 12.

Wie soll ich Dir genug danken mein geliebtes Herz für das kleinste  Henriette Pauline Marianne von Mühlenfels [Schließen] Jettchen das Du vor drei Jahren als den Erstling Deines schönen Lebens ans Licht geboren, und mir nun mit Dir selbst ganz zu eigen geschenkt hast. Du giebst Dich mir so reich mit dem ganzen Segen eines Lebens auf das ich immer mit der innigsten Freude hinsah, und das liebe Kind das ich so herzlich segnete  über der Zeile ⎡ ehe es noch das Licht sah hier in dieser Stadt in der es doch wahrscheinlich zunächst leben wird wird nun mein, ist schon mein geworden, und wendet sich mit einer so schönen ahndungsvollen Liebe zu mir. Ich habe heute mein ganz eignes Fest mit ihr in meinem Herzen, und ich irre mich gewiß nicht daß auch Du sie heute ganz besonders an mich erinnern wirst. Ich weiß nicht süße Jette ob Du eine rechte Vorstellung davon hast wie mein ganzes Herz an unsern  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kindern hängt. Du hast es wol vorzüglich was klein Jettchen betrifft gewissermaßen sehen können, aber ich zweifle doch daß Du es recht gründlich weißt, und überhaupt daß es sich ein Anderer so denken kann wie es ist denn ich glaube kaum daß der natürliche Vater einen so magischen Zug fühlen kann zu seinen Entsprossenen, und ich möchte sagen daß sich  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfrieds ganze ursprüngliche Vaterliebe in mein Herz gesenkt hätte. Hätte ich nun nur die lieben Wesen erst ganz unter meiner väterlichen Obhut; ich sehne mich danach eben wie nach Dir selbst, und ist nicht auch beides Eins und Dasselbe? Für Jettchens Geburtstag kann ich nun heute nichts mehr thun als daß ich selbst in die Stadt gehe die vortreflichsten Bonbons kaufen, die alle ihr gehören sollen, damit sie das Vergnügen haben kann recht reichlich zu verschenken.  Vgl. Brief 2844, 15 – 28. [Schließen]Was Du mir übrigens von Jettchen schriebst neulich ist nur die natürliche Strafe Deiner Sünden mein gutes Kind, und Du siehst wie nöthig es ist daß Du wieder einlenkst. Kinder haben ein ganz natürliches Gefühl von dem Unterschiede zwischen ihnen und den Erwachsenen und von der Autorität der leztern, und dieses kann kaum auf eine andere Weise erlöschen als wenn diese sich selbst auf einen Fuß der Gleichheit mit ihnen sezen. Prüfe Dich nur recht ob Du das nicht auf irgend eine Weise gethan hast, ob Du das Kind nicht schon zu sehr als eine selbstständige Kraft anerkannt hast, die Dir wohl und weh thun, geben und nehmen kann. Suche nur auf alle Weise das Gefühl der Abhängigkeit in ihr zu nähren und zu stärken, aber freilich so daß sie keine Willkühr fühlen kann in Deinem Betragen gegen sie; denn dies, immer verderblich genug, würde es bei ihr in einem noch weit höheren Grade sein als sonst. Herstellen läßt sich das gewiß leicht in ihrem jezigen Alter wenn Du die gehörige Sorgfalt darauf wendest; aber aufschieben darfst Du es nicht.

Uebrigens bin ich diese ganze Zeit über nicht zur Ruhe gekommen darüber daß Du meine Briefe wie es scheint sehr unordentlich empfängst oder vielleicht gar welche verloren gegangen sind.  Vgl. Brief 2818. [Schließen] Mein Brief vom | 31v 5ten September war No 7.  Sachanmerkung:

Seitdem ... Königsberg gradezu,] 
Vgl. Brief 2823, Brief 2825 und Brief 2837 sowie Brief *2841 an Sophie Schlichtkrull.

gradezu,] lies: gradezu, und
 [Schließen]
Seitdem habe ich an Dich abgeschikt am 8ten No 8, am 12ten No 9, am 19ten No 10  über der Zeile ⎡ wobei ein Briefchen an Sophie war sämmtlich aus Königsberg gradezu,
 Vgl. Brief 2850 von Schleiermacher sowie Brief 2844 von Henriette von Willich.  [Schließen]und nun zulezt am 2ten October von hier aus No 11. Dein lezter Brief, nicht numerirt aber gewiß No 8 ist vom 26ten September, und Du müßtest damals wenn alles ordentlich ging meine beiden vom 8ten und 12ten schon gehabt haben. Ich kann durchaus keinen Grund einsehen warum man diese Briefe sollte untergeschlagen haben da sie wol nichts enthalten als was uns beide unmittelbar betrift, kaum so viel ich mich erinnere irgend eine Erwähnung von merkwürdigen Personen in Königsberg , und es thut mir recht ordentlich leid daß Du sie nicht erhalten hast.  Henriette Herz, vgl. Brief *2845. [Schließen] Da sich nun große Jette rühmt alle meine Briefe, wenn gleich aufgeschnitten gelesen mit Anmerkungen begleitet, doch richtig erhalten zu haben so lege ich dies Blättchen bei ihr ein damit Du wenigstens erfährst Du Arme daß ich nicht so lange sein konnte ohne mit Dir zu reden und Dir liebzukosen. Wer weiß was für Zufälle die Mittheilung noch mehr erschweren können wenn etwa die Besorgniß vor den in der Ostsee unnüzerweise herumschweifenden Engländern noch zunehmen sollte (denn andere Störungen glaube ich nicht daß zu erwarten sind). Sehr unangenehm wäre dies gewiß und sehr ängstlich! Aber Gott sei Dank daß doch die Gesundheit der Kinder so weit hergestellt ist daß ich nichts zu besorgen habe. Dies wäre meine einzige Sorge. An Deinen Wohlsein kann mir unmöglich irgend ein Zweifel kommen, mein frisches jugendliches Töchterchen. Sei Du dann nur auch für diesen Fall ganz außer Sorgen; ich befinde mich vortreflich, fange nun wieder an arbeitsam und fleißig zu sein, und in der Beschäftigung mit den allgemeinen Angelegenheiten zu denen ich nur leider nichts thun kann, mit dem herrlichen Plato  Gemeint ist: der herrlichsten Beschäftigung. [Schließen] und der herrlichsten Dir führe ich ein so reiches schönes Leben wie es vor Deinem gänzlichen Besiz nur möglich ist.

 Vgl. Brief 2844, 29 – 41. [Schließen]Daß alle Deine Mittheilungen so glüklich abgelaufen sind, und daß Du meine Zustimmung vorausgesezt hast freut mich herzlich. Hat kein Beschwerlicher dem ich für jezt noch die Antwort schuldig bleiben mußte nach meinen äußerlichen Verhältnissen gefragt? Dann hätten wir das alles ja früher haben können!  Frau von Mühlenfels, Henriette von Willichs Großmutter, vgl. Brief 2844, 47 – 51. [Schließen]Mit Deiner guten Großmutter ist es mir wunderlich ergangen. Ich bringe ihr Deinen Brief selbst sie hat aber einen Besuch bei sich, fragt mich nicht wer ich bin, liest auch den Brief nicht in meiner Gegenwart, und so hat es da ich das Gebot der Verschwiegenheit nicht selbst brechen wollte im Beisein des Besuches, zu gar keiner Erklärung zwischen uns kommen können. Ich will indeß in den nächsten Tagen noch einmal zu ihr gehen[.] Hier habe ich Reimers davon gesagt und Spaldings und es giebt wol noch ein Paar Freunde denen ich es nicht werde lange verschweigen können. Alles freut sich sehr herzlich.  Charlotte Schleiermacher, vgl. Brief 2769, 46 – 62. [Schließen] Meine Schwester Lotte aber ist ganz verliebt in Dich, und fürchtet nur ich werde gar nicht lieb und zärtlich genug gegen Dich sein. Sie wollte auch schon an Dich schreiben aber da sie nicht weiß daß Du weißt daß sie weiß, und dann unzart fände Dir so die Schwesterschaft auf den Kopf zuzusagen so wartet sie lieber auf das erste Wort von Dir. Ich erwarte nun auch von Dir die Bestimmung ob ich und wann und an wen von den Deinigen ich schreiben soll. Vgl. Brief 2831, 38 – 40. [Schließen] Das botanische Buch trug ich Reimer auf so wie ich zurük kam, es erschien erst kurz vor meiner Abreise nach Königsberg , und nun erst kommt es vom Buchbinder. Hätte ich das gewußt so hätte ich Dir lieber das historische besorgt was ich Dir zugedacht habe und was Dir Deine winterliche Einsamkeit soll ausfüllen helfen. Das wird nun noch länger dauern – Liebste Jette wie ich Dich lieb habe das kann ich Dir nun gar nicht ausdrükken wenn Du es nicht weißt. Allgegenwärtig bist Du mir, und immer ruht mein ganzes Herz und mein ganzes Auge auf Dir, dem Segen und der Freude meines Lebens. Könnte ich Dir nur Alles so sein wie ich es möchte könnte ich Dir nur jezt unmittelbar zuflüstern zublikken zuküssen meine ganze Liebe

Dein Ernst.

Zitierhinweis

2856: An Henriette von Willich. Berlin, Donnerstag, 6. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006685 (Stand: 26.7.2022)

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