S den 18 IX 08

Nicht daß ich auf Ihre Declaration, geliebter Freund, methodice gewartet hätte, nicht darum schwieg ich auf der Farth nach Mönchgut und hielt mein Schreiben zurük. Nein(?) dorten(?), weil jeder sich selbst der Nächste dergleichen erst bei sich selbst durchkehren muß, um das noch so vollkommene Gericht auch dem besten Freunde vorzusezzen; hier weil ich doch wohl wußte, was Sie mir schon längst müßen gedacht und gewollt haben, daß ich es mir sagen möchte. Das habe ich denn fleissig und mit der Zuversicht zu Ihnen und zu mir gethan, lieber Schleier, die uns nun nicht mehr täuschen kann.  Vgl. Brief *2836. [Schließen]Ihr herzlicher Brief ist mir das Siegel darunter. Unser  Henriette von Willich [Schließen] Jettchen kann sich wenig verbergen, sie und Sie haben es nie gewollt – Wie sollte es denn gekommen seyn, daß mir so lange entgangen wäre, was kommen muste? nein! frühe spann sich die Freude darüber an Euer erstes Wiedersehn hier an und mit aller Herzlichkeit geniesse ich sie izt. Ja so mußte es kommen – jene konnte kein lebhafteres Bild von dem nun Unverlohrenen sich naherükken – ohne das wäre ihr doch einmahl eine Leerheit entstanden, die auf dem lange Wege beschwert hätte und Du, geliebter Bruder, umfassest in ihr mit deiner Liebe mehr, als die Menschen sehen, die nach den Raben fragen – Wohl denn daß ihrer Sehnsucht vorgeeilt und Deine Lükke gefüllt ist, eh jene und diese noch schmerzlich fühlbar würde! wie leuchtend zeigt sich mir die Verkettung dreier in einander verschlungener Schicksale! was sieht man nicht schon hier, was wird man einst noch sehen! – So steht es denn gut und so wird es gut gehen – Mir ist Jettchen in ihrer entfalteten Liebe zu dem Doppelwesen, das sie umfaßt, ein Genußreicher Gegenstand – Denken, Lesen, Schreiben ist all ihr Thun und Treiben – sie giebt den  Kinder aus erster Ehe der Henriette von Willich [Schließen] Kindern keine andre als dreifache Küsse, und dreifach sieht sie jedem ins Auge, der um sie weiß – der scheinbare Verlust muß ihr zum Gewinnst werden; denn  1 Kor 13,13 [Schließen] es bleibt, Glaube, Hofnung, Liebe – darum habe ich denn auch nicht | 3v geruhet bis sie mit ihrem ganzen Anhängsel zu mir gekommen – ich muste sie lesen, schreiben, denken, leben und weben sehn – Leider bin ich durch die ungebetnen Gäste oft sehr darin gestört und durch eine Fluth jener allotria, die man nicht von sich weisen kann. Gestern habe ich nun meine (hoffentlich) lezte Einquartierung weggeschikt und sie dagegen von Wiek wieder herholen lassen. Nun solls mir ein Paar Tage noch recht wohl thun. Dort in Wiek hat denn endlich die verhaltne Sehnsucht und der stille Gram auch sein Ziel gefunden.   Theodor Schwarz heiratete Philippine Schwarz, geb. Hahne und Theodors Schwester Charlotte Schwarz einen Herrn Hasselbach. [Schließen] Theodor hat seine Philippine und Lottchen wird bald zu ihrem Hasselbach ziehn. Doch ich wollte noch nicht dahin, wollte erst noch mich freuen, daß B. nun leer seyn und Grund und Boden auch für zeitliche Hofnungen wieder sicher werden wird – wollte erst noch mein herzliches fiat zu dem Vorschlage sprechen, hier bei und von mir die eheliche Weihe zu empfangen – nur daß es unser Schlichtkrull nicht empfindet – Jettchen muß etwa ein Paar Wochen vor deiner Überkunft uns besuchen, daß es sich hier dann so fügt und trift – ein testimonium factae proclamationis bitte ich mitzubringen, so wird sie hier leichter dispensirt werden. Die Bank in der BrunnenAue  lies: werde [ich] [Schließen]wurde mit Decorations belonen, mein Bad in höhern Anschlag bringen und unsern Kreis izt für vollendet halten. Mir ist mein liebster Bruder izt unverloren, ich reiche meine Hand dir dar und weiß, wir werden nicht von einander weichen –

Unter andern Mitteilungen hat mir Jettchen auch die von deiner Unterhaltung mit der Königin gemacht – es freut mich, weil Gutes daraus kommen kann, wenn sie fortgeht – mich dünkt gar ich habe schon in den Zeitungen Gedanken über die Verbesserung der Klerisei gefunden, die in  Friedrich Schleiermacher: „Zwei unvorgreifliche Gutachten“ (1804) [Schließen] deinen Gutachten über den Protestantismus, vielleicht in näherer Unterhaltung mit der Königin , ihren Grund haben mögen – | 4

Der Durst zu predigen nun gelöscht? – Ich predige auch sehr gerne, habe aber nicht immer gleiche Freudigkeit der Zufriedenheit mit mir – das verdirbt mir dann bisweilen den Labetrunk – Alle Sonntage Morgen fast sind auch beinahe den Markttagen am Gewühl gleich und ich bin zu schwach, mich darüberhin zu erheben und was sonst mir anhängt von der eigentlichen parforcejagd meines Studienlebens, wovon ich vieles, zu meiner Entschuldigung vieleicht, erzählen könnte – und von den Welthändeln. Die, darin ich wärend deines Hierseins verwikkelt war und wurde, sind, wie bisher immer, freilich gefahrlos – sind auch, wie es scheint, alle schon glorreich überwunden – Alles steht gut, vortreflich – könnte ich sagen – wenn nicht der Mißmuth über die Schlechtheit der Einzelnen mir die Freude über den Sieg des Rechts und der Unschuld jedesmahl verkümmerte – der gegen mich angereizte Fiskal scheint verstummt zu seyn, ich bin es, der um das Urtel antreibt – die wegen Injurien und aufrührerischer Äusserungen angezettelte Klage, von mir derbe beantwortet, scheint hängen zu bleiben – ich werde in contumaciam die hohe Landesobrigkeit izt verklagen müssen – mich ekelt dafür, den Wust der Intriguen und | 4v Anzettelungen aufzurühren – mag ihnen der Gestank in ihre alleinigen Hochwohlgebohrnen Nasen ziehen!

Was mich nothwendig am meisten extra beschäftiget, ist die entrirte(?) Pachtung – deren Besiz man mir erschwert – deren Verzögerung mich ausser Stand sezt, über das meinige zu disponiren – da sie vieleicht zu einem Nothgedrungenen Handel auf ein Paar Güter, als den einzig möglichen Ausweg, hinausgehen kann – das bindet meine Hunderten, um Tausenden Sand in die Augen zu streuen – Meine Freunde werden wissen, daß ich vorsichtig gehen werde; aber meine Freunde leiden für den Augenblik darunter – Erkunde mir bei der Sache Erfahrnen, was ein Lieutenant der preußischen Armee, der über Urlaub hier geblieben, weil er nicht weg durfte, wenn er zurükkehrt, zu erwarten hat – Ob man es ihm nachträgt, daß er nicht heimlich einen Damm durchbrochen, der sehr schlechten Schein des Rechts für sich hat – Es ist mein jüngster Neveu Friz von Berger; er hat Neigung wohl geäussert, das Militär zu quittiren und Oekonom zu werden – ich bin nicht sicher, ob es vieleicht nur Unsicherheit jenes Erfolgs ist – möchte wissen, ob und wie ihm zu helfen, wenn er in seiner Laufbahn fortfahren wollte –

Und nun ein herzliches Lebewohl – ich habe dich Bruder genannt, weil ichs meiner Seits so fühlte und bin es von ganzer Seele

C v W

Zitierhinweis

2839: Von Heinrich Christoph von Willich. Sagard, Sonntag, 18. 9. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006668 (Stand: 26.7.2022)

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