Kbg d 18t. Sept. 8.
N. 10.
Mir war schon ganz bange daß ich seit acht Tagen nichts von Dir
gehört hatte und ich hatte mir ausgerechnet wenn Du nicht
geradezu
hierher schriebest würde ich auch nichts mehr von Dir hören
weil
Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
mir nicht mehr Briefe herschikken würde, und das wollte ich Dir schon
Gestern Morgen klagen, konnte aber zu keiner Zeile Schreiben
kommen – da kam Nachmittags beim Kaffe ganz
unverhofft Vgl. Brief
2815.
[Schließen]Dein lieber Brief No. 5 vom 4ten
und 5ten September.
Nun ist aber leider Vgl. Brief
2809.
[Schließen]No. 4 noch nicht da. Suche doch noch in Deinem Gedächtniß
ob du den auch schon hast hieher geschikt oder ob er über Berlin
gegangen ist; im lezten Falle
wäre es möglich daß er noch käme, vielleicht heute. Daß mir
liebe Worte von Dir mein süßes Kind verloren gegangen sein
sollten will mir gar nicht eingehn.
Wie war ich gleich ein
ganz andrer Mensch nach diesem nicht mehr gehofften Briefe!
Frische Heiterkeit und Freude strömte mir durch mein ganzes
Wesen. Aber was ist es auch herrliches Briefe von Dir zu
bekommen meine theure Jette! Wenn es nur recht
möglich wäre möchte ich sagen Du würdest mir durch jedes
Wort lieber was Du mir sagst. Freilich wußte ich es daß Du für unsere ganze Lage das
rechte Gefühl und die rechte Sicherheit bald finden
würdest, wie es denn überhaupt nichts giebt was nur in
unserm Leben vorkommen kann, wobei ich Dir nicht alles Gute
und Schöne zutrauen sollte und es schon immer im voraus wissen
ehe als Du selbst; aber zu diesem innern Wissen, zu diesem
schönen festen Glauben das Schauen, das ist ja eben das
Herrlichste was das Leben bringen kann, und die lieblichen
süßen Worte mit denen Du mir alles Schöne sagst! einzige Jette wie lieb ich
Dich habe – nun das läßt sich mit allen Worten deren ich
Meister bin nicht sagen aber ich sagte es Dir gern mit
allen | 26v Liebkosungen und allen Blikken die in den
Brief nicht hineingehn, und die doch das Einzige
wären was ich an dem Deinigen vermissen möchte –
außer die Unart legst Du noch nicht ab daß Du immer sagst:
meine
Kinder der Henriette von Willich aus erster
Ehe
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Kinder
. Warte nur Du böse Jette, wenn der Brief wird
angekommen sein in dem ich zuerst darüber klage
und Du thust es noch wieder so spiele ich den Ehemann im
voraus und verbiete es Dir förmlich.
Vgl. Brief
2815,
28 – 34.
[Schließen]Ja der fünfte September soll uns immer ein recht heiliger Tag
sein, sobald die Kinder nur Sinne dafür haben können soll er
auch ihnen ihr eigenstes ernstestes Fest werden
und unsere große
Henriette Herz
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Jette
werden wir ja auch immer bei uns haben und wollen ihr Leben mit Blumen
durchstreuen bis in ihr spätestes Alter, und immer soll
Ehrenfried von Willich
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Ehrenfried
der theure Mann unser Schuzheiliger
sein, und wie er
mich Dir
über den ursprünglichen Text geschriebenmir Dich
zuführte als Tochter so führt er mir Dich auch zu als
Braut. Liebe Jette ist nicht die herrliche Eintracht in
Deinem ganzen Wesen das schönste Zeichen was er von sich
geben kann? Eben weil Du sie nicht immer auf gleiche Weise
hast und haben kannst, und Er wenn Du sie recht inne wirst
und fühlst auch am meisten in Dir lebt, eben darum ist sie
ein Zeichen von ihm. Es ist wol nicht möglich liebes Kind
daß der Mensch immer, kann in diesem schönen
Gleichgewicht auf bewußte Weise leben, welches ihm wird wenn
einmal sein ganzes Wesen und alle seine
Verhältnisse zugleich recht lebendig in ihm werden; dies sind die seltneren Momente wo
wirklich der Himmel im Herzen ist und die Ewigkeit in der
Zeit – aber was mich recht
gefreut hat ist, daß Du ohne alle Spur von Unzufriedenheit
mit Dir selbst gestehest Du habest dieses
Gleichgewicht nicht immer. Ich hoffe nemlich Du wirst diese
Unzufriedenheit immer mehr los werden, und Dich selbst gern
so nehmen wie Du bist, wie ich Dich gern so nehme – und
dann wirst Du auch nicht mehr muthlos sein in Absicht
dessen was Du in der schönen Zukunft sein willst und
sollst. Vgl. Brief
2815,
41 – 46 oder Brief
2815,
19 – 22.
[Schließen]Sieh es steht nur grade das eine arme Wort
darüber da in Deinem Briefe aber ich muß es doch
berühren und Dir gleichsam wegküssen von dem lieben
Munde denn es gehört doch nicht hinein.
Vgl. Brief
2803,
131 – 138.
[Schließen]Dabei fällt | 27 mir ein daß mich wol muthlos
machen könnte was Du schreibst daß Dir Andre Schuld
geben vom Idealisiren, denn wenn sie Dich dessen
grade nur in Bezug auf mich nicht beschuldigen so kommt
das daher weil sie wol selbst ein wenig an dieser
Krankheit leiden.
Daran sind mir die Monologen Schuld, in denen ich
mich eben selbst idealisirt habe, und nun meinen die Guten
Alle ich bin so. Nemlich, ich bin ja freilich so, es ist
meine innerste Gesinnung mein wahres Wesen, aber das Wesen
kommt ja nie rein heraus in der Erscheinung, es ist immer getrübt
in diesem armen Leben, und dies getrübte steht nicht mit in
den Monologen.
Nun bitte nur große Jette daß Dir die recht viel
schlechtes und fatales von mir erzählt, die weiß eine gute
Portion und hat genug daran gelitten, und denke nur daß Du
das alles mit bekommst. Ich sage Dir das so ganz ehrlich
wie es scheint, aber die Eitelkeit oder soll ich sagen die
Schmeichelei der Liebe stekt doch mit dahinter; ich bilde
mir nemlich ein Du wirst es doch so arg nicht finden
sondern Deine Liebe und unsere Ehe wird das rechte Mittel
sein das wahre Wesen immer reiner
herauszuarbeiten zur Erscheinung. Findest Du
mich also leidlicher als große Jette
mich darstellt wenn sie von meinen Unausstehlichkeiten den
Mund recht voll nimmt: so denke nur immer daß das schon
Dein Werk ist.
Uebrigens
aber ist es nicht das Idealisiren worüber ich wol schon
Klage gehört habe gegen Dich sondern eben jene
Ungleichheit, daß Du über Einer Freundin von der grade Dein
Herz voll ist die andern vergißt und verläßt. Ich bin aber
immer eben so sicher gewesen daß das nur vorübergehend und doch
nur Schein ist, wie Du als Du mir neulich davon sprachst.
Es ist grade wie
es mit den mancherlei Beschäftigungen geht die mit einander
wechseln müssen im Leben und die man doch auch wieder alle
zugleich hat. Man thut einen tüchtigen Rukk in der einen
und geht dann wieder über zu einer andern ohne sie
eigentlich je vergessen und verlassen zu haben.
Unsere Charlotte von Kathen
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Lotte
sprach einmal davon und ich sage Dir es nur weil es Dir
ein natürlicher Antrieb sein wird, sie Deine und meine
herzliche Liebe jezt wo sie dessen besonders bedarf wieder
recht innig fühlen zu lassen.
Auch
Tante | 27v Baier
sagte mir, jedoch mit der sichern Ueberzeugung daß es mit
ihr und Dir immer beim Alten bliebe daß Du Dich jezt vorzüglich an Jette
anschlößest und meinte gewiß eben das. Es war in
Altenkirchen bei Tisch, ich war sehr herzlich mit ihr und
hätte ihr so gern von uns Beiden gesagt!
Daß Du Dich aber grade an
Jette so
fest gehalten hast in dieser Zeit die unserm Bündniß
vorherging, und dies so Eins war in Dir mit der ersten
Ahnung davon, das ist doch ganz herrlich und
lieblich[.] Es war eben
schon der Instinkt der Zukunft der Dich dazu trieb, und
wills Gott soll er auch nicht trügen sondern sie soll Dir
immer die nächste Freundin sein die Du täglich um Dich
hast. Du süßes Liebchen
wie herrlich wächst Du in den ganzen Kreis meines Lebens
hinein! Alles was mir das liebste ist liebt Dich schon und
sieht mit dem schönsten und sichersten Vertrauen auf unser
Leben.
Wedeke's die
geschworene Feinde meiner Verbindung mit Eleonore Christiane Grunow, Schleiermachers große
Liebe vor seiner Verlobung mit Henriette von Willich
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Leonoren
und damals immer voll trüber Ahnung waren, wie herzlich freuen sie sich
jezt, und reden nur immer von Dir und können nicht genug
hören.
Vgl. Brief 2815, 68 – 71.
[Schließen]Mit Lächeln mußte ich doch anfangen als ich in Deinem Briefe an die Stelle kam vom Aufdringen; es klingt gar zu komisch Du liebes Herz.
Aber ich habe Dich gleich damals ganz so verstanden, wie Du mir es jezt schreibst, und eben weil ich Dich so verstand warst Du ja auch gleich ganz mein und von keinem heißen statt sein mehr die Rede. In dem Augenblik als ich Dir jene Worte sagte war ich noch nicht ganz gewiß ob Dein Gefühl für Ehrenfried Dir zulassen würde ganz mein zu sein. Es kommt mir vor wie bei den Schmetterlingen die lezte Entwikelung so schnell geschieht daß das Auge sie kaum verfolgen kann, so war auch die lezte Entwiklung unserer Liebe so augenbliklich daß sie allem Reden entging; sie war nun auf einmal ganz da nachdem sie so lange verpupt gewesen. – Heute sind es grade zwei Monat, das ist mir schon den ganzen Tag ein Fest gewesen, und Morgen sind es neun Wochen, das ist wieder ein Fest – aber der 5te war doch das schönste. Ja Ehrenfried soll immer mit uns leben. Dein rechter Hochzeitstag ist der seinige, die beiden süßen Kinder hat er uns gegeben, und Du wie Du Dich mir giebst bist mir sein Vermächtniß.
Sage mir singst Du auch noch fleißig? oder haben die unmittelbaren
Aussichten Dir das Singen
leicht
über den ursprünglichen Text geschriebenleid
gemacht? Ich wollte unser künftiges Leben läge mit solcher
Klarheit und Sicherheit | 28 vor Dir wie vor mir, so
würdest Du immer singen – Du bist so herrlich muthig
Jette, und ich gönne es Dir auch daß Du die Gefahr des
Unterganges siehst und Dich an dem Großen darin erfreust,
leider aber kann ich das kaum mit Dir theilen denn wenn
auch alles geschieht was beschlossen ist, und wovon ich
täglich bete daß es doch unabänderlich nothwendig bleiben
möge weil es das allein heilsame ist: so gehört
doch auch dann eine Gefahr für mich zu den
unwahrscheinlichsten Dingen und ich bin viel zu
sehr ein Glükspilz als daß sie mich treffen sollte.
Vielmehr bin ich überzeugt ich werde nur die Früchte
erndten und sogar Mt 25,24
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erndten wo ich nicht gesäet
habe,
denn es wird manches Gute auf meine
Rechnung kommen wozu ich nichts habe beitragen können;
Vgl. Brief
2801,
17 – 24.
[Schließen]daß Du gern jezt schon bei mir sein möchtest dafür danke ich
Dir innig, und kann es nicht anders als loben und lieben; aber die Sache
selbst wird es fürchte ich unmöglich machen, thut sich
aber eine Möglichkeit auf so rechne darauf daß
ich sie benuze. – Von meinem hiesigen Leben habe ich Dir
eigentlich wenig gesagt; das soll auch bleiben für die
traulichen Abende und Morgen, die ich mir schon jeden
Abend und Morgen ausmale mit herzlicher
Sehnsucht. Ja da will ich auch gesprächig werden und Du
sollst alles erfahren was Dich interessiren kann. Liebste
Jette was wird es für ein Leben werden! ja ein wahrhaft
himmlisches. Und nun für heute gute Nacht mein süßes
Liebchen, der Wunsch kommt etwas spät denn es ist schon
weit über Mitternacht. Morgen früh noch ein Paar Wörtchen
in großer Eile
Montag d. 19t. An unsere große Jette komme ich wol heute nicht zum Schreiben. Vgl. Brief 2815, 83 – 86.
[Schließen]Den Brief worin sie mir vom Grabstein schrieb habe ich allerdings erhalten, aber ich habe auch darauf geantwortet.
Nun schreibt sie mir aber von Der eingelegte Zettel ist Brief *2820; den großen Brief von Henriette Herz (Brief *2800) nebst Brief von Henriette von Willich (Brief 2809) und von Charlotte von Kathen („Lotte“) (Brief *2802) hat Schleiermacher erst bei seiner Rückkunft in Berlin am 30.9. vorgefunden. – Bei Charlotte von Kathen, Henriette von Willichs Schwester, hatte Henriette Herz eine Stelle als Erzieherin inne.
[Schließen]einem großen Briefe der schon unterwegens gewesen als sie
die Einlage
über den ursprünglichen Text geschriebendiesen
lezten Zettel der in Deinem Briefe lag geschrieben, mit Einlagen von Dir und Lotte, den habe ich noch nicht erhalten.
Schilt sie übrigens doch denn sie ist so vergeßlich nicht zu numeriren. Es fehlt mir übrigens noch gar viel aus Rügen
. Von Lotte habe ich noch nichts als Vgl. Brief *2778.
[Schließen]ein Paar Worte am Rande von Jettes erstem Briefe,
von Luise von Willich
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Luise
nichts
sondern nur an Nanny hat sie ein Zettelchen geschrieben,
von unserer lieben | 28v
Pistorius habe ich noch gar nichts gehört,
die Israel scheint auch vergessen zu haben daß sie mir schreiben wollte.
Von Bobbin erwähnt Niemand ein
Wörtchen
und ich wüßte so fern etwas von Tante Baier
und von dem lieben Hermann Baier
[Schließen]
Herrmann
wie es ihm in Altenkirchen ergeht.
Liebe Jette Töchterchen bleibst Du immer und also sollst Du auch
Bonbons haben; ich denke Nanny wird
Gelegenheit finden noch mehrere hin zu spediren.
Vgl. Brief
2795,
54 – 56.
[Schließen]Daß aber das Zeug zur Weste von Ehrenfried herrührt
hat mir das böse Mädchen doch nicht gesagt.
Nun Gott befohlen Du mit unsern süßen Kindern meine liebe
Herzens-Jette. Wahrscheinlich schreibe ich Dir nun von hier aus nicht mehr und
das wird die erste Pause sein. Denn bisher dächte ich hätte die Post aber
noch nicht kommen können ohne Dir etwas zu bringen.
Noch Eins: Vgl. Brief
2815.
[Schließen]
Dein Brief war in Stettin
aufgemacht wie ich aus dem
beigedrukten Siegel sah. Nimm nur dieses in Acht daß Du
nicht auf der ersten und lezten Seite Dinge berührst die
Du nicht eben vor Jedermanns Auge willst gebracht haben.
Durchgelesen werden die Briefe gewiß nicht das wäre rein
unmöglich. Noch einmal sei mir herzlich gegrüßt
und umarmt, und schreibe fleißig und daß mir ja nichts
verloren geht von Deinen süßen Worten. Die
Kinder drükke ich an mein Herz.
Die Wedeke will immer wenn doch das Frühjahr erst herankommen soll daß wir ihren Hochzeitstag zu dem unsrigen machen sollen. Eine glükliche Vorbedeutung müßte das freilich sein.
Wenn ich noch, wie ich glaube Donnerstag von hier abreise: so kann ich erst Donnerstag über acht Tage wieder von Berlin aus schreiben.
Ernst.Zitierhinweis
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