Sagard. Sonabend den 17ten – 8

 Vgl. Brief *2816. [Schließen]Ich muß Ihnen selbst noch einmal danken, für Ihre wenigen freundlichen Worte aus Königsberg. Ob es mir auch noch lieb ist daß Sie Ehrenfrieds Stelle einnehmen? Ja, könnte mir das je anders werden, so verdiente ich nicht seine Schwester zu sein, so wäre ich es nie gewesen! so müste ich ja fahren laßen, die innige Vereinigung mit ihm, und dann wäre es wohl aus mit mir –! Ob ich Ihnen wohl ferner sagen will, was mich erfreut und was mich drükt? – was mich erfreuen mag in Zukunft, gerne will ich es Ihnen immer wie sonst sagen. Was mich drüken könnte – nein, mein menschlicher Wille ist es, davon zu schweigen zu Ihnen, und zu allen – gewiß so ist es beßer! früher war es anders, jezt kenne ich den Schmerz – er ist nicht ohne Seegen für mich gewesen, dieser Seegen wird mir bleiben, so lange ich from und gut bin, und bin ich das nicht, so kann mich ja doch nichts trösten.

Jettchen wird Ihnen sagen daß wir hir in Sagard sind, ich bleibe nun wahrscheinlich so lange bei Jettchen und den   Henriette Pauline Marianne und Ehrenfried von Willich [Schließen] Kindern , bis sie ganz bei Ihnen ganz glüklich sind!

Eine große Freude würde es mir sein wen Ehrenfrieds Grab mir recht recht nahe wäre! sehen Sie in dieser Sehnsucht, keine schwermüthige Schwärmerey – es ist so nicht lieber Freund, es ist etwas reineres, was immer mehr in mir gedeihen wird.

Aus Berlin höre ich hat Jettchen nun auch Briefe von Ihnen so haben Sie auch mein kleines Blatt erhalten, und meine Bitte darin, und sie ist hoffe ich erfüllt, wenn ich das Paket von Nanny erhalte. Adieu! Gottes Seegen über alle Glükliche! und seine Krafft über alle Traurige.

Luise

 Amalie Hane [Schließen] Malchen Hane grüst Sie sehr freundlich. | 67v

den 18ten  Vgl. Brief *2833. [Schließen] Ich hatte dies frühere geschrieben eh ich Ihr leztes Blatt bekam, ich hatte schon aufgehört mich darnach zu sehnen, und richtig schon sah ich jezt immer die liebe bekante Hand in der Ferne, ohne mehr etwas zu verlangen – heimlich lieber Schleier, konte ich mich aber nicht der Trähne enthalten ohne empfindlich zu sein – ich betrübte mich dann innig, daß ich mich nicht rein genug freute über Jettchens großes Glük. Schleier, Gott weiß es, wie ich ihn demüthig gedankt habe für dieses Glük. Eine unbeschreibliche Ruhe hat es mir gegeben daß Jettchen nicht mehr trübe in die Zukunft blicken darf – o wie mich dies oft gedrükt hat – nun ist sie glücklich! und die Kinder haben ihren Vater wieder!! – ja Schleier Du bist ja wie Er!! – Warum habe ich dann unbesiegbare Wehmuth? ach ich glaube ich weiß es wohl – weil Du mich so lieb nicht haben kannst als er mich hatte – weil mich kein Mensch so lieb hat, und weil ich doch diese Liebe bedarf – und dann lies vielleicht: grule (Niederdeutsch für graule) [Schließen]           (?) ich mich wieder, daß ich mich nicht, allein nur freue wie die Andern, (außer Sophie ) es thun, weiß Gott! ich meine immer ich denke nicht mehr an mich, und doch kann ich nicht zur einigen Freude kommen, ich kann es nicht – Es ist mir als war es Gestern, wie er lebte – und mit mir – wie er mir immer alles sagte, alles alles mit mir theilte – auch wie Jettchen seine Braut ward, und wie sie es war! wie lieb sind mir seine Briefe[;] wie, sie seine Frau war, da ward es erst anders, da war ich eine Zeit auch traurig, mir war als hätte ich viel verlohren – aber es ward wieder anders o Gott! – und da war es vorbei – lieber Schleier ach und bin ich es nur nicht allein die verlohren hat? – Doch bedaure mich nicht, und habe auch keine Sorge für mich, ich werde mich halten – glüklich sollen nur wenige Menschen sein ganz glüklich – unglücklich bin ich nicht, das weiß ich – glüklicher wäre ich gewesen, wenn Jettchen mich lieber gehabt hätte – wenn sie es gewust hätte wie er es wuste, wie ich gerne alles innig mit ihr getheilt hätte, wenn sie meinen Willen erkant hätte – In den schönsten, und schwersten Stunden bin ich ihr zur Seite gewesen, mit einem Herzen voll inniger Liebe! wie das Kind gebohren ward wofür Ehrenfried Gott dankte – wie er starb! – wie wir dort alles verließen – wie hir das Kind gebohren ward, das keinen Vater hatte – nun ist das alles alles vorüber – – – – – Jettchen fängt ein neues schönes Leben an – mir bleibt | 68 die wehmüthige Erinnerung am Vergangnen – und die Freude an Eurem Glück, daß ich diese immer reiner und reiner empfinden möge, das ist mein stilles Gebet.

Es ist noch nicht ganz gewiß wo ich den Winter sein werde ich werde nichts dazu thun, sondern es dem Schicksaal überlaßen vieleicht ist es beßer wenn ich mehr bei den Kindern bin – ich liebe die Kinder innig, doch lieber Bruder, ist das was bei mir als  Gemeint ist Weichlichkeit. [Schließen]Weiglichkeit gegen der kleinen Jette erscheint nicht Weiglichkeit – nie habe ich  Mit „Jettchen“ ist immer die Mutter gemeint, Henriette von Willich geb. Mühlenfels.  [Schließen] Jettchens Willen entgegengearbeitet – das bin ich mir bewust, doch habe ich ihr in Hinsicht der Kinder auch nicht beförderlich sein können weil sie es bestimt wünschte mich nicht darin zu mischen – ich ward wirklich furchtsam, der Augenblik erforderte bisweilen Organisiren – doch nur einmal versuchte ich es – die Folgen waren natürlich – jeder Abschlag wird von der Mutter geholt, und von manchen ist mir in der kleinen Jette der Grund ganz klar – jezt ist es anders, das frühere hat Jettchen vieleicht vergeßen, und sie würde nun vieleicht mit mir gemeinschaftlich wirken – doch nun ists zu bald vorbei – ich glaube | 68v ich werde nicht das  unwillkürliche [Schließen]unwirkürliche Augenblickliche Gefühl verliren es ist Jettchen lieber wenn ich stille bin – Das verspreche ich Dir lieber Schleier, mir auch diese Zeit treu zu bleiben gewiss nichts zu verderben, und wo ich kann zu nüzen.

Jettchen wird Dir übrigens ja alles schreiben. Unsere Herz ist hir, das wirst Du wißen. Wenn ich auch in Poseriz den Winter bin, werde ich doch suchen sie so oft als möglich zu sehen. Lieber lieber Schleier! ach helfen Sie mir doch daß ich nur Freude empfinde auf den Frühling! Sei doch auch recht mein treuer lieber Bruder, und nicht aus Mitleid must Du mich lieb haben.

Einen recht herzlichen Gruß an   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny

Zitierhinweis

2834: Von Luise von Willich. Sagard, wohl Sonnabend, 17.9. bis Sonntag, 18. 9. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006663 (Stand: 26.7.2022)

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