Halle den 6ten Septemb 08.

 Vgl. Brief *2794. [Schließen] Nicht leicht, mein bester und liebster Schleiermacher war ich jemals in einer solchen Verlegenheit eines Briefes wegen als jetzt da ich den Ihrigen beantworten und Ihnen schreiben soll was ich Ihnen so gern nur mündlich gesagt hätte. Habe ich denn in der That mehr geschrieben als ich selbst wollte, oder haben Sie einmal wieder die Ihnen sonst gewöhnliche Kunst des zwischen den Zeilen Lesens, und zwar diesmal wie ich bekenne, mit ziemlichen Erfolg geübt? oder was ist es sonst was sie dahin gebracht mir so bestimmt eine Gewissens-Frage vorzulegen, auf deren Lösung Sie freilich das allernächste Recht haben, die ich aber, ich wiederhohle es, Ihnen viel lieber in Dessau beantwortet hätte. Doch dem sei nun wie ihm wolle, Sie fragen zu bestimmt als daß ich mit der Antwort zögern dürfte, nur muß ich vorläufig bitten davon, wenigstens bis Sie diesen Brief zu Ende gelesen haben, gegen Niemand etwas zu äußern. Ja mein teuerster Freund ich freue mich Ihnen zu sagen, daß ich endlich gefunden habe was ich so lange vergeblich suchte, und Ihnen Caroline Wucherer nennen heißt Sie wohl völlig überzeugen daß ich mich wohl rühme mehr gefunden zu haben als mir gebührt. Somit hätte ich Ihnen alles gesagt, wenn | 32v alles schönst(?) wäre wie es sein sollte, leider aber muß ich noch mancherlei hinzufügen um Sie von meiner Lage zu unterrichten. Daß ich sie gefunden habe heißt nehmlich noch nichts weiter als daß ich nun fest erkannt habe sie müsse die meine werden wenn überall ein Mädchen das meine werden soll; und hier geht meine Furcht an[,] Sie werden an meinem bisherigen Verfahren und meiner Art über meine Lage zu denken, gar vieles auszusetzen haben. Aber Ihr Tadel, oder Ihre Billigung kurz Ihre Meinung kann ich nun einmal nicht entbehren. Wie es zugehe daß dieser mein Entschluß Karolinen und also allen andern noch unbekannt sei werden Sie billig zuerst wissen wollen. Da muß ich nun meine ganze Thorheit gestehen und die ganze Nachsicht meines Freundes in Anspruch nehmen.   Luise Reichardt schrieb an ihren Vater, dass sich Schleiermacher offensichtlich doch sehr eifrig um Caroline Wucherer bemühte, vgl. KGA V/9, S. XXXII. [Schließen]Lange nehmlich, ja wenn ich ganz aufrichtig sein soll, noch bis ich Ihren letzten Brief gelesen hatte, glaubte ich mit vielen hier Sie selbst liebten Karolinen und Gott weiß es daß ich noch kaum begreife wenn ich Karolinen betrachte daß dem nicht so ist. Nun hat es zwar der Augenblicke genug gegeben wo mir das Gegentheil entschieden vorkam aber da gab es und giebt es noch der Bedenklichkeiten die Menge die mich oft nicht wenig plagen. Das Schlimmste ist die Beschränktheit ja Ungereimtheit meiner Lage. Nicht als ob ich diejenigen Unruhen die wir gewis alle sehnlichst wünschen fürchtete, sondern weil auch in der ruhigsten Lage | 33 der Dinge ich einer Frau nur wenig Aussicht auf äußeres Glück zeigen kann, und einer im Wohlstande erzogenen, enge Mittelmäßigkeit leicht Dürftigkeit scheinen könnte: Doch dies letzte denke ich ist mehr im Geiste der  Karoline Elisabeth Wucherer [Schließen] Mutter als Karolinens. Das Wichtigste und wonach Sie wohl zuerst gefragt hätten ist wohl immer ob ich denn auch Carolinens Einwilligung sicher zu sein glaube. Darauf kann ich nun nichts anders antworten, als wenn mich nicht alles täuscht, ja. Und dennoch hält mich bis jetzt eine unüberwindliche Furchtsamkeit ab das mindeste Entscheidende zu thun oder zu sagen. Vor allen Dingen muß ich Sie sehen und sprechen, oder wenigstens ernstlich und ausführlich Ihre Meinung hören, sonst war ich entschlossen noch erst eine Veränderung in meiner äußeren Lage abzuwarten die unmöglich lange ausbleiben kann. Daß übrigens mein Verhältnis zu Karolinen schon bei vielen bestimmt ist daß Freunde und noch mehr sogenannte Bekannte hier häufig darauf anspielen und es als bekannt voraussetzen versteht sich ja wohl von selbst, bei dem häufigen ja beinahe ausschließlichen Umgang den ich mit Wucherers habe.

Da haben Sie nun meine ganze Beichte woraus Sie zugleich schon wissen wie sehnlich ich auf eine Antwort von Ihnen mehr noch auf Ihre Ankunft in Dessau warte. Für diese letzte fange ich an einige Besorgnis zu hegen, desto fester aber baue ich auf die Erstere. Was Sie indessen | 33v mit meinem Geheimnisse oder wie Sie es nennen wollen, anfangen mögen darüber maße ich mir kein Recht an zu entscheiden Sie werden das Beste viel besser treffen als ich es Ihnen sagen könnte. Ob es aber ganz meine Schuld gewesen daß ich über das was Sie betrift bisher im Irthum gewesen bin, das mögen Sie selbst überlegen.

Nun sollte ich Ihnen noch mancherlei schreiben wozu Ihr Brief die Veranlassung gäbe, ich habe aber aufrichtig gesagt jetzt wenig Lust dazu und spare es lieber auf unser erwünschtes Wiedersehn. Das Eine und leider das Schlechteste kann ich Ihnen aber nicht vorenthalten daß nehmlich unsre  Vereinigung der deutsch-reformierten und französisch-reformierten Gemeinden in Halle [Schließen]Vereinigungs Versuche an der Hartnäckigkeit meines  Marcus Phillip Ludwig de Obern [Schließen] Collegen der sich dadurch zurükgesetzt glaubte, an der Bedenklichkeits Sucht des Bassenge und den lächerlichsten und schlechten Ideen von besonderer Gunst der Regierung, welche Garnigen(?) aus Cassel mitgebracht hatte, allen guten Anschein zum Trotz, gänzlich gescheitert sind. Ich meine aber die Sache kömmt doch noch, und zwar in Kurzem zu Stande nur freilich nicht so wie es zu wünschen war durch vernünftige Einwilligung sondern auf Befehl der Regierung. Der  Wilhelm Christian Goßler, Präfekt des Departements der Saale [Schließen] Prefekt ist sehr dafür eingenommen und ich erwarte durch ihn nächstens die Meinung des   Joseph Jérôme Siméon, Justiz- und Innenminister des Königreichs Westphalen (bis 31. Dezember 1808 in Personalunion) [Schließen] Ministers zu hören. Leben Sie herzlich wohl, grüßen Sie   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny und schreiben Sie mir ja sobald als möglich

Blanc

Zitierhinweis

2822: Von Ludwig Gottfried Blanc. Halle, Dienstag, 6. 9. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006651 (Stand: 26.7.2022)

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