Poseritz d 24t August 8.
N. 3.
Mein geliebter Ernst macht es Dir denn auch wohl eine kleine Freude
wenn ein Brief von mir Dir unerwartet komt? ich sehe schon
die ganze Woche mit Sehnsucht auf den einen Tag hin der mir
einen Brief von Dir bringen kann. Ich dachte nicht daß ich
diesen Posttag schon wieder schreiben würde, aber ich sehne
mich so mit Dir zu reden, korr. v. Hg. aus: dasdaß
ich aller ungünstigen Umstände ungeachtet, es mir erzwinge.
Hier ist seit heute Besuch, möglicherweise die Familie des Wilhelm Julius
Ludwig von Schubert
[Schließen]
Schuberts
aus Greifswald
,
die Töchter logiren bei mir so habe ich auch
den Abend nicht einmahl ruhig für mich.
Weißt Du wie ich recht innig mit Dir lebe und immer vertrauter mit Dir werde? Deine Monologen habe ich wieder gelesen, nun noch mit neuer Liebe und neuem Interesse, nun sie mein ist die herrliche Seele die darin lebt. O Ernst darf ich denn wirklich sagen mein? Ist es denn wircklich Liebe, die mir Dich gegeben? ja ich fühle es wohl aber meinen Gedanken will es nicht ein, wenn ich mich betrachte und über die Leerheit des Geistes, über die Armuth des Herzens bittere Thränen | 16v weinen möchte. Klar schwebt mir vor wie die sein müßte die werth wäre Deine Gattin zu heißen, aber ach wie fühle ich mich nicht allein von diesem Bilde fern noch wie ist mir manches so durchaus versagt daß es ein ganz vergebens und unrechtes Streben wäre wenn ich danach ringen wollte.
Wenn ich eine rechte ruhige Stunde habe so lese ich eine von Deinen
Predigten und ich kann Dir nicht
beschreiben die Freude die ich empfinde wenn ich erkenne
daß das was Du so klar und schön entwicklest völlig
übereinstimmend ist mit der Ansicht die ich schon vorher
hatte – daß ich durch mich selbst das Rechte gefunden –
und durch Dich es mir nun völlig entwicklet
und geläutert wird.
1 Kor 7,29 f., Predigt am 12.7.1807, vgl.
Friedrich Schleiermacher: „Predigten. Zweite Sammlung“ (1808),
S. 219-246, KGA III/1, S. 359–377.
[Schließen]Ich las gestern die Predigt, der heilsame Rath zu haben
als hätten wir nicht
, ich wußte nicht vorher was sie enthalte
und wie sehr sie vielleicht bald auf meinen Zustand
anwendbar sein könne, ich bin recht gestärckt
und habe gefühlt daß meine Liebe zu Dir die
rechte ist, und daß wenn es mir mein ganzes Glück und mein
Leben kosten könne ich doch nicht wünschen würde, daß Du
anders
thätest als wie Dein heiliger Eifer Dich treibt.
Es ist mir beruhigend
eingefallen ob auch Vgl. Brief
2801.
[Schließen]mein lezter Brief Dir eine andre Gesinnung zu enthalten,
geschienen, es war doch nicht, mein Ernst, ich wollte Dir nur die
Bangigkeit aussprechen | 17 die
neben der Freude an Dir und an Deinem Werck wohl
bestehn kann. O mein Ernst wie wollte ich für keinen Preis
auch nur das Kleinste missen von der Schönheit Deiner
Seele, wie macht es mich so glücklich korr. v. Hg. aus: dasdaß
Du so herrlich bist! Fühle doch wie ich Dich erkennen und
Dich lieben kann – o ich wußte es schon in früher Jugend
daß ich nicht würde lieben können ohne auch anzubeten.
Stoße Dich nicht an diesem Worte ich weiß kein andres. Wenn
das Glück mir sollte aufbehalten sein nach aller Noth
und Gefahr, nach Erstehung des
Vaterlandes, ruhig, und von Dir
und den Deinen geliebt, an Deiner Seite zu
leben – Gott es wäre etwas so unaussprechlich Großes, mein
lieber lieber Ernst! Wenn mir dann in kleinen Zügen das
süße Leben vorschwebt, ist mir als könne ich Dich wohl auch
glücklich machen, Dir Freude geben durch meine Liebe durch
die ganze Hingebung meines Wesens, das nie etwas anders wünschen kann als ganz für
Dich und für die lieben Kinder des Johann Ehrenfried von Willich und der
Henriette von Willich
[Schließen]
Kinder
zu leben. Mein Väterchen ich drücke Deine Hand an
mein Herz und
bedecke sie mit den zärtlichsten Küssen.
Hoffte ich nicht bald ein neues Leben auch für meine
Henriette Pauline Marianne von Willich
[Schließen]
Jette
so würde ich sehr unruhig um sie sein, das Kind
ist erschrecklich unartig und
wiederspenstig | 17v
seit einiger Zeit, sie hat so unerträgliche Perioden in denen
alle Freundlichkeit alle Festigkeit und aller
Ernst vergeblich angewandt ist um sie aus ihrer Laune
heraus zu bringen. Ich habe recht wenig Gewalt über sie was
mir sehr schmerzhaft ist.
Sophie Schlichtkrull
[Schließen]
Sophie
hat kein weichliches verziehendes
Wesen, kein Gehätschel mit dem Kinde, aber sie thut ihr doch zu
sehr den Willen, da ist nun die Tante und
Henriette Herz
[Schließen]
Jette
die auch immer miterziehn
– Ich bin die Einzige die dem Kinde wenn sie drei, vier
mahl fordert, mit Festigkeit sage, nun ist es genug – oft
kriegt sie dennoch was sie will. Ich bin nicht starck genug
um mich in solchen Verhältnissen recht zu
nehmen. Sophie ist so erstaunt gut darin
daß sie es ganz machen will wie es mir Recht ist ich weiß
ihr auch eigentlich keine Schuld zu geben – aber das Ganze
thut dem Verhältniß zwischen
Henriette Pauline Marianne von Willich
[Schließen]
Jettchen
und mir Schaden. Alles was
ihr Liebes und Gutes durch Befriedigung ihrer Neigungen, besonders
ihres Appetits, wiederfährt, ist durch Sophie. Ich habe außer daß ich mit
ihr spiele und mit ihr bin, nur die ihr
unangenehmen Angelegenheiten zu besorgen, wie entkleiden
waschen, zu bette bringen verbieten, strafen, wegnehmen was
sie nicht haben soll. Ich werde immer eigens | 18 dazu
gerufen wo es gilt gegen sie zu handeln. Jeder hat die Idee korr. v. Hg. aus: dasdaß
er sich nicht mit der Erziehung befassen, sondern mir sie
ganz überlassen will, und da fällt denn dieser Theil grade
auf mich, der mir des Kindes Liebe eben nicht gewinnen
kann. Und vielleicht habe ich auch darin etwas Schuld
korr. v. Hg. aus: dasdaß
wenn die Andern zu nachgebend gegen Jette sind, ich
zu sehr den Gegensaz bilde, und oft mehr erlauben
könnte. Ueberhaupt habe ich recht mit mir zu thun eine
Heftigkeit die schnell übergeht, aber
augenblicklich recht groß sein kann, im Leben
mit Jette zu bekämpfen, es
wiederfährt mir nicht oft korr. v. Hg. aus: dasdaß
sie äußerlich hervorbricht, aber sie hindert mich doch die
rechten Mittel anzuwenden wenn sie am nöthigsten sind.
Jettchens Wesen kann mich unbeschreiblich reitzen bei der vollen
Liebe die ich sonst zu dem Kinde habe. Ich stehe auch
wirklich oft rathlos vor ihr, weiß nicht, soll ich strafen,
soll ich es übergehn lassen, soll ich sie zerstreuen oder
sie aus weinen lassen, bei dem lezten ist nur gar nicht an
ein Aufhören zu denken und da habe ich so viel
durchzukämpfen mit dem Anliegen im Hause – und sie lassen es doch nicht zu ihr zu gehn und ihr
zu zu reden auch Sophie nicht, wenn ich es auch
ausdrücklich gesagt habe. Nun seit kurzer Zeit ist es so recht schlimm | 18v daher glaube ich korr. v. Hg. aus: dasdaß
sie wieder nicht wohl ist, obgleich ich sonst nichts merken
kann. korr. v. Hg. aus: DasDaß
sie übrigens in andern Augenblicken noch ganz so süß
und lieblich ist und so zärtlich auch
gegen mich, kannst du denken.
Lieber Ernst ich kann Dir nicht sagen wie viel das kleine Mädchen
mich gekostet, obgleich es freie Neigung war ihr so viel zu
opfern – das ganze erste Jahr habe ich sie mit der allergrößten Sorgfalt und
bisweilen mit unerhörter Anstrengung selbst
getragen und gewartet und meine Ideen von Einwirkungen auf
des Kindchens Seele, auf die ich nun nicht mehr so viel
halte, ausgeführt. Hatte mich fast von allem Umgang
zurückgezogen, was mir bei meiner Jugend und meinem
geselligen Sinn oft entsezlich schwer ward;
ich beredete dann Johann Ehrenfried Theodor von Willich
[Schließen]
Ehrenfried
und
Maria Christiane Luise von Willich
[Schließen]
Louise
wenigstens auf einige Stunden auszugehn,
und saß dann so mit dem kleinen Mädchen die
Sonntage oft allein und sah aus dem Fenster und dachte wie
die Leute sich alle einen vergnügten Tag machten – aber dennoch konnte
und wollte ich nicht anders – Ehrenfried wollte mich oft gerne ins Leben
mehr hineinziehn, aber es ging nicht. Ich war ganz
verloren in dem neuen Mutterglück und hatte mein Leben mit
dem Kinde nun einmahl so gefaßt, als dürfe ich mich keine
Stunde um meines Vergnügens willen | 19 von ihm
entfernen, ich war aufs äußerste beharrlich und
mir war im Ganzen sehr wohl, so schwer es mir auch in
einzelnen Stunden ward.
Ehrenfried sah immer mit außerordentlicher Güte mir in Allem
nach was sich auf das Kind bezog, so sehr er auch oft
große Unbequemlichkeiten theilen mußte. Wie
liebte er das kleine Mädchen! und wie hatte ich nichts
angelegentlicheres als in ihr die Liebe zu ihrem Vater zu wecken – Mein
Ernst mit vieler Rührung blicke ich auf mein vergangnes Leben,
gedenke des lieben Mannes an dem ich mit ganzem Herzen
hing, und
erfreue mich noch an Allem was er mir war und was
ich durch ihn hatte. –
Ich habe neulich eine
recht wehe Empfindung gehabt, dadurch daß ich erfuhr korr. v. Hg. aus: dasdaß
meine Verwandte und Freunde auf Jasmund sich etwas von mir vernachlässigt
gefunden, daß sie das Gefühl gehabt, als habe ich nur
allein für Dich und für Jette Sinn gehabt –. Wahr ist es ich lebte ganz
besonders mit Euch, und übrigens in mich zurückgezogen mit
mir selbst, mit Ehrenfried; wie
mich immer alles was mich bewegt stiller und
eingekehrter macht. Ich bin nun aber ganz ruhig in der Ueberzeugung korr. v. Hg. aus: dasdaß
sich alles, wenn noch etwas zurück geblieben sein sollte,
in ihnen auflösen wird wenn wir uns wiedergesehn haben und
sie mich die alte herzliche wiederfinden.
Auch Willich
| 19v und seine Charlotte von Willich, geb. von Cronheim
[Schließen]
Frau
, die heute auch gekommen sind, habe ich nichts
angemerkt. Ich hatte
Willich schon von uns
geschrieben er war sehr herzlich und
sehr erfreut –
Die Frauen wissen noch nichts, dafür aber Adolf Schlichtkrull
[Schließen]
Schlichtekrull
, auch nur durch seine Frau, ich habe gar
nicht mit ihm gesprochen, es ist also durchaus nicht die
Form einer Anzeige.
Weißt Du mein Lieber was
die Meinen mir Schuld geben, ich idealisire mir meine
Menschen so sehr daß ich durchaus einmahl etwas werde
nachlassen müssen und mir und ihnen
dadurch wehe thun. Ich glaube
das nicht, glaubst Du es denn Lieber? In Beziehung auf dich hat mir das Niemand gesagt,
aber wohl hat man große Henriette Herz
[Schließen]
Jette
gemeint, ich bin aber ganz ruhig. Ja ich bin überhaupt etwas
leidenschaftlich beim ersten Begegnen jedes
Schönen, aber wenn es wircklich schön ist, so darf man ja
nichts fürchten daß die Liebe wanken könne.
Ich habe Zeiten gehabt mit Lotte Kathen mit der Pistorius wo ich nicht so in inniger vertraulicher Auswechselung mit ihnen lebte, aber es kam immer wieder, ja ich kann etwas erkalten gegen Freunde aber ich weiß selbst dann daß es vorübergehend ist, und es komt mir reichlich so schön und der ganze Enthusiasmus wieder korr. v. Hg. aus: dennden ich anfangs gehabt. Mein lieber Ernst, wie habe ich geplaudert mir ist schon wieder ganz fatal dabei indem ich denke es muß Dir die schrecklichste Langeweile machen. Wenn ich mich gehn ließe, könnte ich Dir ganze Bücher schreiben. Jette schalt mich neulich daß ich mich davon zurückhalte, aber es wäre doch unerträglich viel solch Geschmiere den weiten Weg gehn zu lassen. Du lieber lieber Mann Gute Nacht.
Zitierhinweis
Download