Berlin d 6t Jul. 8.

Gestern liebste Lotte sind wir aus  über den ursprünglichen Text geschriebenvon unsrer Reise zurükgekommen und einliegenden Brief von unserer Herz habe ich für Dich mitgebracht. Dort konnte ich zu keinem Schreiben mehr kommen; die Zeit war zu sehr der unmittelbaren Gegenwart gewidmet und immer hatte Jemand von den lieben Freunden Ansprüche an mich. Du kannst leicht denken daß ich auch heute noch zu keinem ordentlichen Briefe kommen kann; aber da ich es leicht sein kann daß ich nächsten Posttag auch noch nicht dazu käme: so mache ich mir ein Gewissen daraus den Brief unserer Freundin liegen zu lassen, und will ihn lieber nur mit ein Paar Zeilen zu begleiten. lass Diese sollen aber dafür etwas sehr merkwürdiges enthalten, wovon mir Jette sagte daß sie dir nichts geschrieben hast  über den ursprünglichen Text geschriebenhat . Laß dir sagen liebe Lotte ich habe mich auf Rügen aufs Leben verbunden, und mit wem? mit der Wittwe meines theuren unvergeßlichen   Ehrenfried von Willich  [Schließen] Willich , sie die süße Jette die so lange meine Tochter war ist nun zugleich meine Geliebte, meine Braut. Ganz mit der Ueberzeugung sie werde seine Wittwe | 1v bleiben und nie einem Andern angehören ging ich hin, und als ihr Verlobter komme ich zurük. Recht gleichmäßig hat es sich in uns beiden gestaltet und umgestaltet von jenem uns zuerst gemeinsamen Gefühl zu diesem; unser theurer Verstorbener ist der dritte in unserm Bunde, oder vielmehr ich bin der dritte in seinem Bunde mit ihr; alle unsre gemeinsamen Freunde so viele darum wissen sind glüklich und froh darüber, die beiden Kinderchen hängen mir schon recht an mit herzlicher Liebe, und ich fühle mich schon ganz ihren Vater. So bin ich nun endlich ganz zur Ruhe gekommen mit meinem Leben und ganz sicher, daß dies allein das rechte ist für sie und für mich und für uns Alle.

Der 18te Juli war der Tag wo wir uns die Hand darauf gegeben haben, der Geburtstag meines neuen Lebens. Kommt nun Ordnung und Frieden hieher zurük, wie wir ja hoffen, so daß aus meiner hiesigen Existenz wirklich etwas wird so hole ich nächstes Frühjahr Jettchen und die Kinder , und im Sommer oder Herbst zieht dann auch die große  Henriette Herz  [Schließen] Jette zu uns, und im nächsten Sommer (1810) kommen wir dann alle zu Dir. So lange werden wir uns nun wol schon gedulden müssen; aber wieviel ruhiger glüklicher | 2 und besser siehst Du mich dafür auch dann.   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny und Henriette von Willich [Schließen] Jettchen haben sich auch sehr lieb gewonnen in aller Stille schon ehe irgend hievon die Rede war, und Jettchen und unsere Herz sind wie Du weißt schon ältere Freundinnen so daß wir ein recht schönes Hauswesen bilden werden Gott und allen guten Menschen zur Freude.  Liebe Lotte ich sehe es als die größte Gnade von Gott an, daß das so gekommen ist und Du wirst Dich gewiß auch recht herzlich damit freuen. Anders als grade so konnte auch nicht mehr etwas ordentliches aus meinem Leben werden. Durch eine wunderbare Fügung hat es nun dahin kommen müssen! Welch ein liebes herrliches Wesen Jette ist, und wie sich das so gemacht hat, davon nächstens mehr. Jezt nur noch die eine Bitte, daß du nicht etwa sonst jemandem etwas davon erzählest denn auf Rügen soll es noch niemand weiter wissen, Jettchens und meine dermalige Lage erheischt dies, und man kann nicht wissen, wie manchmal etwas erzähltes wunderlich herumkommt.

Ich glaube ich vergaß neulich Dir zu schreiben  Vgl. Brief 2648, 205 – 209. [Schließen]daß Konopak keinesweges todt ist sondern sich sehr wohl in Rostock befindet halb und halb hatte ich die Hofnung ihn auf | 2v dieser Reise zu sehen; es hat sich aber leider nicht machen wollen. Und nun liebe Lotte lebe wol für heute, und nimm mit diesem kleinen Briefchen vorlieb; es ist doch das inhaltschwerste was Du noch bekommen hast. Wie mag Dir wol zu Muthe sein wenn du dies eingenommen hast. Allen unsern dortigen Freunden war gleich ganz wohl dabei, und so wünsche ich möge es Dir auch sein. Hast Du aber irgend Bedenklichkeiten so schütte sie nur alle aus ganz unverholen; ich habe das feste Vertrauen daß ich sie Dir alle werde lösen können, und in diesem guten Glauben gieb uns nur immer deinen ganzen schwesterlichen Segen.

  Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny grüßt herzlich; ich hoffe nächstens schreibt sie dir auch; an Stoff kann es dir  über den ursprünglichen Text geschriebenihr ja nun nicht fehlen. Gieb uns nur auch bald gute Nachrichten von Dir. Imer dein alter treuer

F.

Zitierhinweis

2780: An Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Berlin, Sonnabend, 6. 8. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006609 (Stand: 26.7.2022)

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