abgeschickt den 5t. August.

Mein Herzens lieber Ernst, mein Väterchen wie ist mein Herz so voll für Dich und doch kan ich Dir eigentlich nichts sagen, das Du nicht alles schon wüßtest. Magst Du es denn wohl öfter wieder hören wie ich Dich unsäglich lieb habe wie ich so unendlich glücklich bin? Könnte ich es Dir nur einmahl recht aussprechen – wie die tiefste Verehrung die innigste Danckbarkeit die kindlichste Liebe nun zu einem Gefühl verschmolzen sind, das nun voll und klar und rein in mir lebt – die Sehnsucht ganz für Dich zu leben – ein so ungemäßigter Wunsch Dich glücklich zu sehn daß ich mit Freude mich aufopfern könte wenn Dich das glücklich machen würde, o Gott mir ist oft als könne ich es kaum tragen daß ich es bin der Du Dein Leben Deine heilige Liebe weihen willst – wann ich Deine Liebe recht empfand – o Ernst ich weiß es nicht anders zu nennen als es war Anbetung was ich dann fühlte – Wie danke ich Dir noch Du Theurer für die schöne zarte Weise mit der Du Dich mir genähert wodurch Du mir so sehr wohl gethan hast und mehr diese sichere Liebe in mir geweckt, als es geschehn sein würde, hättest Du schon damals volle Liebe mir gezeigt und abge | 10vfordert als ich noch nicht so rein die Vereinigung des Vergangnen mit dem neuen Glücke gefunden

– Sage es mir mein geliebter Vater, ist Dir das auch lieb an mir daß ich mich so ganz hingebe dem Gefühl des glücklichseins und der Freude? Wenn ich an unsern theuern Ehrenfried denke und ein leises Weh mir durch die Seele zieht, kann mir die Frage kommen ob ich auch wohl die anders in mir tragen sollte die neue Gnade Gottes die mir durch Dich wiederfährt, ob es auch wohl Recht und schön ist daß ich so jugendlich frisch wieder ins Leben trete und mein Herz der Freude wieder ganz geöffnet ist, da doch noch vor Kurzem um unvergänglichen Schmerz ich betete, der die Wittwe durchs Leben geleiten möchte –

O ich darf es Dir nicht erst sagen wie  Ehrenfried von Willich  [Schließen] Ehrenfried im Grunde meiner Seele wohnt, wie mir jede Erinnerung von ihm so heilig ist – Du weißt es – doch jezt bin ich so ganz glücklich durch Dich – Gott wie ich es nur immer sein kann.



Ich habe so viel an Dich und an die arme   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny gedacht wegen des häufigen Regens der diese Tage gefallen und dem ihr wahrscheinlich nicht entgangen seid. Sage mir doch ob ihr viel | 11 gelitten habt.   Mir ist es sehr wohl gewesen mit den lieben  Kinder des Johann Ehrenfried von Willich und der Henriette von Willich [Schließen] Kindern mit denen ich es recht wieder auf alte Weise getrieben, sie selbst wartend und mit ihnen spielend – und dabei Dich im Herzen Du Theurer! Wenn ich   Henriette Pauline Marianne von Willich  [Schließen] Henrietten , von Dir erzählt und ihr Gruß und Kuß von Dir gegeben, war sie so freundlich und lieblich und steckte das Köpfchen in meinem Schooß, recht als wenn sie Alles wüßte. Ich sehe überhaupt schon den guten Erfolg des ruhigen Lebens in diesen wenigen Tagen, sie ist nicht von meiner Seite gewesen habe aber auch gar keine heftige Scenen gehabt, so gut so folgsam wie sie lange nicht war – Du sollst nur sehen sie wird ein gar liebes herrliches Mädchen werden, und auch der  Ehrenfried von Willich (d. J.)  [Schließen] Junge wird uns Freude machen, er ist erstaunt tüchtig und immer voll eigner Anschläge.    Ach ich danke Dir mit dem wärmsten Dank meines Herzens daß du meinen Kindern willst Vater sein – Du hast mit einem Mahl alle Sorge um sie nun von mir genommen ich kan mich ganz rein nur ihrer freuen, der theure Nachlaß meines Ehrenfried! –   Sophie Schlichtkrull  [Schließen] Sophie die auch immer mehr zur ruhigen Ansicht kommt | 11v gestand mir heute daß sie nur die eine Sorge habe daß die Kinder in dem weltlichen Berlin doch würden wenigstens sehr stätisch werden, so sehr ich vom Gegentheil überzeugt bin, das Städtische im nachtheiligen Sinn genommen, so konnte ich sie doch nicht darüber beruhigen, ich denke Sophie die so sehr ans Land gewöhnt ist legt zu viel Werth auf das was sie Einfachheit nennt, was aber eigentlich mehr Einförmigkeit ist, sie hätte z.b. die große Henriette Herz [Schließen] Jette lieber wenn diese nicht so viel Weltbildung besäße. Und da hat sie doch gewiß Unrecht.

Wie ich mich freue auf Deinen ersten Brief das kann ich Dir nicht beschreiben, auch von der Canonirstraße etwas zu hören bin ich recht begierig – mein lieber lieber Ernst, ach hast Du mich denn auch noch so lieb als da Du hier warst – da Du mich Dein süßes Herz nanntest? ich zweifle nie mehr einen Augenblick an Deiner Liebe eher kann ich denken, wird er denn auch was das heiligste und theuerste ihm ist mit Dir theilen mögen? auch darin sollst Du immer nur ganz Deiner Neigung folgen, aber unendlich erfreuen wirst Du mich durch Jedes das Du mit mir theilen wirst – Doch kannst Du auch ganz gewiß sein | 12 daß ich Dich nie im mindesten, auch nicht durch die leiseste Empfindung in mir, beschränken werde in dem was Du Deinen Freunden oder Freundinnen sein und mit ihnen theilen willst. Ich kenne eine recht gute Frau die ihren Mann außerordentlich lieb hat die es aber nicht ertragen kann wenn er mit andern Frauen auswechselt über Dinge die sie nicht versteht und daher nicht Theil daran nehmen kann.

Das wird auch mein Schicksal gewiß öfter sein, das Nichtverstehen wird mir immer nahe gehn aber nicht der kleinste Unmuth soll in mir entstehn und ich will recht geduldig warten bis Du zu Deiner kleinen einfältigen Frau zurückkehrst – Mein Herzens lieber lieber Ernst lebe wohl, sage mir auch bald ein herzlich Wort und auch ja sage mir wenn Dir was in mir nicht lieb ist, sei es noch so klein, ich bitte Dich so sehr – Von meinem Jettchen Gruß und Kuß und von mir die innigsten Liebkosungen meinem Väterchen, meinem theuren Ernst – Grüße   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny recht von Herzen, und ich denke viel an sie mit schwe | 12vsterlicher Liebe und Zuversicht – Die gute Nanny! Lebe wohl  Deine Jette.

Sophie grüßt Dich herzlich, unsere Lieben in Götemitz habe ich noch nicht wiedergesehn, ich hoffe daß  Henriette Herz [Schließen] Jette und  Luise von Willich  [Schließen] Louise heute mit den  wohl die Kinder der Charlotte von Kathen [Schließen] Kindern kommen, wie freue ich mich mit Jette von Dir zu reden –

Ich habe mit   Sophie Schlichtkrull  [Schließen] Sophie von Louise gesprochen sie meint daß Louise sich sehr nützlich bei ihr machen könne wenn sie wolle, und daß sie doch immer beßer bei ihr sein würde als anderswo hier, ausgenommen Götemitz, wo es doch nun einmahl nicht geht. Wir werden uns wohl dabei beruhigen müssen künftig, sie hier zu wissen – die arme Louise, ich will diesen Winter noch so viel mit ihr sein und sie pflegen als ich nur kann. –

Du liebe herrliche Seele möge Dir recht wohl sein – bete Du auch für mich daß Gott mein Herz segne und es reich mache an Liebe und Frömmigkeit, an allen Gaben ohne welche ich Dich nicht glücklich machen kann.

Zitierhinweis

2776: Von Henriette von Willich. Vor dem 5. 8. 1808 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006605 (Stand: 26.7.2022)

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