Rostock den 8ten Jun. 1808.

 Vgl. Brief *2727. [Schließen]Ja wohl, lieber Schleiermacher, sind Sie gewaltig mein Schuldner! Wie oft habe ich schon die Feder ansetzen wollen für Sie, oder vielmehr gegen Sie und unwillig herauspoltern, oder spöttisch fragen, ob etwa auch mit den Rostocker Posttagen Ihre Vorlesungen zusammenfallen, wie sie mit den Hallischen zusammenfielen, weshalb Blanc keine Briefe von Ihnen bekam. Aber immer dacht’ ich, er wird ja endlich einmahl in sich und dann mit einem Briefe aus sich gehen, und so ists denn auch jetzt gekommen. Da soll denn nun auch alles vergessen und vergeben seyn, und übersehen die Unzulänglichkeit der Entschuldigung, daß die jetzige Zeit für Sie keine Briefschreibende seyn wolle, was ich übrigens gern glaube, da die Zeit weder einen Willen haben, noch Briefe schreiben kann, nur daß sich das auf die jetzige nicht einschränkt.

Was Ihre Arbeiten betrifft, so sind Sie, wie ich sehe, jetzt wie ehemals ein Nimmersatt. Sie haben Ethik und theologische Encyklopädie gelesen, haben Predigten gehalten, Friedrich Schleiermachers Rezension zum „Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der Universität Halle nach Berlin und Soll in Berlin eine Universität seyn?“ (JALZ, 1808, KGA I/6, S. 1-13) sowie „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende“ (1808, KGA I/6, S. 15-100).  [Schließen] zwey Schriften, wenn gleich nicht von großem Umfange, in den Druck gegeben,  Sachanmerkung:

an ... wenigsten fortgearbeitet,] 
Friedrich Schleiermacher: „Predigten. Zweite Sammlung“ (1808)

wenigsten]  lies: wenigstens
 [Schließen]
an der Predigtsammlung doch wenigsten fortgearbeitet,
und doch sind Sie nicht zufrieden!

Die eine Ihrer Schriften, über Universitäten, habe ich auf meiner Rückreise von Halle , während der Wagen in den tiefen Sandwegen in der Mark schlich, mit Muße und aller Aufmerksamkeit durchgelesen. Seyn Sie froh, daß ich nicht leicht zu einer Recension darüber werde aufgefordert werden! Ich würde gegen eine Menge von Behauptungen als Kämpfer auftreten.

  Friedrich Schleiermacher: „Herakleitos der dunkle, von Ephesos“, in: „Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd. 1, H. 3 (1808, KGA I/6, 101-242)  [Schließen] Auf das dritte Stück des Wolfschen und Buttmannschen Museums bin ich schon be | 16vgierig. Die beiden ersten habe ich gelesen.  Vgl. Friedrich August Wolf: „Darstellung der Althertums-Wissenschaft“, in: „Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd. 1, H. 1 (1807), S. 1-145, hier S. 54, 59, 72. [Schließen] Es ist mir merkwürdig gewesen, daß Wolf dreymahl des alten Heyne rühmend gedenkt, wie in der alten Art. Auch mehrere Andre werden freundlich von ihm gegrüßt.

Daß Sie sich ein Amt wünschen, finde ich begreiflich. Aber über den Grund des Gefühls, durch welches mir das begreiflich wird, kann ich nicht recht aufs Reine kommen. Als Beamter, könnte man glauben, hänge man inniger mit dem Ganzen zusammen. Aber greift nicht auch der unbeamtete Schriftsteller, der Hausvater, der Privatlehrer und Erzieher eben so wesentlich in das Ganze ein, und wird Glied in der Kette desselben?

Daß es Sie ärgert, wenn manche Leute, bloß durch eine Art von Mode getrieben, in Ihre Predigten laufen, ist natürlich; wenn Sie aber dabey sagen, Sie thun Ihr Bestes, um sie wieder hinauszupredigen, so ist das, mit Jösting zu reden, wohl nur so eine Redensart. Höchstens könnten Sie doch gegen die falschen Antriebe, in die Kirche zu gehen, predigen. Aber die Modeleute glauben theils selbst nicht, daß sie es aus Mode thun, theils müßte doch auch Ihr Zweck dabey nicht seyn, sie hinaus zu predigen, sondern zu machen, daß ein echter Sinn sie zu Ihnen führte. – Das Herauspredigen kann vollends Ihr Ernst nicht seyn; da müßten Sie ja Ihre Kanzel außerhalb der Kirche haben.

Vgl. Brief

Ich habe hier Jöstings erwähnt. Gott weiß, wie’s mit dem steht! Es wird bald ein Jahr seyn, daß ich keine Nachricht von ihm habe. Er scheint gewaltsam sich von allen Banden losgerissen zu haben. Der Niemeyer hat er auf den Brief, welchen Sie an ihn befördert haben, auch nicht geantwortet. Münchow, der mich hierher begleitet hat, und in 10 bis 12 Tagen wieder nach Halle zurück geht, hat an  wohl Christian Friedrich Nasse [Schließen] Nasse geschrieben, und diesen gebeten, ihm oder | 17 mir Nachricht über den Ungetreuen zu geben.  Frau Niemeyer hatte eine längere Beziehung mit Jösting. [Schließen]Die Niemeyer habe ich übrigens ziemlich gefaßt darüber gefunden, fast möcht’ ich sagen mehr, als mir gefällt, mehr wenigstens, als ich erwartet hatte. Er ist ihr verloren, wie wenn er gestorben wäre, oder viel mehr noch. Gleichwohl wie ganz anders habe ich sie gesehen, als der Tod ihr einen Geliebten entrissen hatte!   Uebrigens können Sie denken, daß ich mich nicht wenig gefreut habe, das liebe Weib, die Kinder und  Sophie Antoinette Dorothea (Nettchen) Nebe, Frau des Predigers am Waisenhaus in Halle und Freundin der Familie Niemeyer [Schließen] Nettchen wieder zu sehen. Hätt’ ich nicht mehr noch dort sehen müssen, meine Freude wäre noch reiner gewesen.

 Vgl. Brief *2727. [Schließen]Was Sie mir von Ihren Finanzen schreiben, ist ohngefähr das, was ich mir darüber gedacht habe. Kennte ich Sie darin nicht viel leichtern Sinnes als mich, so würde ich Sie mehr bedauern. Doch wünsche ich auch aus diesem Grunde, daß Sie bald eine feste und hinlängliche Einnahme bekommen mögen. Ohne das gerathen Sie doch immer tiefer hinein, und das kann doch am Ende ohne Noth nicht abgehen. Ich habe hier einen schweren Anfang gehabt, da, wie Sie vielleicht wissen, mir der größte Theil meiner Kleidungsstücke und Wäsche bey dem Transporte gestohlen worden ist. Mein Commissair in Magdeburg hat dabey die Sache so nachläßig betrieben, daß mir keine Aussicht übrig bleibt, auch nur das Geringste wieder zu bekommen.

Ja wohl siehts betrübt in Halle aus, und ob von der Universität viel zu hoffen ist, steht dahin. Bey meiner Abreise, den 3ten May, waren 51 Studenten da, und unter diesen nur 19 neue. Wahrscheinlich schob man dieser geringen Anzahl wegen die Einweihung der wiederaufgestandenen Universität, welche auf den 9ten festgesetzt war, noch 8 Tage auf. Ob Meh | 17vrere hinzugekommen sind, darüber habe ich noch keine Nachrichten – Meine Reise durch die Mark war eine Reise durch lauter Jammerthäler – Wenn Sie Schmalzens sehen, so grüßen Sie sie zwar von mir, sagen Sie ihm aber zugleich, daß es gar nicht recht von ihm sey, daß er mir auf meinen Brief noch gar nicht geantwortet habe. – Warum schreiben Sie mir nichts Nähres von der Regierungsveränderung mit den Hallischen? Mir ist kein Gerücht dieser Art zu Ohren gekommen.

Fast betrübt mich die Aussicht, welche Sie mir zu einem nahen Wiedersehen eröffnen. Denn nicht leicht wird es möglich seyn, daß ich nach Stralsund komme. Das halbe Jahr ist sehr kurz, wird kürzer noch dadurch, daß wir hier wegen eines großen Jahrmarktes 14 Tage Pfingstferien machen müssen. Kann ich es jedoch mit drey Tagen und so abmachen, daß der eine davon ein Sonntag ist, so komme ich vielleicht. Sie müßten also einen Sonnabend, oder Sonntag, oder Mondtag in Stralsund seyn; dann führe ich entweder Freytag, oder Sonnabend, oder Sonntag von Rostock ab und Sonntag, oder Mondtag, oder Dienstag von Stralsund zurück. So wenig ich noch mit Gewißheit Etwas bestimmen kann, so schreiben Sie mir doch ja vorher, welchen Tag Sie in Stralsund eintreffen werden, und richten Sie es so ein, daß wir dort einen ganzen Tag beysammen seyn können. Auch schreiben Sie mir, ob Sie nicht wenigstens Ihre Rückreise über Rostock machen können. Fiele Ihre Reise in die Pfingstferien, o dann ginge ich mit Ihnen bis Rügen, sollte ich auch manche Arbeit müssen ins Stocken gerathen lassen. Schreiben Sie ja bald.

Sehen wir uns dieß Mahl nicht, ja wohl so möge es recht fröhlich und nach gerettetem Vaterland ein andres Mahl geschehen, und ja bald! Aber wann wird das Vaterland gerettet seyn? Lieber Schleiermacher, diese Frage – wie oft thue ich sie mir! – macht mich immer traurig. Sagen Sie selbst, Alles, fast ohne Aus | 18nahme Alles, was wir öffentlich auftreten sehen, giebt es nicht der niederträchtigsten Kriecherey sich hin? Spricht man nicht überall da in frevelhafter Lüge Liebe und Verehrung aus, wo man unauslöschlichen Haß und die tiefste Verachtung nur fühlen kann? Ist je auf eine sündlichere Art die heilige Stimme im Innern gemordet worden, als es jetzt überall und täglich geschieht? Nennen Sie sie mir her die Beyspiele von Männern, bey welchen man mit Freudigkeit des Herzens, mit Erhebung des Gemüths verweilen könnte! Ich suche nach ihnen und finde Elende, die Staubleckend zu den Füßen eines Teufels liegen, wie ihn nie abscheulicher die Hölle ausgespien hat. Nein ich kann hieran nicht denken, ohne daß mein ganzes Wesen in Wallung geräth. Wenn wir nun aber so fast Alles erblicken, was wir öffentlich handeln sehen, sollten die Uebrigen von so ganz anderm Geiste beseelt seyn? Ist das aber nicht; was für Hoffnungen können wir für Errettung des Vaterlands hegen? O widerlegen Sie mich, ich will gern widerlegt seyn!

Grüßen Sie die liebe freundliche   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny und den wackern Gaß .  Möchte es bald dahin kommen, daß ich mir für meine Pfeiffe das Recht wieder erbitten könnte, was er von mir geerbt hat! Adieu.

Konopak.

Grüßen Sie auch Klein, wenn Sie ihn sehen und sagen Sie ihm, ich würde ihm bald schreiben.

Zitierhinweis

2733: Von Christian Gottlieb Konopak. Rostock, Mittwoch, 8. 6. 1808 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006562 (Stand: 26.7.2022)

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