Crakau bei M. den 31n Mai 8.
Seit vorgestern Abend bin ich hier, liebster Freund, und also einige Tage
früher wie ich dachte, allein ich war auch durch die
Strapazen der letzten Tage und durch fast gänzliche
Entbehrung des Schlafs so weit herunter gebracht, daß ich am
gestrigen Tage wenig vernünftiges vorzunehmen im Stande war
– Die Reise von Leipzig
nach Halle machte ich zu
Fuße, und traf gegen Mittag dort ein. Den ganzen Nachmittag war ich mit Steffens, und es
that mir sehr leid, daß mich frühere Bestimmungen und die darauf
gegründeten hier getroffenen Vorkehrungen hinderten auch den
nächsten Tag zu bleiben, um mich seiner recht zu erfreuen;
einen ganzen Tag hatte ich zwar eigentlich für Halle bestimmt, allein ich war nothgedrungen in
Leipzig einen halben Tag über die gesetzte
Zeit bleiben zu müssen. –
Steffens ist so waker und brav wie immer,
und lebt dabei unter den größten Entbehrungen
frölicher und ist dem Anscheine nach körperlich viel
gesunder wie je. Seine Vorlesungen über
Naturphilosophie haben bereits angefangen, und
wenn sich auch gleich nur etwa 10 Zuhörer gemeldet haben,
so sind doch schon einige darunter für den Gegenstand entzündet,
wie ich weniger von Steffens
selbst weiß, als durch Blancs
Aeusserungen schließen muß.
Besonders thätig, sagte mir Steffens
, hat sich für das Zustandekommen des
Collegiums
wohl der älteste Sohn August Hermann
Niemeyers, Wilhelm Hermann
Niemeyer, der in Halle Medizin studierte und, wie viele
Mediziner, Steffens' Vorlesungen zur Naturphilosophie hörte.
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Niemeiers Sohn
verwendet, der ihm auch versichert hat, daß wenn die
Leute nur früher gewußt hätten, es habe etwas auf sich mit
der Naturphilosophie, und darnach im Stande gewesen wären
ihre Eintheilungen in Ansehung der Stunden, zu machen, so würde
sein Auditorium wenigstens aus 24 bestanden haben.
Die Zahl der
Studirenden beläuft sich überhaupt auf 150. Bei
den Einweihungsfeierlichkeiten sind sehr gute
Sachen vorgegangen, besonders hat der alte Schütz
eine so kräftige und gediegene Rede gehalten, daß jedermann
dadurch in Verwunderung gesetzt worden ist, und kaum
geglaubt hat, daß man ihn ihres freimüthigen Inhalts wegen
würde frei durchgehen lassen. Ein Theil des Gehalts ist auch den Professoren gezahlt
worden, und Steffens
glaube ich hat bei dieser Gelegenheit
300 R(?) erhalten; doch ist diese Zahlung
durch eine accidentelle Einnahme herbeigeführt worden, und
niemand weiß | 155v wovon späterhin
gezahlt werden wird. Zur Dessauer Reise und zum Wiedersehen mit
Steffens (11.-12.10.1808) vgl. Brief 2883, 1–28 und Brief 2913, 89–99 sowie den Bericht von Steffens in seiner
Autobiographie, aus dem deutlich wird, dass die Dessauer Reise u. a.
dazu genutzt wurde, um den Freund Steffens ins Bild zu setzen über die
politischen Aktivitäten Schleiermachers und Reimers, vgl. Henrich
Steffens: „Was ich erlebte“ (1840-1843), Bd. 6, S. 167-173. Denn
Steffens war ein wichtiger Verbindungsmann, wenn es darum gehen sollte,
die Hallenser Studenten zu mobilisieren, vgl. Wilhelm Dilthey: „Schleiermachers politische Gesinnung“ (1862), S. 272.
[Schließen]Die Verfassung ist wahrlich preiswürdig!
Steffens
wünscht ausserordentlich Dich zu sehen, und wir haben daher halb und halb Verabredung
getroffen zu einer Zusammenkunft in
Dessau gegen den
Herbst, wozu du
hoffentlich Deine Beistimmung nicht
versagen wirst.
Hanne geht dann auch mit nebst den Kindern,
und wir wollen uns zur Ersparniß der Kosten, Vielleicht ist die Reise von Schleiermacher mit
Steffens nach Berlin und Potsdam im April 1806 gemeint.
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wie in Potsdamm ,
in ein Privathaus einmiethen.
Auch Blanc
und
Rhinäcker wollen gerne Theil nehmen, und so
würde durch die größere Gesellschaft der Kostenbeitrag des
Einzelnen sehr vermindert werden.
Hanne sah auch ganz
wohl aus; nur ein wenig magerer ist sie
geworden, und hat freilich dadurch etwas von dem
großen Reitz verloren, den ihre Gestalt auf den ersten
Blick dem Auge darbot, allein sie kann dadurch
nur interessanter werden, wenn man besonders weiß, welche
Umstände diese Veränderung veranlaßten. Eben so waren auch die Kinder
ganz wohl und artig;
Clärchen sieht zwar noch immer sehr blaß und
kränklich aus, allein das läßt sich auch wohl nicht gut
anders erwarten, da sie von Jugend auf schwächlich war, und
ihr Körper, wenn es geschieht, vielleicht erst
in späterer Zeit eine festere Beschaffenheit erlangen kann;
Anna Cäcilia Steffens
[Schließen]dagegen sieht
das zweite kleine Mädchen, recht das Ebenbild seiner
lieblichen Mutter, ganz gesund und derb
aus.
Hier fand ich leider wieder allerlei Kränklichkeit unter den Kindern.
Georg
hat wieder Rückfälle vom
Fieber gehabt, und hat es auch selbst heute noch, wo der
schlimme Tag ist, wenn gleich auch nur in geringem
Grade;
Carl klagte über Halsschmerzen, hatte auch einigen
Ausschlag und war sehr angeschwollen im Gesicht; doch
scheint es mit ihm seit
meinem Hiersein viel besser zu gehen.
Es handelt sich wahrscheinlich um ein Kind aus der Familie von
Reimers Schwiegermutter, Johanna
Wilhelmina Ludovica Jacobina Heidmann, die seit 1807 in
Cracau
bei
Magdeburg
wohnte und bei der Reimer mit seiner Familie wahrscheinlich
logierte.
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Heidmanns Carl
aber liegt recht hart am Fieber darnieder, und ist
sehr davon mitgenommen. Alle
übrigen fand ich wohl und gesund.
Vgl. Brief 2717.
[Schließen]Dein Brief mit einigen Aufträgen fiel erst am Tage vor meiner Abreise
mit einigen andern in meine Hände,
und zwar durch Köbkes Schuld, der mir nichts von dem
Vorhandensein der Briefe im Packet | 156 gemeldet
hat,
weshalb ich mir von den Büchern nur die gleich
erforderlichen herausnahm, die übrigen aber bis
zur Einräumung bei der Inventur liegen ließ, bei welcher
Gelegenheit mir erst die Briefe in die Hände fielen. Den Auftrag wegen Absendung der Bücher
habe ich unausgerichtet gelassen, weil ich es für
zweckmäßiger und sicherer halte alle der nächsten Sendung die
ich an deinen Johann Karl Schleiermacher
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Bruder
machen werde beizulegen.
Es handelt sich entweder um die bei F. Dienemann
& C. in Penig bei Leipzig erschienenen „XII Lieder von Goethe, Novalis, A.W. Schlegel, S. Mereau und
Mahlmann mit Begleitung des Pianoforte“ oder um die bei
Breitkopf und Härtel erschienenen „Lieder und Gesänge mit Begleitung des Pianoforte“ (op. 11),
vgl. Brief 2717, 12–14.
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Die Musik von Schneider
aber wird dir wol Köbke mit diesem Briefe senden.
Vgl. Brief 2717, 15 f..
[Schließen]Was ich dir über Friedrich Schlegel zu sagen hab, spare ich
lieber bis zum Wiedersehen auf, da es so nur
weitläuftig im Briefe werden würde ohne dir
interessant zu seyn, da ich ihn obgleich während seines
zweitägigen Aufenthalts sehr viel, doch
nie ungestört und allein sprechen
konnte.
Am Tage vor meiner Abreise von Leipzig empfing ich noch einen Brief von ihm aus Dresden , wo er seinen Bruder erwartet, mit der Aufforderung die untenangehängte Anzeige in eine der Berliner Zeitungen bald einrücken zu lassen, zu welchem Behuf ich dich bitte sie Köbcke zu übergeben. Unsre Rückkehr wird hoffentlich gegen den 12ten kommenden Monats gewiß aber nicht nach dem 14ten statt haben.
Unter tausendfältiger Begrüßung von uns allen wünsche ich Dir und Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanni
recht wohl zu leben;
und behaltet uns lieb, wie wir Euch in treuen Herzen
tragen
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