Es ist anzunehmen, dass Schleiermacher diese Klage in einem der Briefe nach Rügen geäußert hat bzw. Henriette Herz mit auf den Weg gab.  [Schließen]Wenn Sie es beklagten, lieber Schleier, daß Sie mir so selten, und so lange nicht schrieben, so hatten Sie wohl eine Ahndung von meiner oft so herzlichen Sehnsucht ein Wort von Ihnen zu hören. Doch haben Sie Recht, nie könnte mein Vertrauen, und meine Liebe zu Ihnen wanken, nie, zu keiner Zeit! zu lange aber mein theurer Freund, müßen Sie mir auch nicht wieder schweigen, denn eben weil ich Sie so herzlich liebe und vertraue, müßen Sie mir öfter die Hand reichen, und – nicht aus Furcht Sie zu verlihren, aber es schmerzt mich wenn Sie es nicht thun!  Es handelt sich wohl um Brief 2593 vom 17. 12. 1807 (KGA V/9), ein weiterer Brief Schleiermachers an Luise von Willich Anfang 1808 ist nicht bekannt. [Schließen]Lieber Schleier wie christlich schön ist Ihr letzter Brief! wie wohl thaten Sie mich, wie innig danke ich Ihnen. Ja einen Seegen des Himmels, ließ mir  Ehrenfried von Willich [Schließen]der geliebte Bruder in seinen Freunden, und Sie müßen mich nicht laßen Schleier gewiß, gewiß nicht, auch nicht wenn ich nicht bin wie ich sollte, ich meine besonders in meinen Schmerz über dem was mir der Todt nahm – Lieber Schleier, mir kann manchmal ganz gut zu Muthe sein; das heist nun eben weiter nichts, als: nicht ängstlich in die Zukunft bliken und die Gegenwart ruhig hinnehmen, und mit Innigkeit  korr. v. Hg. aus: daßdas Schöne empfangen und genießen was sie giebt – ein weiteres Ziel habe ich nicht – das ward mir zuerst entrükt wie meine Mutter starb – und nun ist's mir ganz durch das Hinscheiden meines Bruders genommen – doch Gottlob ich werde immer ruhiger dabei, aber zuweilen, ach lieber lieber Schleier, zuweilen ergreift mich ein Schmerz um unsern Ehrenfried, den ich Ihnen nicht ausdrücken kann, wenn Sie ihn nicht kennen. Ach so schmerzlich ist mir's recht im tiefsten Herzen – viel mehr noch als in der ersten Zeit – aber es sind fast nur Momente guter Schleier, es geht wieder über, und nur die stillere Wehmuth bleibt, und die darf mir ja bleiben. Und Sie müßen mich ja nicht laßen, wenn Sie auch ein Unrecht fühlen in meinem Schmerz wie manche es mögen – Sehen laße ich meine Tränen nun nie mehr, obgleich mir deucht sie sind dennoch die besten die ich weinen kann, denn frey bin ich darin von Unmuth das weiß Gott, dieser Schmerz ist der reinste den ich zu empfinden habe, nicht ein mal durch eine Träne der Reue ist er getrübt, die ich wohl fühlte als meine Mutter starb, das ist etwas ganz andres.

Leiden meint man, führte den sichersten Weg zum Himmel? – ich meine, Leiden können einen wohl der Erde entrüken – aber das reine Glük schaft Himmel und Erde in Eins, und man gewinnt jenen ohne diese zu verliren.

Welch einen Schaz haben Sie uns in unsrer Jette gesandt. Schleier ich bin mir ordentlich gut dafür, daß ich so innig ihren Werth erkennen kann. Wie schön lebt sichs mit dieser herrlichen Frau! Wie kräftig, edel ach und wie liebend steht sie einem zur Seite. Wie gerne lebe ich mit ihr – wie erkennt sie mich so ganz, ich fühle dies oft, ohne daß sie mirs sagt. | 69v Sie kennen die Bedeutung ihres Auges die Sprache ihrer Miene. Wie gerne bin ich oft, nun ganz stille bei ihr, und wie wohl ist mir oft dann. Oft lachen wir auch, neulich machte sie viele Menschen nach, Sie kennen dies Talent ja wohl an ihr? zulezt auch Ihnen, da konnte ich aber nicht lachen, es war so natürlich daß mir die Trähnen in den Augen kamen und ich Ihnen hätte um den Hals fallen mögen, die liebe gute Jette! Die liebe  Charlotte von Kathen, bei der Henriette Herz seit Ostern desselben Jahres als Erzieherin angestellt war. [Schließen] Lotte ist auch so from und sanft, und es geht mir so gut. Bei diesem allem fühle ich aber doch eine beständige Sehnsucht nach unsern  die Kinder ihres verstorbenen Bruders Ehrenfried von Willich [Schließen] Kindern – wie liebe ich sie Schleier! wir deucht, wenn eine Mutter ihr Kind noch mehr liebte, so müste sie es ordentlich manchmal für Liebe nicht aushalten können! und wie mich die kleine Jette lieb hat!  18.4. Ostersonntag, 19.4. Ostermontag [Schließen] Am letzten Festtage waren wir in Poseriz, schon immer will sie es nicht daß ich von ihr reisen soll, so bat sie mich denn nun auch wieder, „meine Niese (so nent sie mich) nu bei kleine Jette bleiben, nur nich nach – Sötemitzer Tinder reisen“ sie hing sich nun mit beide Ermchen um meinen Hals, „kleine Jette Nise fest halten dann meine Nise nich nach Sötemiz reisen kann“ das süße süße Kind!!

Lieber Schleier! und Sie kommen wirklich vieleicht? wirklich? – wie ich mich darauf freue kann ich Ihnen nicht sagen, so lieb es Ihnen auch ist, wenn man sich immer recht klar ist – auf   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny freu ich mich nun auch schon, Sie müßen ihr nun auch oft von uns allen erzählen, damit wir ihr nicht zu unbekannt bleiben, ich kenne sie nun schon ziemlich, und mach sie recht gern, sagen Sie ihr nur, auf der Herz ihrem Zimmer sollte sie schlafen, es ist Heute ausgemacht. Das wird ihr gewiß lieb sein, nicht wahr liebe Nanny? wenn Sie Sich auf Rügen freuen, so freuen Sie Sich auch nur'n bischen auf uns, Ihr Bruder hat uns alle recht lieb.

 Sachanmerkung:

Haben ... guter Schleier!] 
es könnte sich um Henriette Weregen handeln, vgl. Brief 2518, 84-90, KGA V/9.

Haben ... guter Schleier!]  Vgl. Brief *2623;
 [Schließen]
Haben Sie noch meinen langen Brief den ich Ihnen im Winter schrieb? Sie haben mir eine Frage unbeantwortet gelaßen, ich laße Sie nicht gerne frey. Ich erzählte Ihnen von dem Schicksaal eines Mädchens, der der Schmerz einer getäuschten Liebe Tödtete – sie starb sehr schön, ohne alle Bitterkeit, aber mit der innigsten Liebe zu dem edlen Manne der sie nicht erwidern konnte, im Herzen. Doch starb sie aus Schmerz, es war ein Schmerz der Seele lebt nun nicht dieser Schmerz fort, mit der Seele? Denn auch dort findet sie ja den Geliebten nicht – weiß aber die Seele dort nichts von diesen Schmerz so weiß sie ja auch nichts von der Liebe die uns hir an den Freund wie an den Geliebten band? Schleier antworten Sie mich?! thun Sies guter Schleier!

Zitierhinweis

2710: Von Luise von Willich (auch an Anne (Nanny) Schleiermacher). Wohl Götemitz, vor dem 8. 5. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006539 (Stand: 26.7.2022)

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