Da bin ich nun wieder mein Bester! denke mich zu dir und kann von dir nicht weg – möchte nur mit dir reden – und wenn ich fertig bin immer wieder anfangen, um Dir zu sagen wie lieb du mir bist – wie einzig ich dich liebe – auch mit alle deinem Schweigen – und wie ich begierig bin was aus diesem Verstummen noch hervorgehen wird – ob du mich bald mit einem neuen Wirkungskreis deiner Thätigkeit wirst bekant machen – und endlich wann – wo – und wie wir uns sehen werden! –

Schon wieder einige Tage verstrichen seit ich diese Zeilen geschrieben  Vgl. Brief 2648. [Schließen]und meine große Epistel an dich abgegangen – so sehr ich nach Briefen verlange – so lieb ist mirs daß keine Begegnung stattfindet und ich hoffe diesesmahl stark, auf eine ordentliche Antwort.

  Anspielung auf „Die Weihnachtsfeier“ und die Ähnlichkeit der Protagonisten mit lebenden Personen. [Schließen] Oft schon hatte ich dich wegen dem WeinachtsGeschenke gefragt, und ich komme wieder damit angezogen – da ich jezt in den FrühStunden wenn meine Kinder noch schlafen – mich damit beschäftigt habe und mir gar recht heimlich dabei zu Muthe war – und gerne möchte ich wißen ob du dabey nicht Freunde und Freundinnen aus Preußen Rügen und Halle untergelegt – und welche! ob ich sie wohl Alle kennen solte – kann ich mich doch damit nicht ganz zurecht finden! Wenn du dich selbst nicht unter verschiednen Carackteren, aufgestelt – so erscheinst du mir nur in dem Joseph! daß ich die Frau von Kathen mit ihrem kranken Kinde gleich wiedergefunden versteht sich von selbst – ich verlange sehnlich von der Bertram die monologen – und Religion – wieder zurück – denn wenn ich auch nicht wie weiland bei meinen Wanderungen sie mitnehmen kann! könte ich sie doch in den Morgen Stunden und Stille benuzen Autorfußnote (am linken Rand von Bl. 14 und Bl. 14v) ein ganz andres Erinnern an Dich ist eine trefliche Predigt von Albertiny die hierher gelanget ist – die ich mir abgeschrieben habe O wenn einst Wir uns wiedersehen – dann solst Du sie mit mir lesen! – – wenn schon das Singen – und Fideln einer alten Geige welche die Franzosen aufgefunden – mich zuweilen aufschrekt | 14v

Gdfr d 8t Juny 1808

 Vgl. Brief *2725. [Schließen]Endlich ist er angelangt der längstersehnte Briefschon mehrere Tage habe ich, ihn, und auch verschiedene mahle durchgelesen – und immer wieder mich gefragt – ob Du ihn wirklich geschrieben – und warum? ob Krankheit Schlafsucht – oder irgend eine unwilkührliche Beleidigung von meiner Seite diese Kälte veranlaßt – welche in, und durch jede Zeile zu spühren ist – ja ich kann nicht läugnen es greift mein Inerstes an! – daß es ein hoher Grad von Eigenliebe – oder besondrer Reizbarkeit ist will ich nicht abläugnen – aber wer hat mich so verwöhnt? Wer hat immer von inniger Verbindung und Einklang der Geister gesprochen? Wer wünscht oft so gar innig mich wieder einmahl zu sehn?? und versichert mich der zartesten Theilnahme an allem und jedem, was mich betrift – berührt oder auch ergreift um Deinetwillen?! – und jezt so ganz im vorbeigehn von Deiner Reise nach Ruegen sprichst – nicht Wie und Wann auch keine adresse an die Herz um welche ich dich doch in meinem lezten ersuchte – oder bestimmte Nachricht über deinen Besuch daselbst – dann hätte ich dich gebeten mir einen Brief mitzunehmen – blos um dieses Umstandes wegen, muß dieser Brief bald | 15 weg! damit ich doch nächstens an die Herz schreiben kann!?! ich hatte so mancherley erwähnt – wie mich Alle meine entfernten Freunde durch ihr Schweigen zu verlaßen scheinen – hatte so vieles berührt was mich an dich erinert – auch an die schöne Vergangenheit – und dann mein inniges Sehnen nach einem Wiedersehn mit Dir! daß du mir auf das meiste schon Jahre lang nicht mehr antwortest – damit solte ich freilich schon eingewöhnter seyn – und mache mir oft Vorwürfe daß ich dich nach meiner Art immer noch mit so viel Kleinigkeiten unterhalte –

Aber auch daran(?) bist du durch deine mir wiederholt gegebnen Versicherungen Schuld, nur fleißig darin fortzufahren! und doch kann ich nicht anders glauben – als daß meine Episteln Dir zu wenig Bedeutung haben – oder irgend etwas andres zwischen Dir und Deiner alten sonst von dir so zärtlich geliebten Lotte getreten ist – daß meine Briefe immer jezt voll Gutmeinen – und wahrer Zärtlichkeit waren – weiß Gott! Doch aber kann wo ein Misverständniß seyn was dich erkältet hat – | 15v

Wilst du wißen was die  Helene von Seidlitz [Schließen] Seidliz sagte! als wir Uns am Abend unsre gehabten merkwürdigen Empfindungen mittheilten? „O Lotte das habe ich längst geahndet daß Sie darüber einmahl was sagen würde! ohngeachtet ich von ihrer vorigen engen Correspondenz nichts weiß nichts gelesen – so habe doch schon oft aus ihren Aeußerungen geschloßen – daß, seitdem ihr Bruder die   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nany bey sich hat, eine gewiße Gleichgültigkeit sich gegen Sie eingeschlichen hat –! nicht daß seine Freundtschaft erkaltet oder gar erloschen! nein! sondern da er stets ein nahes weibliches Wesen um sich hat – dem er sich augenbliklich über alles mittheilen kan – so fühlt er dieses Bedürfniß – nun nicht wie sonst gegen Sie, nur dis – konten Sie – bei ihrer großen Wärme und einzigen Zärtlichkeit nicht gleich gewahr werden! –“ Von Verwandtschaft will ich gar nichts erwähnen nur wäre mirs wehthuend zu denken – geschweige zu glauben – daß eine neue Bekantschaft und junge Freundtschaft – die so lang geprüfte alte Freundin verdrängen könte! – Verzeih alle diese Aeußerungen – aber ich muste meinem Herzen Luft machen – und werde nun abwarten wie das Deinige es aufnimt – wie sonst

Deine Lotte

d 11t Juny

  am linken Rand von Bl. 15 [Schließen] Von dem Zurüktreten der Nany gegen Weichard – habe schon aus ihrem lezten Briefe geahndet – es muste so kommen

Zitierhinweis

2703: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, wohl Anfang Mai bis Sonnabend, 11. 6. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006532 (Stand: 26.7.2022)

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