Berlin d 8t. März 8
Es währt mir zu lange bis August Boeckh: „Platons Werke von Friedrich
Schleiermacher“, in: „Heidelbergische Jahrbücher der Literatur“, 1. Jg.,
H. 1 (1808), S. 81-121, vgl. Brief 2630, 36-51.
[Schließen]das philologische Heft mit Ihrer Recension des Platon
erscheint und ich sehe
auch eigentlich nicht ab warum ich noch eine neue Schuld
abwarten soll um die alten zu tilgen. Sie sind in der That
sehr gut daß Sie an mich Nachläßigen wieder geschrieben
haben, zumal bei den vielen Arbeiten mit denen Sie Sich
überhäuft haben. Thun Sie doch ja des Guten nicht zu viel
lieber Freund. Vgl. Brief Nr. 2572, 52-65, KGA V/9.
[Schließen]So viel Vertrauen ich auch auf Ihre Gesundheit
habe so wird mir doch bange bei 15 Stunden
wöchentlich lesen so wie
unser einer es betreiben muß, und dabei noch Ihren schriftstellerischen Arbeiten,
die wenn Sie sie auch wirklich zum Theil bei Seite legen
wollen, sich doch immer wieder eindrängen werden. Denn
Angefangenes läßt nicht Ruhe. Uebernehmen Sie Sich nur ja
nicht mit Nachtwachen damit es Ihnen nicht später zu Hause
komme, wie es mir zum Theil diesen Winter zu gehen scheint,
indem meine Schlafbedürftigkeit des Nachts und
meine Unfähigkeit des Tages grenzenlos sind.
Darum ist auch der Friedrich Schleiermacher: „Platon-Übersetzung“,
Bd. 2,3 (1809). Den Fortgang der Arbeiten an diesem Band notierte
Schleiermacher in seinem Tageskalender 1808 und 1809.
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Band des Platon
der diesen Winter fertig werden sollte noch nicht
angefangen, und ich habe nun von der Pause die ich später,
erst nach Beendigung dieses Bandes machen wollte schon
soviel, ohne sie recht ge | nossen
zu haben vorweggenommen, daß
ich nun doch wohl, wenn die Umstände es irgend zulassen,
fortarbeiten werde bis ich die
Republik auch
hinter mir habe.
wohl Notizen, die wohl
mit Boeckhs handschriftliche Notizen zum Timäus und Critias zu
identifizieren sind, die sich im Schleiermacher-Nachlass der BBAW, SN
256/1, 1-9, Bl. 16f. befinden.
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Aber mit den Gesezen und dem Timäus
warte ich auf Sie, wenn Sie nicht noch ärgere
Pausen machen als ich wol befürchten darf;
ich möchte Ihnen sonst gar zu
große Arbeit machen mit Züchtigungen, strenge Behandlungen
[Schließen]Castigationen, und es ist mir wol zu gönnen, daß ich bei dem schwersten
wenigstens etwas tüchtiges vor mir finde. August Boeckh hatte seine Habilitation „Specimen
Editionis Timaei Platonis Dialogi“ (1807) sowie die Abhandlung „Ueber die Bildung der Weltseele im Timaeos des Platon“, in:
„Studien“, Bd. 3 (1807), S. 1-89 offenbar Schleiermacher zukommen
lassen, vgl. Brief
2630,
32 – 35.
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Die Studien aber und die Dissertation die Sie mir
zugedacht haben habe ich nicht erhalten bis jezt, und
ich bitte Sie mich doch ja wissen zu lassen durch
wen Sie sie mir zugesendet und an wen ich mich etwa in Leipzig zu wenden habe.
In die
Abhandlung in den Studien habe ich einmal flüchtig hineingesehn mehr
war mir nicht vergönnt und ich freue mich sehr
darauf beides sobald meine jezige Arbeit bei Seite
geschafft ist recht ordentlich zu studieren[.]
Hier bitte ich Sie aber
auch noch um eine Gefälligkeit. Georg Friedrich Creuzer: „Philosophorum veterum
loci de providentia divina itemque de fato emendantur, explicantur“
(1806). In seiner Abhandlung „Herakleitos der dunkle, von Ephesos“, in:
„Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd. 1, H. 3 (1808), S. 313-533
geht Schleiermacher dann noch einmal explizit auf Creuzers Ankündigung
seines Forschungsinteresses an Heraklid (S. 321, vgl. KGA 1/6, S. 110)
und seine Heraklid-Deutung ein (S. 337, S. 377f. sowie S. 484f., vgl.
KGA V/1, S. 122, S. 147f. und S. 211) , vgl. auch „Historische
Einführung“ KGA I/6, S. XXV-XXXV.
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Es ist mir nemlich auf dem Wege des
Buchhandels unmöglich gewesen lies: Creuzers
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Creuzer Dissertation
worin die Stellen der Alten de providentia
gesammelt sind zu erhalten
und ich bedarf
d
über den ursprünglichen Text geschriebenIhrer
nothwendig. Könnten Sie mir sie wol recht
schleunig, nicht wartend bis Sie Lust
haben, eine Zeile dazu zu schreiben, von dort aus
mit der Post zuschikken. Ich bearbeite nemlich den
Heraclitus
mit seiner Philosophie soviel man davon wissen und
nichtwissen kann für
das dritte Stük des
Museum
, und will mich gern der Hülfe erfreuen die
Creuzer dort einigen Stellen soll gegeben haben.
Zu spät ist mir zu
Ohren gekommen | daß er
auch eine Samlung Heraklitaischer Fragmente
angekündigt hat; ich würde sonst doch
wol, obgleich weniger schiklich die Reihe von
Monographien dieser Art welche mir vorschwebt mit einem
Andern eröfnet haben. Bitten Sie ihn um Verzeihung
in meinem Namen daß ich ihm nun so vorgreife und
mit einem Schiflein auslaufe auf welches
er schon Embargo gelegt hat. Doch geschieht das ja nur
gewissermaßen, unsere Arbeiten werden
sehr gut neben oder hintereinander
bestehen können und ich will es mir gern
gefallen lassen dazu beizutragen Mt 19,30
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daß
die
über den ursprünglichen Text geschriebenser
lezte der erste wird
und das sichere Geschäft des Castigirens und
Ergänzens ihm zufällt.
Meine lezten Schleiermacher las im Vorfeld der
Universitätsgründung im SS 1807 über Geschichte der alten Philosophie, vgl. A. Arndt und W.
Virmond:
Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis)
“ (1992), S. 303.
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Sommer Vorlesungen
haben mir eine ganze Reihe
solcher Aufgaben eingetragen die interessant und schwierig
genug sind, vor denen Allen ich mich aber doch nicht so scheue wie vor
der Einen die das Ganze krönen müßte, wenn nicht mein Leben
so weit ich es berechnen kann schon reichlich ausgefüllt
wäre, nemlich
einer tüchtigen Kritik des
Aristoteles
.
Wer soll ich nur wünschen daß diese
übernähme wenn nicht Sie?
Das zweite Stükk des Museums enthält vorzüglich Aloys Ludwig Hirt: „Ueber das Pantheon“, in:
„Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd. 1, H. 2 (1808), S.
147-293
[Schließen]eine Abhandlung von Hirt über das Pantheon
; Friedrich Schleiermacher: „ Herakleitos der
dunkle, von Ephesos“, in: „Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd. 1,
H. 3 (1808), S. 313-533, vgl. KGA I/6, S. 101-241.
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wie weit mein
Heraklit das
dritte ausfüllen wird kann ich noch nicht übersehen.
Friedrich August Wolf: „Darstellung der
Alterthums-Wissenschaft“, in: „Museum der Alterthums-Wissenschaft“, Bd.
1, H. 1 (1807), S. 1–145, vgl. Brief
2630,
60 – 62.
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Wolf
hat seinem Aufsaz wie mir scheint großen Schaden gethan durch die
Anordnung. Denn indem er seine Idee von
dem eigentlichen Zwekk der philologischen
Wissenschaften als den Gipfel an das Ende stellen wollte
mußte das Ganze weit loser gerathen als es auch aus
seinem Standpunkt nöthig gehabt hätte. Erschöpfende
Tiefe dürfen wir freilich nicht als das
vorzüglichste rühmen an dem Ganzen Aufsatz und
überhaupt thut Wolf
|
vielleicht vornehmer damit als billig; aber eben
zum Debutiren ist es doch ein trefliches Stükk,
grade auf einer mäßigen Höhe um
g
über den ursprünglichen Text geschriebenvom
ganzen Parterre gesehen werden zu können nicht leer
von Eleganz und nicht frei von ein wenig Pedanterie
um beide Geschmäkke zu befriedigen, und für die
nachfolgenden Mitarbeiter aufmunternd anspornend ohne
abschrekkend zu sein.
Sie werden wol hieran noch
einmal, und im genaueren Wortverstande, sich bequemen
müssen den Lehrer zu recensiren! Um Ihnen hiezu
die Befugniß zu geben, bedarf es eben nicht erst der
aufgeklärten Zeit denn
selbst Lehrer ist man nicht mehr Schüler und schlecht
müßte auch der Lehrer sein der nicht wünschte
und dem nicht gelänge Schüler zu bilden die im Stande wären
ihn zu beurtheilen. Wozu hat jede Generation
ihre Schultern als daß die folgende sich drauf stelle? Aber ganz im
Ernst,
auf
über der Zeilevon
uns läßt sich das ganze Verhältniß doch nur in einem sehr
weiten Verstande prädiciren. Großer Unterschied zwischen dem Lehrer der nur
anregend wirken kann wie ich und eben durchaus einen
demokratischen Charakter hat, als
constitutionell annehmend daß das Verhältniß
sich nächstens umkehren wird, und dem der anweisend übend und
aus einem Schaz von Kenntnissen mittheilend wirkt wie
Wolf. Das ist
doch nur der eigentliche Lehrer, und ein solcher wäre ich
erst in einigen Jahren geworden wenn Gott Glükk und Segen
gegeben hätte und zwar wol nur auf dem theologischen
Gebiet. Daß ich aber gar zu gern wieder lehren möchte auf
meine Weise und mein Leben nur in so fern für etwas nuz
halten kann als es mir gelingt noch wieder ein Katheder zu besteigen,
das ist eine ganz wichtige Voraussezung. Auch gestehe ich Ihnen ehrlich
daß ich seit der lezten Zerstörung, wenn ich mir dachte Preußen könnte ver | urtheilt sein sich nicht wieder zu erholen, mir immer
Heidelberg als
den einzigen Ort dachte wo ich recht gern wieder eine
Professur hätte.
Vgl. Brief 2630, 75-99.
[Schließen]Daher ist mir der Vorschlag den Creuzer
gethan hat wie Sie denken können gar
nicht unangenehm und ich bin neugierig zu erfahren was die
Regierung darauf erwiedern wird.
Indeß kann ich auch für den
bejahenden Fall noch nicht sagen was ich werde
thun können. Wir leben hier der sichern Erwartung daß das
Schiksal dieses Landes sich im frühjahr
definitiv entscheiden wird. Die Regierung hält wie es scheint noch fest an dem
Gedanken einer für den Fall der Räumung hier zu errichtenden Universität, und dann würde ich
es für höchst unrecht halten mich ihr zu versagen.
Sollte aber etwas ungünstiges über dieses Land beschlossen sein
so würde ich nichts lieber als nach Heidelberg gehn, und das Anhalten, so
fatal es auch ist, nicht scheuen, in so fern ich es nur
als eine Formalität ansehn müßte,
jedoch nur unter der Voraussezung daß Daub und
Schwarz nichts gegen meine Anstellung
hätten.
Doch wie komme ich immer wieder von Ihrer Recension des Platon ab wenn ich schon dicht
dabei bin! Freilich kann ich nicht viel darüber sagen bis
ich sie habe, und daß ich mich darauf freue einmal ein
ordentliches und gründliches Wort über die
Sache
über der ZeileArbeit
zu hören wissen Sie auch ungesagt.
Beiträge zu Ausstellungen hätte ich Ihnen geben können, aber ich
vermuthe Sie haben das Buch besser inne als
ich, der ich seit es gedrukt ist
immer nur gelegentlich hineingesehn habe.
Voss der Vater
hatte auch allerlei in petto gegen die Uebersezung im
Ganzen was er mir aber mündlich nicht recht
deutlich machen konnte. Hätten Sie es ihm doch besser
abgelokt.
| Denn das werden Sie mir nicht verdenken, daß der
Tadel mir der liebste ist, den ich gleich bei den
folgenden Bänden noch brauchen kann, und nicht erst bei
der zweiten Auflage, vorausgesezt nemlich daß ich nicht
solchen zu befürchten habe der mich auch der folgenden Bände
überhebt. Auch glaube ich daß wenn Sie an die
Recension zwei Bogen gewendet haben, wie mir vielleicht Friedrich Conrad Leopold
Schneider
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Schneider
gesagt hat Sie über der Zeileauf
kein irgend vollständiges Verzeichniß einzelner
Irrungen Sich haben einlassen können.
Boeckh kündigte eine Rezension von Johann
Friedrich Herbarts „
De Platonici systematis fundamento commentatio
“ (1805) an, vgl. Brief
2630, 111-115.
[Schließen]Auf die Recension des Herbart freue ich mich auch
; ich habe ihn lange vor mir liegen gehabt ohne nur
den Muth hineinzusehn
Wilhelm Martin Leberecht de Wette: „Rezension zu
F. Schleiermacher: Ueber den sogenannten ersten Brief des Paulos an den
Timotheos“, in: JALZ, Bd. 4 (1807), Nr. 155-156 (2.-3.11.), Sp. 217-232,
vgl. Brief 2630, 19-23.
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Daß De Wette die Recension des Timotheos gemacht hat war mir
interessant zu hören; aber unerwartet.
Ich hatte fast gefürchtet sie sei von einem der
Sache gar nicht recht gewachsenen und hatte Verdacht auf
Eichstaedt.
Etwas gelehrter und freilich auch wol etwas freier dächte ich
hätte Ihr College die Sache behandeln können.
Eine Spur dieses brieflichen Hinweises war nicht
zu eruieren.
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Eichhorn, so ist mir
geschrieben worden, soll sich erklärt
haben, das Sendschreiben habe ihm gefallen, doch
seze er daran aus, daß ich mich auf den zweiten Brief an
den Timotheus berufen, weil der auch unächt
wäre.
Schleiermacher bezieht sich auf die anonym
erschienene Rezension „Über die höhere oder divinatorische Kritik des
Neuen Testamentes“ , in: „Neue Leipziger Literaturzeitung“, Bd. 1, St. 5
(11.1.1808), Sp. 65-74, vgl. Brief 2630, 17–19.
[Schließen]Wenn der Leipziger nur einige Dissertationen
namhaft machen kann die nicht gebraucht
worden sind so denkt er gleich Recht zu
haben
– Ich lese hier nichts theologisches, als
nur Encyclopädie vor sehr Wenigen. Die Prediger dünken sich
zu vornehm und die Candidaten fürchten sich, weil ihr
Probst mich nicht nennen kann ohne
mystisch-spinozistisch-pantheistisch und ich weiß nicht
was noch für Prädicate meinem ohnedies langen Namen
anzuhängen.
Mit Buttmann und Heindorf lese ich wöchentlich einmal Aristophanes zu meiner großen Freude, und beide sind wohl und grüßen. Bekker, wissen Sie vielleicht, lebt interimistisch nicht weit von hier auf dem Lande, wo er gegen wenige Stunden Griechisch und Lateinisch die er zu geben hat eines guten Gehaltes und völliger Freiheit und Muße genießt. D. Schneider kenne und schäze ich sehr; er hört noch einmal die Ethik, die mir Vergnügen macht wieder einmal zu lesen, es wird doch manches mehr ins klare und ins genaue gearbeitet.
Herzliches Lebewol und vergessen Sie meine Bitte nicht. Schleiermacher
Noch einen Gruß von Madame
Herz , die uns verläßt um den größten Theil des Jahres auf Rügen zuzubringen, darf ich nicht vergessen.
Vgl. Brief
2630,
67 f..
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Der
ungenannte Gelehrte ist
Wilhelm von Humboldt
.
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