Berlin, Schüzenstraße No 74. d 26t. Jan. 8.

Daß ich   Wahrscheinlich sind Brief 2585, KGA V/9 und Brief 2591, KGA V/9 gemeint.  [Schließen]deine beiden Briefe so spät beantworte ist die Schuld der unaufhörlichen Unruhe durch die sich mein erster Aufenthalt hier leider ausgezeichnet hat. Nun habe ich seit kurzem meine eigene Wohnung bezogen und komme nach gerade in einige Ordnung hinein.  Die Wiederherstellung von Halle hat keinen Einfluß auf mich gehabt. Theils war ich schon abgereist von dort ehe eine ganz bestimmte Aussicht dazu war, theils lebe ich der festen Ueberzeugung daß eine Universität wie sie mir allein wünschenswerth ist und wie sie in Halle anfing sich zu bilden unter den gegenwärtigen Umständen dort nicht bestehen kann, und hatte mich deshalb schon während meines Sommeraufenthaltes hier entschlossen es lieber darauf zu wagen was von den hiesigen Entwürfen zu Stande kommen wird.  Vgl. Brief 2612, 24 – 31.  [Schließen] Nun hat man sogar von Cassel aus erklärt wer am 1ten October nicht in Halle gewesen, solle provisorisch nicht als ein Mitglied der Universität angesehen | werden, wodurch denn außer mir auch Wolf und Steffens , Loder Froriep Schmalz Leute verschiedner Art von dort ausgefegt sind , so daß sich Halle nun auf einmal alles fremdartigen Stoffes entlediget den es seit einigen Jahren eingesogen und nun ganz als das Alte wieder auferstehen kann unter der Direction unseres Freundes Niemeier , der nun Gelegenheit haben wird seine peinliche Scheu gegen alles  neuartig [Schließen]neoterische zu befriedigen und seinen antiuniversitätischen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Da ich nun dermalen bin was ich nie zu werden geglaubt hätte, ein privatisirender Gelehrter und College von Merkel ,  vielleicht Friedrich August Kuhn [Schließen] Kuhn und andern berühmten Männern, und höchst wahrscheinlich mit Bahrdt und Otto Thiess  korr. v. Hg. aus: nurnun der dritte Doctor der Theologie der zugleich diesen  über der Zeilejenen Stand bekleidet, so kannst Du denken daß meine Finanzen in keinem glänzenden Zustande bin  über den ursprünglichen Text geschriebensind , und daß mir dein freundliches Anerbieten zumal bei dem gänzlichen Umziehen von Halle hieher höchst willkommen gewesen ist. Meine alte Schuld bei Dir, von der ich nicht weiß ob Reimer sie gelöst hat indem ich ihm den Auftrag dazu eben nicht dringend gemacht | und seit fast Zwei Jahren keinen Abschluß von ihm bekommen habe, hatte der unglükliche  über der Zeilevorige Winter in Halle lösen sollen; nun muß ich allerdings mit beiden darauf warten daß der allgemeine Friede mich irgendwie rehabilitirt. Fränkel wartet noch auf eine besondere Order von Dir um Deine Anweisung zu honoriren und es ist mir deshalb lieb daß ich sie ihm präsentirt habe ohne zu warten bis es mir dringend gewesen wäre Gebrauch davon zu machen.

  Vgl. Brief 2591, KGA V/9.  [Schließen]Ich bewundere Dich daß Du Dich durch das Sendschreiben über den Brief an den Timotheos durchgeschlagen hast. Es scheint mir wieder den Charakter des fatiganten, wie leider viele meiner Arbeiten, in hohem Grade zu besizen, und ich wollte mich jezt anheischig machen die Sache weit anmuthiger und zugleich weit klarer darzustellen; aber freilich weiß ich nicht ob ich nicht einige Bogen mehr dazu brauchen würde, und das ist doch unverhältnißmäßig für den Gegenstand. Uebrigens geht es mir damit wie ich dachte die Philologen stimmen mir Alle bei aber die Theologen wollen nicht daran sondern verstekken sich hinter einige hergebrachte Hypothesen, die ich nicht der Mühe werth hielt | bei dieser besonderen Gelegenheit ordentlich zu widerlegen.   Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: „Geschichte der Religion Jesu Christi“ (1806 ff.), vgl. Brief 2591, KGA V/9; zur Rezensionsanfrage vgl. Brief 2576, KGA V/9 von Philipp Marheineke vom 14. 11. 1807. Graf Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg war am 1. Februar 1800 zum Katholizismus übergetreten.  [Schließen] Nicht minder wundere ich mich über dein Studium der Stollbergischen Kirchengeschichte, da ich das Buch noch nicht mit Augen gesehn und eben deshalb auch eine Aufforderung es in den Heidelberger Jahrbüchern zu recensiren abgelehnt habe. A priori möchte ich sagen ich traue dem Mann keinen historischen Blikk zu weil er ja sonst wol das geschichtliche Verhältniß des Protestantismus zum Katholizismus nicht so ganz mißverstanden haben würde. Und eben so wenig ein Talent der Geschichtschreibung, weil es doch ungeheuer ist, ich will nicht sagen die Geschichte des Christenthums mit Abraham anzufangen, aber doch einen ganzen Band hindurch sich im Judenthum zu verweilen. Indeß gefällt gewiß den Brüdern die Kirchengeschichte besser als das Sendschreiben. Ich wollte gern vor meiner Abreise von Halle noch einmal nach Barby gehn aber es wollte sich gar nicht thun lassen.

 Friedrich Schleiermacher: „Platon-Übersetzung“, Bd. 2.2 (1807)  [Schließen] Der Vierte Band vom Platon ist im Sommer fertig geworden, und ich weiß nicht ob es nicht etwas Nachläßigkeit von Reimer ist daß er sich noch nicht in Deinen Händen befindet. Das Gastmahl war mir die schwierigste Aufgabe darin. Man ist über der Zeilemacht hier so gewiß mehr als anderwärts die Foderung, die Süßigkeit und Anmuth des Originals in der Uebersezung erreicht zu sehen, sollte es auch hie und da auf Kosten der Treue geschehen ich aber war, was diesen lezten Punkt betrift an die Analogie des Ganzen gebunden. Ich wünschte recht sehr Du machtest mir soviel Du könntest große und tüchtige Ausstellungen um sie für die Zukunft, welche ich für dieses Werk hoffe | benuzen zu können. Es sind gewiß noch viele Härten und Unannehmlichkeiten in der Uebersezung welche bei genauer Aufmerksamkeit durch etwas mehr Gewandtheit als ich jezt noch besize könnten vertilgt werden.   Diesen Sommer, wo ich hier Vorlesungen über die alte Geschichte der Philosophie las über den ursprünglichen Text geschriebenhielt hat mich tiefer als es bisher geschehen war in diese große noch ziemlich verworrene Masse hineinschauen lassen, und es sind mir ein Menge von Aufgaben entstanden die mich mehrere Jahre ziemlich angestrengt beschäftigen können;   Das „Museum der Alterthums-Wissenschaft“ erschien 1807–1810; danach wurde das Erscheinen eingestellt. Im ersten Band veröffentlichte Schleiermacher seine Abhandlung „Herakleitos der dunkle, von Ephesos“, Bd. 1, H. 3 (1808), S. 313–533; vgl. KGA I/6, S. 101–241.  [Schließen] einzeln denke ich sie allmählig in dem Wolfischen Museum zu lösen bis sich vielleicht Veranlassung findet wenigstens einen Umriß des Ganzen hinzustellen der mehr historische Geltung hat als wir bisher besizen. Du siehst es giebt wenigstens einen Punkt in Absicht auf den du außer Sorgen sein darfst meinetwegen, nemlich die Arbeit und was diesen betrifft, sollte man meinen, könnte mir der Stand eines privatisirenden Gelehrten auf einige Zeit sogar angenehm sein. Allein zu meiner geistigen Diät gehören nothwendig bestimte geistige Geschäfte; ich fühle mich dabei weit wohler aufgelegter fleißiger und das ganze Leben gedeihlicher.  Daher warte ich sehr sehnlich darauf, wann und wie der Entwurf den man zu einer neuen Universität gemacht hat zu Stande kommen wird. Du bist in der | Nähe unserer Regierenden und weißt darüber vielleicht mehr als ich. Eines liegt mir diese Sache betreffend gar sehr am Herzen, und ich möchte Dich sehr bitten etwas dazu zu thun wenn es die Gelegenheit giebt nemlich die Vorurtheile zu zerstreuen welche man gegen Steffens zu hegen scheint und zu bewirken daß er doch ja mit hergerufen würde. Von wie ausgezeichnetem Einfluß auf den Geist und auf das gründliche Studium der jungen Leute er gewesen ist, darüber wird Dir Marwiz wol mehr gesagt haben . Und ich weiß gar nicht wie man ( wenn man nicht Schelling oder einen seiner unmittelbaren Schüler rufen will, die ja wol alle in noch schlechterem Credit stehn) das Fach der Philosophie ausfüllen will ohne ihn. Man wird doch nicht den unseligen Einfall haben den Fichte allein machen zu lassen? ich habe schon erklärt daß was ich auf diesem Gebiet leisten kann gar nichts ist ohne Steffens, und gar keine Wirkung thun kann, als nur durch seine Mitwirkung.

 Mit der „höheren Schule in Königsberg“ spielt Schleiermacher darauf an, dass Brinckmann die königliche Familie auf der Flucht nach Königsberg begleitete. [Schließen]Auf der hohen Schule in Königsberg bist du nun wie ich höre, und ich wünsche, daß man da recht viel vortrefliches lerne, besonders auch den Tilsiter Frieden betreffend. Möchte man nur auch recht bald absolviren, und nach vollendeten Studien hieher zurükkehren um in die Geschäfte, und nach so vielen Abstractionen (statt der Speculationen, die neue Schule hat doch sehr recht mit ihrer Terminologie!) in das lang unterbrochene praktische Leben einzutreten.   Spalding und die Herz grüßen sehr.   Vermutlich ist die Anweisung auf Fränkel gemeint, die Brinckmann in seinem letzten Brief erwähnt, vgl. Brief 2616, 2 f.. [Schließen]Von ersterem war die Antwort schon unterwegens als Dein Brief mit der Einlage an mich ankam.

Schleiermacher

Zitierhinweis

2617: An Carl Gustav von Brinckmann. Berlin, Dienstag, 26. 1. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006446 (Stand: 26.7.2022)

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