Montag Abend Poseriz d. 17t. Januar
Ich danke Dir von ganzem Herzen für Vgl. Brief 2592, KGA V/9 an Henriette von Willich vom 17. 12. 1807.
[Schließen]Deinen lieben Brief. Du hast mir sehr wohl gethan – ja wohl wußte ich immer daß Du mit aller Liebe an mir gehangen. Daß Dein sehr langes Schweigen mir dennoch schmerzlich ward, ist natürlich da ich oft eine so innige Sehnsucht nach Dir empfand, und immer vergebens auf Deine lieben Worte wartete. Ja lieber Vater in mancher einsamen Stunde an dem Bette meiner kranken Henriette Pauline Marianne von Willich
[Schließen] Jette habe ich kein größres Verlangen gehabt als daß mir ein Brief von Dir gebracht werden möchte. Ich glaube wohl daß Dir nicht zum schreiben aufgelegt war. Du lieber wie nahe geht mir Alles was Du verloren hast! wie begreife ich deinen Schmerz um’s Vaterland! um Deinen zerstörten Wirkungskreis. Vielen Schmerzen ist mein Ehrenfried entgangen, sehr bitteren Sorgen um Weib und Kinder – unendlich beruhigend ist mir der Gedanke an sein ungetrübtes Leben – an seine unbegrifne und doch so gewiße Glückseeligkeit. Wie es mit uns jezt sein würde hätte er gelebt | 1v davon habe ich keine deutliche Vorstellung, aber auf jeden Fall wäre unsere Laage sehr drückend geworden – Ach lieber Vater mir ist wehe und trübe – wenn ich Morgens aus meinem Fenster das glühende Morgenroth empor steigen sehe – dann durchdringt mich Ahndung und Hoffnung – und wenn ich dann frage was ich denn will und was mir kommen kann – so weiß ich nichts und kann mich nur halten an dem Glauben an ein Morgenroth auch nach der Grabes-Nacht. – Viele leiden in dieser Zeit, manches schöne Familienleben ist gestört, doch die Meisten blicken mit Hoffnung in die Zukunft, bessere Zeiten werden ihnen Alles wiederbringen – mir ist Alles gleich, ach ich habe oft eine fürchterliche Gleichgültigkeit –
Donnerstag .
Schlichtkrulls und
Luise von Willich
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Louise
sind nach Garz
gefahren
die Kinder der Henriette von Willich
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Kinderchen
schlafen beide so ruhig – wie gerne
plauderte ich nun noch ein bischen mit Dir mein
Herzensvater!
Du weißt von Jette wie ich diese lezten Monate verlebt habe welche
Angst und welche Freude ich geschmeckt, sehr sehr einsam habe ich das | 2
schöne Weinachtsfest zugebracht, mit großer Liebe
und Sehnsucht auf Dich gehoft – doch kamst Du
immer nicht – Es ist ungewiss, ob Henriette von Willich über die
Predigt von Schleiermacher selbst oder aus einer anderen Quelle (ev.
Henriette Herz) unterrichtet war.
[Schließen]am Neujahrsmorgen grade
wie Du so herrlich gepredigt hast, war ich auch in Gedanken bei Dir, ich schrieb etwas
nieder für Dich, habe es aber nachher wieder vernichtet.
Mir geht es oft so, ich habe Verlangen mich auszusprechen,
wenn ich es gethan, in einer andern gleichgültigen Stunde
es zur Hand nehme, dünckt mich, es sei nicht für mich
solche Momente auszureden und werfe meine Blätter
ins Feuer –
Friedrich Schleiermacher: „Predigten. Erste
Sammlung“ (1. Aufl. 1801, 2. Aufl. 1806)
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Deine Predigten habe ich nach langer Zeit wieder
gelesen am Bette meines Töchterchens ich habe in
ihnen wieder Beruhigung und
Erleuchtung gefunden.
Auch Philipp Wilhelm Wolf: „Auserlesene Predigten,
Homilien und Anreden“ (1807), 2 Teile
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Wolfs Predigten, (kennst Du sie schon?) sind mir sehr lieb
geworden –
Vgl. Brief 2592, KG V/9.
[Schließen]Wie herzlich danke ich Dir für die Freude die Du
mir durch den Auftrag machst Dir ein Paar Handschu
wieder zu stricken wie gerne thue ichs – daß Du sie
nicht schnell brauchst ist mir lieb.
Von Ehrenfried von Willich (d.J.)
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meinem herrlichen
Knaben
möchte ich Dir gerne viel erzählen – ach könnte ich
ihn Dir doch bald selbst auf die Arme geben! Ja lieber
Vater die gewisseste Ahndung | 2v
habe ich in mir daß Du einst den nächsten Theil an diesem
Kinde haben wirst – Dir werde ich ihn am liebsten
bringen wenn er mehr bedarf als die Mutter ihm
sein kann und die schmerzhafte Trennung
doch unvermeidlich ist – Du wirst ihn gerne nehmen und
ihm Vater sein – Wohl schön ist dein Gedanke daß auch wir
uns dann näher sein möchten, ach es gäbe für mich kein
reineres schöneres Glück! auch ist mir oft als werde Gott
es so fügen wenn ich gleich gar nicht sehe wie es könte
ausgeführt werden. Bei allem diesen habe ich eine
unaussprechliche Zuversicht daß Gott es leiten
wird wie es für mich und die
Kinder am besten
ist, und so wie ohne alle Furcht so lebe ich auch ohne
allen Plan in die Zukunft hinein –
Welch ein herrliches frommes Gemüth spricht aus dem Jungen! und
eine ununterbrochne Thätigkeit und Heiterkeit –
Vgl. Brief 2592, KGA V/9.
[Schließen]Sei unbesorgt guter Vater ich werde
den Knaben nicht verweichlichen er ist so brav und gewandt daß er oft
Fremde in das gröste Erstaunen sezt. Er kriecht jezt mit der
grösten Schnelligkeit die Stube auf und nieder,
richtet sich an allen Stühlen in die Höhe
und wird gewiß nächstens allein davon laufen – nur ein
Beispiel | 3 wie närrisch der
Junge oft
ist, so stand er neulich und entdeckte von
Ohngefähr daß er mit seinem kleinen Fuß auf die Erde scharren
könne, hierüber war er außer sich vor Vergnügen, so wie der
kleine schwarze Schuh unterm Rock wieder hervorkam lachte
er hell auf. Eben so kann er sich viertelstunden lang mit
seinen eignen Händen unterhalten er dreht und
wendet die kleinen dicken Fäuste so viel hin und her, macht
sie zu und wieder offen, und entdeckt
immer wieder etwas neues das ihm auffallend und
lächerlich ist. In diesen Tagen hat er den ersten Zahn
bekommen obgleich er etwas unpäßlich dabei ist, ist seine
Heiterkeit
doch unverändert.
Die kleine Jette erlangt auch immer mehr ihre Kräfte
wieder, das Kind war unbeschreiblich liebenswürdig als sie
zuerst wieder ins Leben trat und selbst ihre
Genesung fühlte – jezt kehrt die vorige Lebendigkeit damit
auch die vorige Heftigkeit zurück, sie ist ein ganz eignes
Kind, voll Liebe und Lieblichkeit und oft dann wieder zeigt
sich eine unbegreiffliche Härte und Disharmonie in
ihrem Wesen. Sie ist mir von Anfang an ein sehr saures Kind
gewesen | 3v ich glaube es ist unmöglich
mehr Sorgfalt und Geduld bei einem Kinde zu haben
als ich bei ihr gehabt, doch ist mir’s nicht
gelungen ein gewisses unruhiges verdrießliches Wesen zu
heben. Es war früher oft so arg daß bei aller Liebe und allen
guten Vorsätzen zur unermüdlichen Geduld, ich doch
bisweilen dadurch so gereizt ward daß ich einer
augenblicklichen Heftigkeit nicht wiederstehn
konnte. Jezt bin ich sicher mich nicht wieder darauf zu ertappen
und auch mit Jette ist es beßer geworden wenngleich noch nicht ganz gut
– Wie innig habe ich mich oft nach Deiner Gegenwart nach
Deinem Rath gesehnt!
Ich glaube fast daß der Knabe mehr Ehrenfrieds und Jette mehr mein Gemüth erhalten hat auch ich bin ein sehr eigensinniges Kind gewesen, bei allem was Jette tadelnswerthes hat ist mir immer als trüge ich davon die Schuld – Wie unbeschreiblich sehne ich mich oft nach Dir mein treuer Vater, wie viel wird mir die Nähe der theuren Jette sein! Ach wäre es doch recht gewiß daß ich Dich auch diesen Frühling oder Sommer sehen werde! ich weiß Du komst wenn es Dir möglich ist! | 4 Die rechte Mittheilung über meine Kinder kann erst dann beginnen wenn Du sie selbst kennst, dann wirst Du mir Rath geben können der mir von Dir so werth sein wird –
Wie die Jette drollig aussieht wenn sie so altverständig sich vor den
Bruder hinstellt „niebes süßes Kind?“! sie ist oft erstaunlich zärtlich gegen
den kleinen Bruder aber eben so wenig macht sie sich ein Gewißen
daraus auf ihn zu schlagen wenn er ihr Spiel in Unordnung
bringt oder
dergleichen. Sie hat schon erstaunlich viel Ueberwindung, im
selben Augenblick wenn sie schlagen wollte
bedenckt sie sich oft plözlich und
streichelt an dessen statt,mir ist als möchte
ich lieber diese Ueberwindung noch nicht in ihrem Alter,
doch ist sie ihrer Natur wohl nothwendig die sich so zur
Uebertreibung neigt. Ich bin oft recht strenge gegen sie doch
im Ganzen lasse ich ihr viel Freiheit und glaube
gewiß daß ich darin Recht thue, ich werde aber öfter darum verkannt und getadelt, besonders
Luise von Willich
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Louise
hat mich in dieser Hinsicht öfters recht gekränkt; ich darf es Dir
sagen weil Du so gut wie ich es weißt daß sie es nicht
schlimm meint, sie hat ein Bild von artigen Kindern vor
Augen das auch recht schön ist, aber
ich kann Jette nun doch
| 4v nicht gleich so machen wenn ihre Natur nicht so
ist,
Jette ist eigentlich gar nicht eigensinnig noch überhaupt
unartig, sondern sehr lencksam, nur heftig
auffahrend im Augenblick, verdrießlich und
unruhig im Spiel. Ist sie unartig gewesen und ich sage ihr auch kein
Wort sehe sie gar nicht einmahl an, so weint sie doch
selbst heiße Thränen, komt weinend und
erzählt mir was sie gethan hat, so daß es mir oft rührend
ist – das Kind hat überhaupt viel tragisches – wie war es mir
auffallend, als kleines Kind schrie sie fast nie sondern
weinte immer große Thränen, hatte dabei so wircklich
wehmüthige Minen, daß sie mich simpathetisch
zur Wehmuth mit aufregten – Was mir jezt stöhrend an ihr ist,
ist eine erschreckliche Eßbegierde, alle ihre Phantasien
ihre Freuden drehen sich um diesen Genuß, sie
war schon immer sehr starck, aber durch die Krankheit ist
sie noch um vieles vermehrt. Man würde dies nicht von ihr
glauben wenn man sie so sähe, so geistig ist das Gesichtchen, der
ganze Körper so zart. Lieber Vater ich habe wohl zu viel geplaudert ist
Dir die Zeit auch lang geworden?
kopfstehend am oberen Rand von Bl. 1 Schreib doch bald ob Du in Berlin bleibst kopfstehend am oberen Rand von Bl. 1 oder nach Halle gehst, die Universität wird ja wieder aufgerichtet?
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