Den 7ten Januar
Der Brief ist nicht erhalten.
[Schließen]Meinen herzlichen Dank, lieber Schleiermacher, daß Sie mir in Ihren
freundlichen Worten eine so unerwartete
Weihnachtsfreude bereiteten.
Zuerst als ich Ihre Hand erkannte,
Friedrich von
Raumer, Luise von Raumers Bruder, lebte in Königs
Wusterhausen.
[Schließen]und dann wieder die Garbe auf dem Siegel,
mich glauben machte der Brief komme von Wusterhausen
; da war ich ordentlich böse daß sich jemand
unterstehen könnte eben so zu schreiben. – Wenn ich auch als
unverdient die Theilnahme erkennen muß mit der Sie zu mir
sprechen, sollen
Mt 13,5; Mt 13,20
[Schließen] Ihre Worte doch gewiß nicht auf
steinigten Boden gefallen sein
. Wohl weiß ich wofür ich am meisten mich hüthen
muß; es ist eben jenes in mich gekehrte Sinnen, wozu meine Lage
nur zu sehr mir Gelegenheit giebt, und was jede
Kraft in mir zu zerstören troht. So wär Ihr Wunsch daß ich
recht viele Geschäffte haben mögte gewiß der beste für
mich; aber die meinigen wollen mir nicht genügen. Alle
unsere Geschäffte sind ja, wenn das höchste Interesse fehlt, denen die
uns die Nächsten sind damit Freude zu machen, immer nur
unbedeutend; und diese Bedeutung ihnen zu geben,
wird mir nicht vergönnt.
Charlotte Raumer
[Schließen]Der Mutter
Abneigung gegen mich, wirkt zerstörend auf alles was mich umgiebt,
darum kann | 1v auch der Umgang mit
Ggen(?)s mir weniger Freude
gewähren. Wie oft werde ich Gelegenheit haben an
Ihren freundlichen Rath zu denken nur ganz in der Stille
auf sie zu wirken, denn schon jetzt fürchtet die Mutter mein
Beispiel mögte ihr schaden.
Ich habe gewiß keine so hohe Meinung von mir daß ich
glauben sollte unter allen hiesigen Mädchen
könnte nicht eine mir eine angenehme Gesellschaft sein; schon
Louise
Goerschen ist mir sehr lieb; aber ich soll ja alle nicht sehen die ich
mag, und auch nicht fragen warum, weil Kinder den
Eltern blindlings
gehorchen müßten. Ich schweige dann, aber freilich ist
mir's klar daß da wo Liebe und Nachsicht befiehlt
die hellen Augen der Kinder den Eltern wohl lieb sein
könnten. – Ich habe mein Inn'res geprüft, lieber
Schleiermacher aber so gern ich
auch mögte, ich finde nichts was mir anders die
Mutter
zeigte als sie wirklich gegen mich ist. Freilich läßt die lange
Entfernung von ihr, in der ich einer
freundlichen Begegnung mich erfreute von fremderen
Menschen, mich alles schmerzlicher fühlen, aber dies zeigt
mir doch nichts was nur in meiner Einbildungskraft
bestände. –
Dennoch, lieber Schleiermacher, wodurch ich Ihnen auch Veranlaßung
gegeben haben mag zu dem Glauben | 2 daß ich es zum Beschluß machen könnte einzuschlüpfen in
die erste Liebe die sich mir zeigen mögte; es kann dies nur
durch einen falschen Ausdruck meiner Gedanken
entstanden sein. Ich bin weit entfernt mich
damit zu rühmen wenn ich im tiefsten Herzen fühle daß mir’s
nie möglich sein wird, weil wohl Bessere so
handeln; aber mich sichert so manches dagegen,
Gutes und Böses. Das Böse will ich Ihnen nennen:
Ich hatte von Pflicht allein, nie einen rechten
Begriff. Es mögen andere leichten Sinnes
eingehen in Verhältnisse die sie nie wieder lösen können,
in der Gewißheit, daß wenn sie ihrem Herzen auch nicht
genügen, dies Gefühl ihrer Pflicht ihnen immer nah sein wird, und
sie so die Stelle ausfüllen die sie erwählten; mir ward
dies nicht so gegeben. Wie ich nie verzweifle da
wo ich liebe was allen schwer scheint mit Leichtigkeit zu
erfüllen, alles zu opfern mit Freuden; so vermag ich von
der anderen Seite auch nicht die kleinste Lücke recht
auszufüllen ohne Liebe. Es wird mir schwer immer zu sinnen
was wohl jedem gebührt, was ich ihm schuldig bin,
und ehe ich es selbst bemerke versäumte ich schon
etwas. Dann thut mir’s wohl sehr leid, aber ein anderer
Fall bringt leicht wieder dasselbe Unrecht herbei,
und so bin ich nie recht frei, im
immerwährenden Kampf. – Weil ich so mich kenne
| 2v darf ich auch nicht
betrügerisch versprechen was zu erfüllen mir
Kraft fehlte. Ich würde auch dadurch mich nur unglücklicher
machen, bald würde dieser gewaltsame Eingriff in mein
Schicksal mich quälen. – Tief rührte mich Ihre
Erinnerung an den Augenblick, wo vor dem Bilde meiner vielleicht Sophie Reichardt
[Schließen]
Sophie
, so ganz ihren schönen Prophezeihungen
entgegengesetzte Gedanken meine Seele
bewegten. Mir war’s als müßte ich recht feierlich allem Glück
entsagen, und
so wenig jugendliches ich sonst je besaß, für diesen
Glauben schien ich mir wieder so jung. – Es ist mir oft
leid wenn ich denke daß ich undankbar erscheinen
muß allen die sich liebevoll mir nahen, weil ihre Liebe
nicht noch mehr auf mich zu wirken vermag, und
Undank ist mir doch so fern. Es quält mich oft daß ich
immer nur annehme was andere so freundlich mir
reichen, und ich nichts vermag ihnen wieder zu geben. Völlig
fremd muß Ihnen dies Gefühl sein, aber es sehnt sich der
weniger Begabte doch da wo er Kraft in sich fühlt, sie
anwenden zu können. –
Es handelt sich wahrscheinlich um ihren Bruder
Friedrich von Raumer, da sie vorhatte, nach
Königs Wusterhausen
zu ihm zu ziehen, vgl. Brief 2507, 46-62, KGA V/9.
[Schließen]Darum mögte ich immer leben bei meinem
Bruder, ihn pflegen, und sorgen für
ihn, und achten auf alles was ich, ohne
der höheren Kraft des Geistes zu bedürfen, ihm
erleichtern könnte mit weiblicher Hand.
Meinen herzlichen Gruß an
Anne (Nanny) Schleiermacher
[Schließen]
Nanny
.
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