Das Jahr 1815 ist sowohl politisch als auch für Schleiermacher privat und wissenschaftlich von einigen unvorhergesehenen Ereignissen geprägt.
So verlässt Napoleon Bonaparte am 1. März sein Exil auf Elba, landet mit 700 Gardesoldaten bei Cannes und kehrt binnen 20 Tagen in den Tuilerienpalast zurück, aus dem Ludwig XVIII. geflohen war.Vgl. Büsch (Hg.): Handbuch der preussischen Geschichte, 1992, S. 70. [Schließen] Am 15. April schreibt Schleiermacher an Friedrich Heinrich Christian Schwarz über die politische Lage: „Ungeduldig harrt nun alles bei uns auf den möglichst raschen Ausbruch und die kräftigste Führung des Krieges. Manche bedeutende Menschen haben aber hier sehr wunderbare Ahndungen, als ob, wenn auch Napoleon ausgerottet wäre, dennoch kein Friede, sondern die unruhigste Zeit bevorstände. Ich weiß nicht, worauf sich das gründet; bei uns wenigstens herrscht die vollkommenste Ruhe, und Krieg, sollte ich denken, werde uns hernach auch niemand machen wollen. Ich lasse mich auch nicht anstecken, sondern bleibe in der vollkommensten Ruhe und habe nur den Einen Wunsch, daß man Frankreich theilen möge, sobald man Herr darüber wird.“Brief 4132, 94-103, KGA V/13. [Schließen] Erst am 18. Juni wird Napoleon in der Schlacht bei Waterloo endgültig geschlagen.Vgl. Büsch (Hg.): Handbuch der preussischen Geschichte, 1992, S. 71. [Schließen] In der Folge rücken preußische Truppen in die französische Hauptstadt Paris ein, die einige Tage zuvor (am 3. Juli) kapitulierte.Vgl. Büsch (Hg.): Handbuch der preussischen Geschichte, 1992, S. 72. [Schließen] Schleiermachers Freund Ludwig Gottfried Blanc hält sich in dieser Zeit in Paris auf und berichtet Schleiermacher brieflich von der Lage.Vgl. zum Beispiel Brief 4167, 48–52, KGA V/13. [Schließen] Im Jahr 1815 endet außerdem der Wiener Kongress, auf dem Europa politisch neu geordnet worden war und beruhigt zumindest vorläufig die politischen Unruhen der sehr ereignisreichen vorhergehenden Jahre.
Das politisch bedeutsame Jahr 1815 bringt Schleiermacher in neue Positionen seiner wissenschaftlichen Laufbahn. So bekleidet er im akademischen Jahr 1815/16 das Amt des Rektors der Berliner Universität, das ihn viel Zeit und Mühe kostet.Vgl. KGA III/5, S.XVII. [Schließen] Außerdem wird er zum Sekretar der philosophischen Klasse an der Akademie der Wissenschaften gewählt; Innenminister Schuckmann sorgt dafür, dass Schleiermacher in diesem Zuge seine Stellung als Staatsrat in der Unterrichtsabteilung des Ministeriums abgibt.Vgl. Brief 4116, 9f, KGA V/13. [Schließen] In einem Brief an Ludwig Gottfried Blanc vom 4. April 1815 schreibt Schleiermacher ausführlich über den Hergang seines Abschieds aus dem Ministerium und die Wahl zum Sekretar.Vgl. Brief 4129, 1f, KGA V/13. [Schließen]
In dem bereits zitierten ausführlichen Brief an Friedrich Heinrich Christian Schwarz vom 15. April berichtet Schleiermacher außerdem von den Fortschritten seiner eigenen Projekte: „Der Winter ist mir in lauter fragmentarischen Arbeiten hingegangen; ich hatte mehrere akademische Abhandlungen zu überarbeiten, die theils öffentlich gelesen, theils gedruckt werden sollten. Dann habe ich bei Gelegenheit der Vorlesungen allerlei Vorarbeiten gemacht zu meiner künftigen Edition der Paulinischen Schriften; das Größte ist, daß ich bedeutende Fortschritte gemacht habe zu einem Lehrbuch der Dialektik, das, wenn ich noch ein- oder zweimal die Vorträge gehalten habe, erscheinen soll. Jetzt arbeite ich nur an meiner Ethik und will auch den Sommer über wo möglich nichts anderes treiben, damit endlich etwas wirklich fertig werde.“Brief 4132, 60-69, KGA V/13. [Schließen]
Im Sommersemester hält Schleiermacher an der Berliner Universität zwei Vorlesungen: „Die Geschichte der Griechischen Philosophie“ und „Die theologische Moral“.Vgl. Arndt/Virmond: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, 1992, S. 311. [Schließen] Im Wintersemester 1816/16 liest er „Die Briefe Pauli an die Römer, Kolosser, Epheser, Philipper, Timotheus, Titus und Philemon“ sowie „Die praktische Theologie“.Vgl. Arndt/Virmond: Schleiermachers Briefwechsel, 1992, S. 311. [Schließen] Auch hält er die Akademievorträge „Ueber das Verzeichnis der Schriften des Democritus bei Diogenes Laertius“am 9. Januar, vgl. KGA I/11, S. XLIII. [Schließen] und „Über den Wert des Sokrates als Philosophen“.am 27. Juli, vgl. KGA I/11, S. XXIII. [Schließen]
Publiziert werden von ihm in diesem Jahr: „Ueber Anaximandros. Von Herrn Schleiermacher. Vorgelesen am 11. November 1811“in: Abhandlungen der philosophischen Klasse der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften aus den Jahren 1804–1811, Berlin: Realschulbuchhandlung 1815, S. 97–124. [Schließen], „Ueber Diogenes von Apollonia. Von Herrn Schleiermacher. Vorgelesen am 29. Januar 1811“in: Abhandlungen der philosophischen Klasse der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften aus den Jahren 1804–1811, Berlin: Realschulbuchhandlung 1815, S. 79–96. [Schließen], „Predigt am Zwei und Zwanzigsten Oktober in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin gesprochen von D. F. Schleiermacher, Berlin: Realschulbuchhandlung 1815“Vgl. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, 1992, S. 49. [Schließen] sowie „F. Schleiermacher an den Herrn Geheimrath Schmalz. Auch eine Recension, Berlin: Realschulbuchhandlung 1815“.Vgl. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, 1992, S. 49. [Schließen] Vor allem die Auseinandersetzung mit Schmalz, in der es um eine angebliche Unterwanderung Berlins durch Geheimgesellschaften geht, wird in der Folge für einige Aufregungen sorgen, die sich in das Jahr 1816 hineinziehen. Noch Ende 1815 beziehen sich viele der Briefe von Schleiermachers Freunden auf diese Auseinandersetzung.So zum Beispiel Henrich Steffens in Brief 4199, KGA V/13, Christian Gottlieb Konopak in Brief 4201, 26–37, KGA V/13 oder auch Joachim Christian Gaß in Brief 4212, 21–34, KGA V/13. [Schließen]
Privat ist das Jahr von einigen Todesfällen überschattet. So stirbt der lutherischer Theologe, Pfarrer und Professor Johann Christoph Wedeke. Auch Caroline Buttmann und Wilhelmine Luise Spalding, Frau des Georg Ludwig Spalding, finden in diesem Jahr den Tod. Erfreulicheres gibt es von Ludwig Gottfried Blanc zu berichten; dieser schreibt aus Kassel, dass er „urplötzlich in einen glücklichen Bräutigam verwandelt“ worden sei.Brief 4148, 5–6, KGA V/13. [Schließen] Es handelt sich um Charlotte Junker, „die Tochter des ehemaligen Professors Junker in Halle, ihre Mutter ist die Direktor Pollau.“Brief 4148, 38–41, KGA V/13. [Schließen] Von Mitte August bis Mitte September unternimmt Schleiermacher eine Badekur und Reise in den Harz.Vgl. KGA III/1, S. 856. [Schließen] Im Oktober schließlich berichtet Schleiermacher in einem Brief an Immanuel Bekker davon, aus dem Sommerhaus im Tiergarten wieder in seine Stadtwohnung im Pfarrhaus in der Kanonierstraße umgezogen zu sein: „Bei uns ist nun endlich auch die große Sache geschehen daß wir in die Stadt gezogen sind. Aber wirklich auch nur so eben. Kein Zimmer ist noch recht im Stande außer das meinige, wo wir heute zum erstenmal unsern Thee getrunken haben.“Brief 4178, 10–13, KGA V/13. [Schließen]
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Zitierhinweis

Überblick zu Leben und Werk Schleiermachers von 1815, erarbeitet von Johann Gartlinger. In: schleiermacher digital / Begleittexte, hg. v. den Schleiermacher-Forschungsprojekten. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S9939918 (Stand: 26.7.2022)

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