Wie die Jahre zuvor ist auch das Jahr 1812 ein politisch, wissenschaftlich und privat unruhiges Jahr. Zu Beginn des Jahres rücken weitere französische Truppen nach Preußen ein. Auch in Poseritz auf Rügen in Schwedisch-Pommern gibt es, wie Luise von Willich in einem Brief berichtet, Einquartierungen französischer Soldaten.Vgl. Brief 3737, 124–127, KGA V/12. [Schließen] Ende Februar geht Preußens König Friedrich Wilhelm III. unter französischem Druck ein Bündnis mit Napoleon Bonaparte für den von diesem geplanten Krieg gegen Russland ein und sichert Frankreich zu, „20.000 Mann als Hilfskorps für den bevorstehenden Rußlandfeldzug abzustellen“.Büsch (Hg.): Handbuch der preussischen Geschichte, 1992, S. 37f. [Schließen] Preußen erlebt das Bündnis als schwere Bürde.Vgl. Büsch (Hg.): Handbuch der preussischen Geschichte, 1992, S. 37. [Schließen]
Schleiermacher möchte auch bei einem Einmarsch französischer Truppen in Berlin und bei seiner Familie bleiben und schreibt darüber an Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten: „Ich gehe nicht weg, wenn ich nicht als Staatsdiener den ausdrüklichen Befehl dazu bekomme. Rükken die Franzosen freundlich hier ein so erscheint es mir als eine sträfliche Beleidigung des Königs, ja als eine wahre Felonie wenn ich meinen Posten verlassen wollte von der Voraussezung aus, daß er nicht im Stande sein werde seine Staatsdiener zu schüzen.“Brief 3759, 18–23, KGA V/12. [Schließen]
Im Juni beginnt Napoleons Russlandfeldzug; gleichzeitig ist Preußen wirtschaftlich und finanziell am Rand des Bankrotts. Nach anfänglichen Erfolgen muss Napoleons Grande Armée gegen Ende des Jahres allerdings den Rückzug antreten und macht große personelle Verluste. Schleiermacher beobachtet die Ereignisse und tauscht sich darüber in Briefen mit seinen Freunden aus. Er klagt über ausbleibende Fortschritte bei seinen Studien und über die unsicheren Aussichten für kommende Projekte. In einem Brief an Joachim Christian Gaß schreibt er: „Doch ich will keine Projecte weiter auskramen, es ist mir gar zu oft zu Muthe als würde hier im nächsten Semester nicht gelesen oder wenigstens nicht von mir. Gott mag wissen was noch aus unsern politischen Verhältnissen herauskomt. Mir scheint alles was geschieht so verkehrt, daß ich lieber gar nicht daran denken und mich gar nicht darum kümmern möchte.“Brief 3728, 59–64, KGA V/12. [Schließen]
Trotz seiner Bedenken beginnt am 13. April an der Berliner Universität das Sommersemester, Schleiermacher kündigt drei Vorlesungen an, zwei theologische und eine philosophische: „Die Briefe Petri, Jacobi, Judä und an die Hebräer“, „Die praktische Theologie“ und „Geschichte der Philosophie unter den christlichen Völkern“.Vgl. Arndt / Virmond: Schleiermachers Briefwechsel, 1992, S. 307. [Schließen]
Auch das Wintersemester kann stattfinden, in diesem trägt Schleiermacher ab dem 19. Oktober erneut drei Vorlesungen vor, zwei theologische und eine philosophische: „Das Evangelium und die Episteln Johannis“, „Die Dogmatik“ sowie „Das System der Sittenlehre“.Vgl. Arndt / Virmond: Schleiermachers Briefwechsel, 1992, S. 308. [Schließen]
Am Ende des Jahres arbeitet Schleiermacher an „Compendien der Ethik und Dogmatik“, wie er Gaß in einem Brief mitteilt.Brief 3816, 59, KGA V/12. [Schließen] Mit diesem tauscht er sich außerdem über Fragen der Kirchenverfassung und der kirchlichen Schulaufsicht aus, wie sie Gaß als Konsistorialrat in Breslau beschäftigen, etwa über die richtige Einrichtung von Schulrevisoren und die Einführung einer Synodalordnung.Vgl. Brief 3810, 3–28, KGA V/12 und Brief 3811, 14–62, KGA V/12. [Schließen] Auch korrespondiert er mit Karl August Freiherr von Hardenberg über den Ausbau eines Landschullehrer-Seminariums in Havelberg.Vgl. Brief 3813, KGA V/12. [Schließen]
Privat ist das Jahr vor allem von der Geburt von Schleiermachers Tochter Hanna Gertrud geprägt, die am 12. Februar zur Welt kommt. Viele Freunde nehmen Anteil an der Geburt, an Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten schreibt er: „Meine Frau hat am 12ten Februar ein zweites Töchterchen leicht und glüklich geboren und befindet sich mit dem Kinde sehr wohl.“Brief 3759, 49–50, KGA V/12. [Schließen] Am 30. März findet die Taufe von Hanna Gertrud Schleiermacher in der Kanonierstraße 4 statt.Vgl. KGA III/1, S. 847. [Schließen] In der zweiten Jahreshälfte, in Russland wird bereits gekämpft, unternimmt Schleiermacher eine Reise nach Rügen mit Stationen in Greifswald, Stralsund, Götemitz, Sissow, Garz und Jasmund. Offenbar ist er von Ende August bis Anfang Oktober nicht in Berlin.
Seine Predigttätigkeit verläuft ohne größere Besonderheiten; am 10. Juni hält er um 9 Uhr einen Sondergottesdienst zur Stadtverordnetenwahl in der Dreifaltigkeitskirche.Vgl. KGA III/1, S. 847. [Schließen] Insgesamt sind aus dem Jahr 1812 weniger Briefe überliefert als aus den Jahren zuvor und auch danach.
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Zitierhinweis

Überblick zu Leben und Werk Schleiermachers von 1812, erarbeitet von Johann Gartlinger. In: schleiermacher digital / Begleittexte, hg. v. den Schleiermacher-Forschungsprojekten. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S9939915 (Stand: 26.7.2022)

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