Als erster Briefpartner Schleiermachers im neuen Jahr gratuliert ihm Philipp Wilhelm Wolf zur jüngst erfolgten Veröffentlichung seines Buches Kurze Darstellung des theologischen Studiums , das im Verlag der Realschulbuchhandlung seines Freundes und Verlegers Georg Reimer in Berlin erscheint. Der seit 1810 als Superindendent in Zossen wirkende Wolf schreibt in seinem Brief vom 17. Januar 1811, den er zusammen mit seiner Frau Ena verfasste: „Welch eine Freude würdiger Mann und Freund, hat mir Ihre freundliche Sendung vom 30sten vorigen Monats gemacht! Die Verkündigung einer doppelten Vaterschaft, und den männlichen Neugebornen mir sogleich zugeschickt!“Brief 3578, 3–6, KGA V/12 [Schließen] Wie aus den nachfolgenden Zeilen ersichtlich wird, ist mit dem weiblichen Neugeborenen Schleiermachers Tochter Clara Elisabeth gemeint, die am 24. Dezember 1810 zur Welt kam. Eine etwas andere Reaktion erhält Schleiermacher im Sommer 1811: Sein langjähriger Briefpartner Ludwig Gottfried Blanc, der zu dieser Zeit Domprediger in Halle war, schreibt ihm: „Ihre Kurze Darstellung habe ich zwar mit Vergnügen gelesen aber es ist mir dabei zu Muthe als hätte ich eine Grammatik zu einer Sprache in welcher mir die Bücher fehlten.“Brief 3677, 67–69, KGA V/12 [Schließen]
Schleiermachers Briefwechsel des Jahres 1811 ist reichhaltig und vielfältig. Die häufigsten Briefwechsel finden im privaten Bereich statt, wovon insbesondere die Korrespondenz mit seiner Frau Henriette (während seiner Schlesienreise), mit seiner Schwester Charlotte sowie mit seiner auf Rügen lebenden Brieffreundin Charlotte Kathen zeugen. Darüber hinaus schreibt sich Schleiermacher 1811 häufig mit seinem langjährigen Kollegen und Brieffreund Joachim Christian Gaß, der in diesem Jahr eine Professur für systematische und praktische Theologie an der im August neu eröffnenden Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau antritt – diese Neueröffnung ist ein bildungspolitisches Ereignis, das den Briefwechsel Schleiermachers von 1811 prägt wie kein anderes. Gaß, aber auch seiner Schwester Charlotte sowie seiner Brieffreudin Luise Reichardt schreibt Schleiermacher indessen von den ihn seit Neujahr plagenden Magenkrämpfen, die er u.a. durch magnetische Kuren (nach Mesmer) behandeln lässt.Vgl. Brief 3630, 23–26, Brief 3646, 1–10, Brief 3647, 1–10, Brief 3664, 1–8, KGA V/12 [Schließen] Aber auch mit seinem guten Bekannten aus der Hallenser Zeit Henrich Steffens, mit Christian Gottlieb Konopak und mit Wilhelm Christian Müller führt Schleiermacher einen regen Briefwechsel.
Schleiermachers Reisetätigkeit konzentriert sich 1811 auf eine knapp dreiwöchige Reise nach Schlesien während der vorlesungsfreien Zeit von Ende Semptember bis Anfang Oktober. Er besucht die Orte seiner Kindheit und Jugend wie Niesky und Gnadenfrei, wo er u.a. seine Schwester Charlotte, seinen Bruder Carl und seinen Jungendfreund Albertini trifft. Er durchreist Löwenberg, Hirschberg, Schmiedeberg und Landshut und gelangt schließlich in seine Geburtsstadt Breslau, in der er vier Tage verbringt. Er hält dort eine Predigt, schreibt seiner Frau Henriette und trifft sich mit Bekannten wie Joachim Christian Gaß und dem Altphilologen Ludwig Friedrich Heindorf, der im Sommer an die neue Universität Breslau wechselt.
Aufgrund seiner Tätigkeit als Prediger und Mitglied des Kirchenvorstandskollegiums an der Berliner Dreifaltigkeitskirche wird Schleiermacher in der ersten Sitzung des Vorstandskollegiums im Februar zu den Verantwortlichen für die Orgelreparatur und die Instandsetzung der Kirche ernannt. Vgl. Kurt Nowak: Schleiermachers Leben, Göttingen 2001, S. 211  [Schließen] Schleiermacher predigt in diesem Jahr regelmäßig an der Dreifaltigkeitskirche, zudem veröffentlicht er im Magazin für Prediger eine Predigt, die er zum Karfreitag 1809 gehalten hatte sowie die Taufpredigt für seine Tochter Clara vom 18. Februar 1811.Vgl. Bibliographie der Schriften Schleiermachers, bearbeitet von Wichmann von Meding, Berlin / New York 1992 (Schleiermacher-Archiv Bd. 9), S. 37, 239 [Schließen]
Als frisch gewähltes Mitglied der philosophischen Klasse hält Schleiermacher am 7. Januar seinen ersten wissenschaftlichen Vortrag an der Akademie der Wissenschaften mit dem Titel „Über Diogenes von Apollonia“, am 11. November folgt der Vortrag „Über Anaximandros“. Beide im engeren Kreis der Mitglieder vorgestellten Akademieabhandlungen werden 1815 in den Jahrbüchern der Akademie veröffentlicht und im Unterschied zu anderen seiner Abhandlungen von Schleiermacher selbst autorisiert.Vgl. KGA I/11, XXIII, XXX–XXXII [Schließen] Weil sie die vorsokratische Philosophie behandeln, stehen beide Vorträge in einem Kontext sowohl mit Schleiermachers Vorlesungen über die antike griechische Philosophie, die er in Halle geplant und 1807 erstmals in Berlin durchgeführt hatte, als auch mit seiner Monographie Herakleitos der dunkle, aus Ephesos von 1808.Vgl. KGA I/6, S. XXIX–XXX [Schließen] In beiden Akademievorträgen bringt Schleiermacher seine bereits in den Platonübersetzungen erprobten altphilologischen Kenntnisse ins Spiel und diskutiert die Philosopheme der Vorsokratiker in kritischer Rücksicht auf antike Zeugnisse. Die Diskussion der überlieferten Textzeugen des Diogenes in Bezug auf die ionischen Philosophen fand Beachtung in der altphilolgischen Forschung seiner Zeit.Vgl. KGA I/11, XXX–XXXII [Schließen]
Schleiermachers im Oktober 1810 begonnenen Vorlesungen an der Berliner Universität über die „Encyclopädie der theologischen Wissenschaften“, über die „Schriften des Lukas“ und über die „Hermeneutik“ setzt er im Januar 1811 fort und schließt sie im März ab. Im April beginnt er seine Kollegien des Sommersemesters 1811 und debütiert mit seiner ersten Vorlesung über die „Dialektik“, die nach der philosophischen Ethik, der Geschichte der Philosophie und der Staatslehre die vierte philosophische Disziplin ist, für die Schleiermacher einen Vorlesungszyklus ausarbeitet.Vgl. KGA II/10, VIII–X [Schließen] In der von ihm bereits länger geplanten Vorlesung stellt er seine Überlegungen über die Grundlagen des philosophischen Denkens erstmals einem größeren Publikum vor, wohl nicht zuletzt auch in der Absicht, ein Alternativprogramm zur Wissenschaftslehre anzubieten, die sein Berliner Kollege Johann Gottlieb Fichte bis zum seinem Tod 1814 an der philosophischen Fakultät regelmäßig lehrte.Vgl. Wolfang Virmond (Hg.): Die Vorlesungen der Berliner Universität 1810–1834, Berlin 2011, S. 9, 19, 31, 53, 74 [Schließen]
Im Rahmen seiner Tätigkeit in der Sektion für den öffentlichen Unterricht beim preußischen Innenministerium, für die er sich mit dem Elementarschulwesen und der Lehrerbildung beschäftigt, übernimmt Schleiermacher im Herbst 1811 das Ressort für die Seminarangelegenheiten der Kurmark von Johann Wilhelm Süvern. In dieser Funktion kritisiert er einen Entwurf der Umstrukturierung des kurmärkischen Schullehrerseminars, den Ludwig Natorp am 15. November eingereicht hatte; Schleiermacher verlangt von Natorp einen Neuentwurf unter Berücksichtigung der von ihm aufgezeigten Probleme.Vgl. KGA II/12, XXXII–XXXIII [Schließen] – Wiederum in der Funktion des preußischen Wissenschaftsorganisators, in Hinblick auf eine zu besetzende Professur der Medizin (Chirurgie) an der neuen Universität Breslau, schreibt Schleiermacher Ludwig Friedrich von Froriep, ob er nicht gewillt sei, diese Professur alsbald zu übernehmen.Vgl. Brief 3714, 9–13, KGA V/12 [Schließen] Der zunächst in Halle lehrende Froriep erfuhr dort zunächst ein ähnliches Schicksal wie Schleiermacher: Nach der von Napoleon erwirkten Schließung der Universität musste er eine neue Existenz gründen; Froriep hielt sich dann zeitweise in Berlin auf, wo die Gründung der Universität vorbereitet wurde, bevor er 1808 eine Berufung auf eine Professur für Chirurgie und Geburtshilfe an der Universität Tübingen annahm, aufgrund derer er das Angebot Schleiermachers ausschlug.
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Zitierhinweis

Überblick zu Leben und Werk Schleiermachers von 1811, erarbeitet von Holden Kelm. In: schleiermacher digital / Begleittexte, hg. v. den Schleiermacher-Forschungsprojekten. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S9939914 (Stand: 26.7.2022)

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