Schleiermacher führt Anfang des Jahres seine 1808 begonnenen Vorlesungen zur
Staatstheorie und Glaubenslehre weiter,
setzt die Übersetzungsarbeiten an den Platonischen Dialogen und der
Republik
ebenso fort
wie seine Lektüresitzungen mit Heindorf
und bleibt fleißiger Hörer der Mineralogie-Vorlesung Karstens.
Der Fortgang der Übersetzungstätigkeit, die anfängliche Übersetzung, Revision,
Einleitung und Anmerkungsredaktion, lässt sich anhand der Notizen im Tageskalender
gut verfolgen.
Schleiermacher arbeitet am
Phädon
(Januar, August),
Philebos
(Januar, Februar, März, August),
Menexenos
(Juli, August),
Kleitophon
(März, Juli, August),
Theages
(März),
Anterastai
(d.i. Nebenbuhler, wird heute nicht mehr zu den
Plantondialogen gezählt, März, April),
Alkibiades
(Juni, Juli),
Hippias
(Juli, August)
und an der
Republik
(Oktober, November, Dezember).
[Schließen] Erst ab Oktober sind wöchentliche Sitzungen der griechischen Gesellschaft
notiert, in der Schleiermacher Mitglied war. Die Idee einer ethischen Vorlesung für Frauen,
die Schleiermacher in seinen Briefen mit Henriette
von Willich entwickelt, setzt Schleiermacher laut Tageskalender ab Juni bis Ende des Jahres in regelmäßigen
ein- bis zweiwöchentlichen Sitzungen in die Tat um. Hierzu sind keine Aufzeichnungen
Schleiermachers oder Nachschriften überliefert.
Im Wintersemester (ab November) bietet er wieder zwei Vorlesungen für
Studierende an („Christliche Sitte“ und „Die allgemeinen
Grundsätze der Auslegungskunst“),
und wie im letzten Winter wird er selbst wieder zum Hörer, dieses Mal in der
Vorlesung von Friedrich August Wolf über die
Aristophanische Komödie Die
Wolken
,
Vgl. Köpke,
Die Gründung der Königlichen
Friedrich-Wilhelms-Universität
, 1860, S. 141. [51] sowie Brief 3208, KGA V/11.
[Schließen] zu der Schleiermacher einige Notizen in seinen Tageskalendern 1808 und 1809
macht. Abgesehen von der regen Übersetzungstätigkeit und den Vorlesungen ist das Jahr
1809 kein wissenschaftlich besonders produktives Jahr. Umso aktiver ist Schleiermacher wissenschaftspolitisch engagiert. Erste
Sondierungsgespräche für die neu zu besetzenden Professuren beginnen, die die im
Briefwechsel, aber auch im Tageskalender notierten häufigen Treffen mit Uhden und Humboldt
im Herbst und Winter des Jahres 1809 anzeigen.
Zugleich scheint die Aussicht auf eine baldige Gründung einer Universität in Berlin immer wieder ins Wanken zu
geraten;
Schleiermacher teilt die von Alexander von
Dohna stammenden Informationen
Vgl. Brief 3208, KGA V/11. [Schließen] in einem Brief an seine
Braut mit.
„Aber einen andern Brief habe ich heute bekommen der mir sehr im Kopf
herumgeht, und weil ich Dir nichts dergleichen verschweigen kann so muß ich Dir
auch seinen Inhalt anvertrauen aber für Dich allein.
Es zieht sich eine Wolke über unsere nächste Existenz zusammen durch die
ich noch nicht durchsehn kann. Alexander
schreibt mir daß die Errichtung der hiesigen Universität wieder ungewiß geworden ist durch das Einreden einiger
Leute die es für bedenklich oder gefährlich halten;
auch protestirt er aufs Neue gegen das
Zusammenwohnen unserer Freundin mit uns.“
(Brief 3203, 86–94, KGA V/11).
[Schließen]
Schleiermacher erwägt daher offenbar auch die Möglichkeit einer Anstellung
in Königsberg, die er Wilhelm von Humboldt
mitteilt, der am 17.7.1809 mit einem finanziellen Angebot antwortet,
um Schleiermacher in Berlin zu
halten.
„Ihre beinah sich regende Lust nach Königsberg zu kommen, erschrekte mich, und ich eilte also, wenigstens von meinem Theile
beizutragen, Ihre Lage in Berlin mehr zu
sichern.
Wie denn diese irdischen Dinge hier immer etwas langsam gehen, so bin ich
erst jetzt damit zu Stande gekommen, und Sie wissen vielleicht schon durch Dohna,
daß Ihnen der König auf den Antrag der
Section 500 r. Wartegeld bis Sie Gehalt von
der Berliner Universität haben können,
ertheilt hat.
Da ich die CabinetsOrdre, die nun erst
Gott weiß! welche Wege macht, noch nicht in Händen habe, bitte ich Sie, noch nicht
davon zu reden. Andere 500 r. hoffe ich Ihnen in wenigen Wochen als Mitglied der Wissenschaftlichen Deputation zu schaffen und so ist denn von mir, was jetzt möglich
war geschehen. Mehr verbietet die wirklich traurige Lage.“ (Brief 3295, 4–16, KGA
V/11). [Schließen]
Privat steht der Anfang des Jahres 1809 ganz in Erwartung der bevorstehenden
Reise nach Rügen, der Hochzeit mit Henriette von Willich
und des Umzugs des Paares mit den beiden Kindern aus erster Ehe nach Berlin
.
Schleiermacher bereitet vor der Reise die zukünftige gemeinsame Wohnung in
der Kanonierstraße, dem Pfarrhaus der
Dreifaltigkeitsgemeinde, vor,
in dem anfangs für eine Übergangszeit auch noch die Witwe seines Vorgängers samt
Tochter wohnen werden.
Vgl. Brief 3077, 78–89, KGA V/11. Auch Henriette
Herz überlegt zeitweilig, in den Haushalt mit einzuziehen und gibt
Tipps zur Aufteilung der Zimmer (vgl. z.B. Brief 3184, 33–35, KGA V/11).
Der Freund Joachim Christian Gaß
kümmert sich, während Schleiermacher auf Rügen ist, um die letzten noch auszuführenden Arbeiten in der
Wohnung, vgl. Brief 3230, 15–31, KGA
V/11.
[Schließen]
Ende April bricht Schleiermacher mit seiner Halbschwester Anne (Nanny) nach Rügen auf und trifft, wie im Vorjahr die Orte fast täglich wechselnd,
seine Rügener Freunde.
Nach der Hochzeit scheint der Umzug durch die Schillsche Besetzung von Stralsund womöglich gefährdet,
jedoch rät Leopold von Lützow anscheinend
zur Fahrt.
Nach der Ankunft in Berlin
und dem Beginn des gemeinsamen Lebens
unternimmt die Familie zusammen mit Henriette
Herz und Schleiermachers Halbschwester Anne
(Nanny) Anfang September bis Mitte Oktober eine Reise nach Schlesien.
Schleiermachers Frau lernt seine
Verwandten und Freunde kennen
und Schleiermacher nutzt die Gelegenheit zu einem Treffen mit Freiherr von und zum Stein in Troppau
. Für Aufregung sorgt die kurze aber heftige Krankheit der
beiden von Schleiermachers Frau mit in die Ehe
gebrachten Kinder
.
Auch Schleiermacher wird das ganze Jahr
über immer wieder von Krankheiten geplagt, er klagt über „Flußfieber“, Zahnschmerzen
und Magenleiden. Auch für das Jahr 1809 notiert Schleiermacher ausführlich seine
abendlichen Lektüren, zum Teil im Kreis der Familie und Freunde. Gelesen wird im Januar und Februar die
Odyssee
mit seiner Halbschwester Anne (Nanny),
Vgl. z.B. Brief 3008, 12–14, KGA V/10. [Schließen]
ferner die
Aeneis
,
sodann ab April bis zum Jahresende immer wieder Werke von Goethe
, aber auch von Fouqué
,
Wieland
,
Lessing
,
Friedrich Schlegel
und
Shakespeare
. Auch Aktivitäten in der Berliner Singakademie, die im Tageskalender 1808 kaum Niederschlag finden,
werden 1809 akribisch verzeichnet. Neben den regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen am
Dienstag oder am Montag nahm Schleiermacher auch Singstunden, die am Montag, Mittwoch
und Sonnabend stattfanden.Schleiermacher begann diese Singstunden
laut Tageskalender am 21.1.1809 und nutzte zeitweilig alle drei wöchentlichen
Termine. [Schließen]
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