Rostock den 14ten Oct. 1810.

Es ist nun entschieden, lieber Freund, ich gehe nach Königsberg. – Wie diese Worte so ruhig da stehen! Nicht die geringste Spur an ihnen von der Bewegung, mit welcher ich sie hinschrieb! Ja, lieber Schleiermacher, ungeachtet mancher Verschiedenheiten in den Verhältnissen ist mir jetzt beynahe eben so zu Muthe, wie vor drey Jahren, als ich Halle verließ, und in Hinsicht auf die Entfernung gehe ich nach Königsberg mit noch größerer Verzichtleistung. Mögen Sie mir von dieser Entfernung sagen, was Sie wollen, was durch sie unmöglich, oder in einem hohen Grade erschwert wird, bleibt dessen ungeachtet unmöglich, oder in einem hohen Grade schwer. Mit Freuden richte ich daher den Blick auf eine freylich ungewisse Aussicht, die Sie mir eröffnet haben: es könne Königsberg mir ein Uebergangsort nach Berlin – lassen Sie mich hinzusetzen, um eine Möglichkeit mehr aufzustellen, nach Frankfurt – werden. Oder noch besser: in einem halben Jahre, denn so lange muß ich noch hierbleiben, kann sich Manches verändern. Setzt mich, wenn eine Veranlassung dazu eintritt, ohne Weiteres nach Berlin oder nach Frankfurt hin und wählt für Königsberg einen Andern. Dann bin ich näher den Freunden, bin näher den Ländern, die mit schöner Natur geschmückt sind, was mir unbeschreiblich viel gilt. | 34v

Lieber ginge ich gleich diesen Augenblick fort, als nach einem halben Jahre. Das Klagen und Weinen der hiesigen Freunde zerreißt mir das Herz. Jeder Besuch, den ich ihnen von nun an mache, ist leer von(?) Freuden des Wiedersehns und doch führt jeder Abschied alle Schmerzen der Trennung mit sich. Es wird ein schweres halbes Jahr werden und wie ich alle meine Arbeiten abfertigen soll, das weiß ich nicht.

Es ist mir, als gehe ich einem verhängnißvollen Schicksal entgegen. Was steht vielleicht Königsberg bevor!  Vgl. Brief 3511. [Schließen] Wie mir der Gedanke an die Nachbarschaft nicht wohl thut, darauf habe ich schon in einem andern Briefe hingedeutet. Und wie, wenn nun ein neuer verderbender Krieg ausbräche zwischen Frankreich und Rußland ? Ich verberge mir nicht, was gegen diese Besorgniß spricht, aber ich kann auch nicht als durchaus keine Beachtung verdienend hinweg werfen manches Einzelne, worauf man sie gründet. Vielmehr mir ist ein Krieg, ein naher Krieg, wahrscheinlich. Und was könnten seine Folgen auch für Königsberg seyn!

  Vgl. Brief 3509. [Schließen] Ich komme auf Ihren letzten Brief. Mir sind einige Aeußerungen darin zu wichtig, als daß ich mich darüber nicht besonders erklären sollte. Sie sagen, Sie können Unterhandlungen der bewußten Art nicht im Allgemeinen für etwas Verwerfliches halten; sie seyen dieß nur in dem Maße, als bey der Entscheidung eigentlich nur innere Bewegungsgründe dominiren sollten. Dieß  | 35 sey, da ich so wenig innerlich Bestimmendes für Königsberg als gegen Rostock habe, mein Fall durchaus nicht. Ich gestehe Ihnen, lieber Schleiermacher, daß es sich nicht ganz so verhält. Ich habe innerlich Bestimmendes für Königsberg gehabt. Mein Beruf wird mir dort genügender seyn; ich werde nicht so, wie hier, an Muße zum Studiren darben. Aber dennoch tadle ich mich nicht, nicht sogleich zugegriffen zu haben. Die Sache hat mehrere Seiten. Andres Innere, wenn gleich vielleicht nur ein gefürchtetes, ist gegen Königsberg, anderes Innere für Rostock gewesen. Und müssen denn meine Unterhandlungen mit der Regierung auf etwas bloß Aeußeres gerichtet gewesen seyn, und kann ferner, was für den Einen bloß als ein Aeußeres in Betrachtung kommt, nicht für den Andern mit einem Innern in einer so engen und nothwendigen Verbindung stehen, daß es dadurch selbst den Character eines Innern bekommt?    Vgl. Brief 3509.  [Schließen] Sie sagen ferner, es scheine Ihnen, als ob man sich gegen eine anbietende Regierung in ein bestimmtes Verhältniß setze, wenn man zu dem Angebotenen sich noch besondere Bedingungen mache und diese gewährt werden.   Dieß kann einzig auf das Reisegeld sich beziehen. Ich habe von meinem Schreiben an Sie und an die Section keine Entwürfe zurück behalten und kann daher den Buchstaben hier nicht anführen.  Vgl. Brief 3443. [Schließen]Aber getrosten Muthes verweise ich Sie auf jenes Schreiben, in welchem ich von dem Reisegelde sprach und fordre Sie auf es nachzulesen. Dem Sinne nach, und zwar dem deutlich ausgesprochnen Sinne nach,  | 35v werden Sie finden, muß darin stehen, für den Fall, daß ich den Ruf annehmen sollte, würde ich mir wohl ein größeres Reisegeld erbitten müssen. Nicht aber ist hiervon als von der Bedingung einer gewissen Annahme der angebotenen Stelle die Rede gewesen. Das ist durchaus unmöglich. Selbst nur versteckt oder zweydeutig kann der Sinn nicht gewesen seyn. Das ist eben so unmöglich. Ich würde dadurch, was ich nicht kann, in einen vernichtenden Widerspruch mit mir gerathen seyn. Ich verkenne es nicht, daß Sie verschiedene Erklärungen des nur halb im Gedächtniß Aufbewahrten suchen, bey welchen ich schuldlos erscheine; aber Sie schwanken doch, und das thut mir wehe. Vor anderthalb Jahren – ich darf ja das hier wohl anführen – erging eine Anfrage an mich für Greifswalde, unter Bedingungen, die um ein Bedeutendes vortheilhafter waren, was die fixe Einnahme betrifft, als mein jetziger Ruf nach Königsberg . Man schrieb mir zugleich, nach der dortigen Einrichtung dürfe man Niemanden präsentiren, der nicht auf die vorläufige Anfrage sich verpflichte, falls der wirkliche Ruf an ihn ergehen sollte, ihn anzunehmen, und forderte mich daher zu einem gleichen Versprechen auf. Ich antwortete, daß ich zur Zeit mich hierzu nicht anheischig machen könnte, indem ich erst noch mit meiner Regierung in Unterhandlungen treten wollte. Noch vor einer Antwort von Greifswalde beschied diese mich, daß wegen des dermahligen Zustandes der Finanzen sie mir keine Zulage bewilligen könne.

Nun schrieb man mir aus Greifswalde, ich möchte nur das bewußte Versprechen leisten; es  | 36 verstünde sich von selbst, daß, wenn nachher besondere Umstände gegen die Annahme des Rufs sich ereigneten und ich ihrerwegen ihn ausschlüge, man mich nicht verantwortlich machen würde. Sie sehen wohl, daß man mir hier nicht undeutlich zu verstehen gab, was jene unvernünftige Einrichtung gewisser maßen nothwendig mit sich führt, es nämlich mit der Wahrhaftigkeit so gar genau nicht zu nehmen. Ich schrieb wieder – denn Mehrere hatten mich noch um einen Antrag bey der Regierung gebeten – daß weil ich in diesem Augenblick noch nicht gewiß wüßte, ob ich einen Ruf annehmen würde, ich mich unmöglich schon zur Annahme anheischig machen könnte. Nun erfolgte von dort her kein weiterer Antrag; meine Regierung schlug das neu Gebetene auch ab, und ich entbehrte sowohl der bessern Stelle in Greifswalde, als einer Entschädigung in Rostock. Gar leicht hätte ich mir hier eine Thüre offen halten können; aber ich verschmähte es, weil ich nicht falsch seyn mochte.

Genug über diesen mir unangenehmen Gegenstand!

Der Wunsch, Rostock mit einer andern Universität umzutauschen, hat mich noch nie verlassen. Die Kasten in welchen ich vor drey Jahren meine Sachen hergeschafft habe, stehen noch alle da. So lange ich nicht wußte, ob Ihr überhaupt für eine Eurer Universitäten mich haben mochtet, habe ich keinen Schritt zur Erreichung je | 36vnes Wunsches gethan. Ich bin beides, zu bescheiden und zu stolz dazu. Nun Ihr aber für Königsberg Zutrauen zu mir bewiesen – mit welcher Universität der Tausch freylich nicht in meinen Wünschen lag – nun nehme ich keinen Anstand, Euch zu bitten, setzt mich gleich nach Berlin, oder nach Frankfurt hin, oder wenn Ihr das nicht könnt, so ruft mich wenigstens bey erster vorkommender Gelegenheit hin. Das kann ich Euch ohne Zudringlichkeit, ohne Anmaßung und Unbescheidenheit bitten. Denn glaubt Ihr, ich könne auf der einen Universität gutes wirken, so müßt Ihr dieß Zutrauen auch für die übrigen zu mir haben; denn für jede derselben müßt Ihr doch das Beßte bewirken wollen.

Mit dem Reisegelde, wenn nicht etwa noch bis dahin die Umstände sich so ändern, daß ich mit einer sichern Gelegenheit meine Sachen zu Schiff abschicken kann, habe ich mich sehr versehen, wahrscheinlich wenigstens. Nach vorläufig eingezognen nähren Erkundigungen wird mir die Reise wahrscheinlich weit über 400 r zu stehen kommen, was mich wenigstens für den Anfang meiner neuen Laufbahn in Verlegenheit setzen könnte. Wie ich jedoch hierüber noch keine völlige Gewißheit habe, so werde ich auf keinen Fall mit neuen Anträgen wegen des Reisegeldes einkommen. Aber die Frage will ich gleich vorläufig der von mir zu treffenden Einrichtungen wegen thun, ob mir das Reise | 37geld hierher geschickt, oder erst nach meiner Ankunft in Königsberg an mich ausgezahlt wird.

Ueber einen Punkt, Königsberg betreffend, muß ich mich noch erklären. Mir ist erzählt worden, es sey sonst wenigstens dort Sitte gewesen, daß ein neu angestellter Professor sich zu einem Colloquium habe stellen, Probevorlesungen halten müssen und dergleichen. Dergleichen, besonders wenn von einem Manne die Rede, der in einem solchen Amte, noch dazu in demselben Staate, schon angestellt gewesen ist, finde ich seiner unanständig, und ich muß mich bestimmt gegen Alles erklären, was irgend den Schein eines Examens hat. Auch scheint mir darin ein Meistern der rufenden Behörde zu liegen, wenn man über denjenigen, welchem sie ihr Vertrauen geschenkt hat, noch irgend eine Art von Prüfung sich anmaßen will. Sollte daher eine solche Sitte dort noch Statt finden, so wäre es mir lieb, wenn Sie deshalb das Nöthige dieser meiner Erklärung gemäß einleiten wollten, damit es nicht gleich anfänglich zwischen mir und meinen neuen Collegen zu einem Zwist komme.

  Schleiermachers Reise nach Dreden im September 1810 [Schließen] Gern läse ich einst etwas über Ihre letzte Reise. Finden Sie bey Ihren vielen Geschäfften,  | 37v von welchen die Götter geben mögen, daß Sie nicht zu sehr dem Publicum entzogen werden, einmahl ein Viertelstündchen Muße, so schenken Sie mir es freundlich und denken Sie, daß es auch ein wenig zu meiner Aufheiterung beyträgt. Mit diesem Briefe geht zugleich ein Schreiben an die Section ab, mit der erklärten Annahme der angetragenen Professur.

Adieu, mein lieber Freund. Viele Grüße an die Ihrigen.

Konopak.

  Am 14.10.1806 fand die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt statt. [Schließen]Heute vor 4 Jahren!

Zitierhinweis

3525: Von Christian Gottlieb Konopak. Rostock, Sonntag, 14. 10. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007354 (Stand: 26.7.2022)

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