Gndfry d 10t Aug 1810

Wahrscheinlich wird mein Brief an die Herz eben zu der Zeit dort angekomen seyn, als du mein Lieber   Vgl. Brief 3479. [Schließen]den deinigen abschiktest – ich war in der That über Euer gemeinschaftliches Schweigen etwas besorgt – dazu kam noch die weiche Stimung in welche ich durch das zwar erwartete und zum Theil auch wirklich gewünschte Ende meiner guten Sell versezt wurde – welches mir aber doch sehr schmerzlich ist – je mehr Erfahrungen man miteinander durchgeht je vester und inniger wird der Knoten der nach und nach geschlungen wurde würde sie nicht ganz beßer – und möglichst stark – so wäre ihr Zustand immer peinlich gewesen – da er das Glük der Ehe zu sehr mit der höchsten Sinlichkeit verband – wie der Mann aber diesen Verlust empfindet und beweint – wie er sich gewaltsam zu den  Kinder aus erster Ehe der Helene von Sell [Schließen] Kindern hingezogen fühlt – auch der  Emilie von Seidlitz [Schließen] Emilie einen sehr schönen Brief zu ihrem Geburtstag vor einigen Tagen geschrieben – und Geschenke damit verbunden wie sehr er jede Zeile  Moritz von Schweinitz, Vater der Helene von Sell [Schließen]des Alten von Schweiniz  ohne Klammer mit Einfügungszeichen am linken Rand [Schließen](von welchem doch wirklich gar nichts zu hoffen ist denn arm sind sie Alle in der familie) | 8v schäzt – und wie er kaum den September erwarten kan um nach Sachsen zu reisen, und dort ihn und alle Verwandten kennen zu lernen – das ist doch immer viel – da des Alten Briefe sehr geistlich geschrieben sind – mir schrieb Sell am KrankenBette seiner Frau einige Tage ehe ich sie mit den Kindern besuchte einen herzlichen Brief – dankte mir für, alles, und meldete mir daß die Vormünder nach Beider Wunsch mich nach Möglichkeit bedacht hätten – sey es auch nur eine Kleinigkeit – so ist es doch ein Zeichen eines dankbaren Herzens da ich von der alten Seidliz auch nicht einen Heller – sondern blos 2 alte Kleider erhielt – ich werde es erst gegen Michaely erfahren wenn alles entsiegelt und berichtiget wird, – ich sehe dich schon lächeln; als wolte ich dir dadurch zu verstehen geben ich brauchte dein liebevolles Anerbieten nicht – womit du mich durch und durch gerührt und beschämt hast – nein – mein Bester dieses wird gleich bekant, und ich werde es  | 9 bald der guten  Friederike Elisabeth Beate Louise Gräfin von Posadowsky [Schließen] Comtesse zu den 30 Thalern  ohne Klammern mit Einfügungszeichen am linken Rand [Schließen](es werden höchstens nur 10 Thaler sein oder wenns hoch komt 20.) geben müßen – die noch von den alten Zeiten und Sünden zurükgeblieben sind – Für jezt mein guter lieber werkthätig theilnehmender Bruder und Freund – sind alle kleinen Stübchen besezt – mit jungen Schwesterchens die zwar einzeln wohnen – aber täglich ihre Freundinnen bey sich haben – dann giebt es noch einige ehrwürdige Alte die ihrer Ruhe pflegen – so daß ich dieses Jahr keine Möglichkeit sehe – eine kleine Zelle zu bekommen so sehr ich es auch wünsche da ich das Wohnen unter Vielen seit 7 Jahren sehr entwohnt bin auf den Winter werde ichs noch weit mehr empfinden – denn jezt geh ich öfters wenn es das Wetter erlaubt (wir haben leider sehr viel Regen) mit meinem StrikStrumpf in den Garten; vielleicht findet sich künftiges Jahr etwas wenn etwa eine der Alten in die obere Gemeine versezt würde – ich will mich unterdeß dazu melden – wenn ich auch die aller kleinste Zelle bekomme – denn mit jemand zusamen ist sehr schwierig – wegen den besondern  | 9v Verhältnißen worinn die Jugend steht – dazu komt noch – daß diese alle ClavierStunden den pensions auf ihrem Zimmer geben – welches nichts weniger als angenehm – so sehr ich auch sonst die Music liebe. Wenn du aber mein Bester, ohngeachtet zu der Erfüllung Deines liebevollen Wunsches noch keine Aussicht ist – doch etwas von dem mir zugedachten geben köntest und woltest – so würdest Du deiner alten Lotte eine große Wohlthat erweisen – da ich besonders im Winter wegen der peinlichen Kälte in meinen innern theilen, doch verschiedne Bedürfniße habe – mir irgend eine Erquikung zu verschaffen – ich habe nun bey möglicher Sparsamkeit – da ich mir nie was zu eßen kaufe – weil mir auch selten was mundet – sondern mich blos an gutes Bier halte – welches aber doch auf den Winter sich ändern dürfte – ganz ordentlich ausgerechnet – daß ich Monatlich 6 rthr Münze brauche macht Vierteljährig 18 – wovon ich mir 8 auch jezt schon recht gut verdienen kan – wenn du also mein Bester mir 10 zukommen laßen woltest,  | 23 wenn es Dir möglich – und gewiß nicht schwer fällt – wäre es mir sehr lieb – weil jezt auch keine Vermehrung meiner Schulen möglich – denn an jene große Summe kann ich nicht ohne Thränen denken – weil ich fürchte daß du selbst – oder Irgend Jemand darunter leiden könte – mit 40 Thaler Münze könt ich dann auch wohl im Winter das Lesegeld besorgen – im Sommer bedarf ich es nicht – überdis schrieb Korn lezt, ich möchte ihm die Suma von 5 Thaler 17 Silbergroschen Courant übermachen – weil du es ihm nicht abgeschrieben hättest – dis konte ich aber noch nicht weil ich zu wenig habe um es in klingend courant umzusezen. Die Geschichte ist mir äußerst unangenehm immer wieder gegen dich zu berühren ob es der Aeltere oder Jüngere ist weiß ich nicht – nur daß es Wilhelm ist – Aus meinem Brief an große  Henriette Herz [Schließen] Jette wirst du ersehen haben – daß ich durch eine Generalin aus Preußen den Todt des  am linken Rand
Sachanmerkung:

Comtesse Friderique] Luise Friederike Juliana Gräfin zu Dohna-Schlobitten
 [Schließen]
Grafen Dohna erfahren – sie war sehr bewegt darüber – kent alle diese liebe Menschen genau und sprach auch mit Wehmuth von Comtesse Friderique .
| 23v Lebe wohl – und wenn du nicht zu vergeßlich bist so laß mir doch Albertiny Predigt bey Gelegenheit der Dresdner Reise wieder zukommen – nur schreibe bald

Deiner Lotte

Verzeihung daß dieser Brief so zerknittert ist – ich wolte ihn ohne couvert schikken aber es gieng nicht.

 am linken Rand von Bl. 8v
Sachanmerkung:

Bertha] Bertha von Seidlitz

Stekfluß]  (Stickfluß) Lungenödem
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ich brachte die Bertha den 23ten Juny in die Anstalt – zog den 25ten ins SchwesternHaus und den 11ten July endete die Gute zwar an einem Stekfluß aber doch sanft.

Zitierhinweis

3487: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, Freitag, 10. 8. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007316 (Stand: 26.7.2022)

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