A Monsieur / Monsieur Schleiermacher / Ministre de la parole de Dieu / presentement / à / Ruegen. [Autorfußnote Bl. 3v]

Heute den 4ten May hast Du mein Lieber gewiß an mich gedacht – da es mir immer ein lieber Tag ist – zwar nicht die ganze Zeit meines Hierseins einerley genußvoll – sondern – verschieden. Diesesmahl ist es mir nun wieder ganz eigen groß und unbeschreiblich wichtig – auch waren die Reden besonders ernst und geistvoll; übrigens habe ich in diesen Tagen viel mit dir gelebt   Schleiermacher reiste vom 21.4-9.5. zu seiner Schwester nach Gnadenfrei.  [Schließen]in Rükerinerung deines Besuchs 1802 – jeden Tag habe ich mir zurükgerufen; um desto merkwürdiger war es mir – als ich Heute einen Brief von der Aulock erhielt – (ich hatte – Deinen Gruß ausgerichtet und des  Schleiermacher heiratete am 18.5.1809. [Schließen]17–18 Erwähnung gethan) und darin folgendes las: Gestern war ich unter der schönen Eiche, wo wir einst mit ihrem Bruder waren – dachte da, des 17 oder 18tens freute mich der Nähe dieser Tage – siehe welchen Einklang in gemeinschaftliches denken an dich – du Guter lieber Mensch –! In diesen Tagen erhielt ich auch einen Brief von der treflichen  Henriette von Willich [Schließen] Jette – der mir eine eigne Freude verursacht – worinen sie sich mir so ganz schildert – so natürlich erzählt von ihrem vorgen Leben, daß sie mir wo möglich noch lieber dadurch geworden. O Lieber ich fühle und glaube vest – Ihr werdet ein schönes Leben mit einander leben – und Euch untereinander 1 Ptr 5,10 [Schließen] vollbereiten kräftigen und gründen in dem Herrn. Er gebe nur jedem Gesundheit, um die Deine ist mir für jezt bange – ich darf mich mit dem Gedanken nicht einlaßen – wie! wenn du nur kurz bey Jetten und ihren Kindern sein köntest – ach die Gute freut sich so schön und kräftig auf Eure wirkliche Vereinigung! | 2v

Heut am Geburtstag unsers längstentschlafnen Vaters, umgiebt mich ein eignes feyerliches Wehen seines Geistes – jezt ist es 6 uhr schon um 5 erwachte ich – freute mich mit einer Wehmuth – daß der Gute für Uns – nicht mehr da ist – mit einer hochherzigen Freude, daß dieser Mann, dieser redliche schon in seiner Zeit, ich möchte wohl sagen einzig hervor tretende Mann, unser Vater war – ach von so Vielen gekant, die auch mir auf meinem Lebenswege begegnen – – manchmahl nur auf Augenblikke, und mit Achtung – auch wohl mit Dank – sich seiner Bekantschaft – seiner Worte die auch sie trafen – erfreuen – Friede sey mit seiner Asche – hohe Seeligkeit – mehr als die Vollendeten – gewöhnlich genießen – sey Heute; sein Lohn, für Alles was Er Uns war – Friede und Gottes Seegen sey mit Euch! würde der Gute segnend Euch zurufen, ach wenn Er lebte – wenn Er auch nicht der Entfernung wegen Euch Persönlich die Hände zusamenlegen könte so würde Er Euch doch im Geist und durch schriftlichen Gruß dem Herrn – dem Gott der Liebe – der ewig reinen Liebe darstellen – der aus millionen – Euch fest umschlungen herausfinden ließ – Euch für das Höhere Beßere, jedes einzelne – ein Bedürfniß wekte  | 3 und sich eigen bilden ließ – und nun nach so sonderbaren Führungen Euch zusamen brachte!!! Wie würde der Selge – sich auch über die geschenkten Enkel freuen sie so herzdurchdringend mit seinem großen Auge anblikken, – Gott – ich mahle mir es ganz aus – wenn Er die Kleinen auf seine Arme nehmen könte – –

O meine Lieben! an diesem mir so wichtig feyerlichen Tage, rede ich zum erstenmahl mit Euch, da dieser Brief doch so ankomt daß Ihr schon Mann und Weib seid – die Herz, mag Euch diese Zeilen übergeben da ich nicht weiß, wo Ihr eben seid – in welcher FriedensHütte – auf der Insel – denn das sind sie ja wohl Alle und überall habt Ihr den göttlichen Freund in der Mitte – auch wehet Euch der Geist unsers Willichs überall sein Wohlgefallen zu – und ich – O wenn ich Worte hätte – nur Thränen – die bei mir seit Jahren selten sind habe ich während dieses Schreibens – wie werde ich an dem 17 und 18ten bei Euch sein und Euch vest umschlingen, mit meinem liebenden Herzen – ich weiß Ihr fühlt es Beide wie ich Euch liebe – Euch und Eure Kinder – ach könte ich meine Schleiers bald sehn – gute Jette gern wolte ich es ertragen wenn ich auch etwas bei Dir verlöhre in den ersten Tagen – wenn Du aber hinüber bliktest über das abschrekende Außen  | 3v und nimst mein warmes Herz an – mit allen seinen Schwächen die ich dir ehrlich gesagt habe – und Schleier oder Ernst wie ich ihn nicht nennen kann – bittet – für die alte Lotte ihr hold zu sein – O so bin ich glüklich in Eurer Liebe und durch Eure Liebe – Gott segne Euch und Eure Kinder. Küßt sie bei Empfang dieses von

Eurer Lotte

 am linken Rand von Bl. 2
Sachanmerkung:

Emilie] Emilie von Seidlitz
 [Schließen]
Meine gütige Seidliz grüßt Beide recht herzlich – so wie meine Kleinen . Emilie hat Ringe von Corallen für die Kinder gemacht die sie zärtlich liebt.

Zitierhinweis

3236: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Donnerstag, 4.5. bis Freitag, 5.5. 1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007065 (Stand: 26.7.2022)

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