d. 3t Octob. 8

9t Brief.

 Vgl. Brief 2825 und Brief 2837, sowie Brief *2829 und Brief *2843 an Henriette Herz.  [Schließen] O lieber Ernst wie viel Schönes habe ich nun von Dir! zwei so liebe süße Briefe – und eben habe ich auch Jette ihre gelesen die sie mir heute Nachmittag brachte. Sie wird Dir wohl geschrieben haben von der Einlage die Deinem Briefe zugefügt gewesen ist. Theurer Ernst um Gotteswillen! – Auch wird sie Dir wohl gesagt haben daß meine Briefe immer aufgeschnitten gewesen aber keiner durch Zufall offen gewesen ist – daß Niemand außer Jette und ich um dein Geheimniß wissen – daß ich mit Deinem ersten Briefe unvorsichtig gewesen und die Stelle mitgetheilt, die nur erst die Möglichkeit von dem zeigte was nun ist – daß wir aber nachher den Freundinnen alles ausgeredet haben und nun gar nicht mehr, nie mehr die Rede davon ist. Deine Briefe anders als Stückweise mitzutheilen wäre überhaupt schon ganz gegen mein Gefühl – so manches liebe süße Wort das du mir sagst behalte ich gerne nur für mich, aber der theuren Jette gab ich immer Deine Briefe ganz. Ich sehe sie erschrecklich selten und dann flüchtig und doch ist es mir ein unaussprechlicher Trost  korr. v. Hg. aus: dasdaß sie hier ist. Schon manchmal wenn ich in der Angst meines Herzens zu ihr gekommen bin hat sie mich beruhigen können. Lieber Ernst ich bin im Ganzen ruhig und voll des innigsten Vertrauens zu dir in jeder Rücksicht, doch kannst Du denken wie leicht durch eine kleine Veranlassung diese Ruhe erschüttert wird. Und solche finden sich doch – Aber ich danke dir unendlich daß Du mir nichts verschwiegen, daß Du mich ganz um Dich wissen läßest ist mir so unaussprechlich lieb daß ich es dir nicht sagen kann. | 32v

 Vgl. Brief 2825, 14 – 47. [Schließen]Welche innige Freude haben mir deine Briefe gemacht und alles was Du mir von deiner Liebe zu mir deiner väterlichen Zärtlichkeit schon bei unserm Zusammensein vor 4 Jahren sagst. Ja ich hatte Dich auch sehr lieb, so lieb  korr. v. Hg. aus: dasdaß es mich bisweilen erschreckte wie lebhaft mir es vorschwebte wie glücklich  Eleonore Christiane Grunow, Schleiermachers große Liebe vor der Verbindung mit Henriette von Willich [Schließen] Eleonore hätte sein können und daß ich so glücklich damals mich nicht fand. Ich sehe lieber Ernst daß Jette Dir von unsern Unterredungen die wir bald nach Deiner Abreise hatten, geschrieben hat. Ich glaube daß ich jezt weiß wie es war; nothwendig wenn ich so sagen darf war meine Liebe zu  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried nicht, ich liebte das Gute das Vortreffliche in ihm das ich mir immer sehr klar vorhielt, aber seine Eigenthümlichkeit war nicht die mich am meisten anziehende und ergänzende. Ich hätte ihn nicht geliebt wenn ich es nicht gewollt hätte. Als ich aber in das nahe Verhältniß mit ihm so plötzlich und eigentlich unbewußt, auf einmahl mich befand war kein abwägen kein prüfen mehr möglich; ich war nun drin und kam nun mit dem heißesten Flehen täglich und stündlich zu Gott um Liebe für ihn dessen herrliche Seele ich ganz erkannte. Und freute mich wenn mein Gefühl es zuließ seine Herzlichkeit recht warm zu erwiedern und litt unaussprechliche Quaal wenn ich bei einem tiefen Blicke in mein Herz zu entdecken glaubte es lebe in einer selbsterzeugten Spannung und sei im Grunde lau. Ja ich habe mit der Verzweiflung gerungen. – Und dann ward mein Schmerz wieder gestillt durch die ruhige Fassung die er mir bewies durch die tröstende Versicherung daß ihm meine Liebe genüge. Als ich wircklich in der innigsten Vereinigung mit ihm lebte konnte ich nicht anders als mich ganz an ihn hängen, er war zu gut | 33 zu lieb, ich fragte mich da nicht weiter, er war nun mein innig geliebter Mann. Und als ich gar Hoffnung hatte Mutter zu werden war mein Glück vollkommen und es wäre mir nicht möglich gewesen den Vater meines Kindes nicht zu lieben, es nur zu denken. Unsere Ehe war sehr schön wie ich hier nirgends eine kenne. Dennoch fühlte ich daß es noch eine schönere geben könne, ich suchte dies in meiner Unvollkommenheit worin es auch lag und die mir oft die heißesten Thränen gekostet, und dennoch wollte es mir ncht gelingen mich zu reinigen wie ich wünschte. Mißlaune, Heftigkeit, und auch wieder Dumpfheit waren es die mich oft beherrschten und mir dann Ehrenfrieds Unzufriedenheit zuzogen davon die kleinste Äußerung mich auch wieder so tief schmerzte daß ich mich gar nicht fassen konnte. Besonders während der Schwangerschaft mit  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette war ich erstaunlich reitzbar und konnte bei der kleinsten Veranlassung in so heftiges Weinen und Schluchzen gerathen daß Ehrenfried oft bange um mich wurde. Jede kleine Verstimmung löste sich immer in die innigste Zärtlichkeit auf, und in der lezten Zeit, besonders da ich zum andern Maal guter Hoffnung war hatte ich sehr gewonnen an Gleichmuth, Nachgiebigkeit überhaupt in allem was mir fehlte und es war ein ununterbrochen ruhiges schönes Leben. Durch den großen Schmerz erst fühlte ich mich recht gereift zu einer vollkommenen Ehe – o Gott mit welchem Jammer fühlte  über der Zeile ⎡ ich dies und die ganze Frische | 33v meines Lebens und die Fülle von Liebe in meinem Herzen und dachte doch auf immer das alles in mich verschliessen zu müssen. O mein Ernst bin ich Dir auch noch eben so lieb nach allen Bekentnissen? Daß du bliken köntest in mein Herz wie ich dich umschlungen habe mit der ganzen Kraft des Daseins und mit süßer sanfter Zärtlichkeit Dich liebe – Ernst mein Lieber wie umhalse ich Dich, wie gebe ich Dir jeden süßen Kuß zurük, Ernst Du kannst sehr süß küssen, wie ist mir wohl an Deiner Brust. Mein Einziger mein Lieber lebe wohl für heute. Verbrenne doch diesen Brief, thue es.



Ja mein Ernst ich fühle es ganz mit Dir wie Dir wohl ist in dem großen Umfang Deiner Thätigkeit, und da Du so ganz zuversichtlich bist. Ich bin so innig nun an Dich geknüpft daß alles was dich bewegt auch in mein Wesen übergeht. Das erhöhte Gefühl des Lebens in Dir durch das Große was auch durch Dich bewirckt werden soll, es wirckt auf mich zurück, ich bin mir selbst bedeutender – O mein Ernst bei der tiefen Demuth die mich nie verlaßen kann und darf wie bin ich doch jezt so stolz und halte mich selbst werth nun Du mich liebst, nun ich eins mit Dir bin.

Noch immer hatte ich das Gefühl so dunkel als wenn du nicht so wohl auch glücklich durch mich seiest als vielmehr mich und die  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kinder glücklich machen woltest, nun geht mir durch deine theuren Briefe immer mehr die beseeligende Gewißheit auf daß Du mich wircklich ganz liebst – es ist gar zu herrlich | 34 dies Gefühl! Siehe während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft und innigen Verbindung war es mir immer als wenn die besondre Zärtlichkeit und Liebe die Du für mich hattest ich mir selbst nicht zurechnen dürfe sondern den schönen Verhältnissen in denen ich stand die Du mit solcher Innigkeit liebtest(?) und mit Sehnsucht sie zu erblicken. Es war mir als ob wenn eine Andre die Dir nun vielleicht weniger werth war als ich, in dem Verhältniß mit Ehrenfried gewesen, Deine Liebe auch umgekehrt zu ihr größer gewesen sein würde. Ich konnte es nie glauben daß mein eigentliches Ich Dir könne bedeutend und so sehr lieb sein

Sage mir doch als du etwas außerordentliches für dich auf Rügen ahndetest und es doch für unmöglich hieltest daß ich die Deine werden könne warum schien es Dir unmöglich? – in so fern als es auch mir unmöglich schien in früherer Zeit? nehmlich daß ich Wittwe bleiben müße, oder glaubtest du dein Gefühl würde nie die Gestalt gewinnen daß du mich auch besitzen möchtest?

Wie es mir früher so unmöglich war mich in eine zweite Ehe zu denken daß ich oft Gott bat er möge mich nur nie in die Versuchung führen – daß ich nie Neigung eines edeln Mannes merke damit das süße Leben mich nicht noch einmahl locke; ich hatte auf immer von ihm Abschied genommen. Und in jener Stunde wie fragte ich gar nicht erst, wie konte ich gleich so fest und sicher  korr. v. Hg. aus: dasdaß es recht sei einschlagen in die liebe Hand – aber auch lange schon hatte es sich in mir vorbereitet zu diesem Ja. Ja ich könnte Dir viel erzählen von all den Momenten wo ich aufmercksam auf mein Gefühl ward und mich dann ermahnte nicht solche große Hoffnungen zu hegen und zu nähren | 34v und von denen wo ich mit stiller Freude Deine Liebe ahnete. Wie mich damals als ich auf Stubbenkammer allein geblieben – und Du mit wircklicher Angst mich suchtest; das rührte, und Dein inniger langer Kuß mich bewegte,  Vom Hg. korrigiert. 〈〈Tod〉〉 〈ernst〉 eine eigne Stimmung mich nicht verließ den ganzen Abend. Das hast Du damals wohl nicht so in mir geahndet –



Ja mein Ernst von Herzen gerne wäre ich bei Dir gewesen in der Zeit der Unruhe und Gefahr und es war mir als ich davon erfuhr als fehle mir recht etwas daß ich es nicht mit Dir theilen solle. Da das nun aber einmahl nicht angeht so laß  korr. v. Hg. aus: unduns doch recht ruhig die Zeit erwarten wo sich alles ohne zu große Anstrengung für Dich einrichten läßt, und wisse daß die schöne Hoffnung im Herzen mich eigentlich keine Ungeduld treibt –  korr. v. Hg. aus: dasdaß mir wohl ist hier wenn auch getrennt doch immer mit Dir zu leben und schon voraus zu empfinden alles Schöne des künftigen Lebens. Es könnte mich ordentlich trüben wenn ich sähe wie es Dir doch auf eine Art schwer würde in dieser schwierigen Zeit das Nothwendige herbei zu schaffen. Nimm dies doch ja nicht als Besorgniß Du könntest in dieser Hinsicht unvorsichtig sein, das fällt mir gar nicht ein, sondern nur allein daß Du Dich zu sehr anstrengen möchtest, daß du um jener Sehnsucht willen die ich Dir aussprach unsere Verbindung mehr beschleunigen möchtest als du sonst gethan hättest. Ich hätte Dir dies alles nicht geschrieben wenn ich nicht hätte ausdrücklich versprechen müssen den theilnehmenden Schwestern | 35 Dich zu ermahnen nichts zu übereilen – Ich weiß wie ganz unnöthig das bei Dir ist und es ist doch auch nicht das Kleinste worin ich nicht unumschräncktes Vertraun auch zu Deiner Vorsicht und Klugheit hätte.

 Vgl. Brief 2823, 15 – 18. [Schließen] An die Kanonierstraße glaubst Du also nicht recht? das ist ja wohl nothwendig auch Zweifel gegen Berlin überhaupt? Mir würde es sehr leid thun wenn wir noch weiter von Rügen entfernt werden sollten, besonders die gute  Sophie Schlichtkrull, Schwester Ehrenfried von Willichs, bei der Henriette von Willich mit ihren Kinder nach dem Tod ihres Gatten wohnte. [Schließen] Sophie legt viel Gewicht darauf ob wir in Berlin bleiben oder nicht. Dann auch die alte  Frau von Mühlenfels, Henriette von Willichs in Berlin ansässige Großmutter  [Schließen] Großmutter – Sonst kann ich mir denken daß wenn wir in einer schöneren Gegend vielleicht einer Flußgegend zu wohnen kämen das uns auch viel Schönes gewähren könnte. Du siehst lieber Ernst wie ich mit meinen Gedanken herum schweife Du mußt Dir nur gefallen lassen mich so anzuhören da ich ja von nichts weiß – So kann ich auch gar keine Vermuthung haben über die Art deines Geschäftes und mir thut es recht leid daß ich nicht ein bischen klüger bin um selbst etwas zu merken denn ich weiß ja daß ich Dich nicht fragen darf – Erzähle mir doch auch ob Du nicht Deinen Freunden in Berlin von unserm Verhältniß gesprochen? Mich hat oft eine kleine Unruhe angewandelt ob Dir auch meine Voreiligkeit unangenehm gewesen sein möchte – Jette hat mir gar zu sehr das Gegentheil versichert, und mir selbst war es | 35v durchaus lieb es den Freunden zu sagen. Immer redeten sie so theilnehmend über meine Zukunft, über unsere Kinder – ich konnte es nicht schweigen –

Ich habe Tante Baier in Garz gesprochen und recht viel, sie grüßt Dich sehr innig. Herrman ist recht gewiß mit Alwine versprochen nach mehreren vertrauten Äußerungen von Tante. – In einigen Tagen ist  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jettchens Geburtstag dann zieht sie das hübsche Habit von Dir an und ich erzähle ihr viel von ihrem Väterchen –

Jezt sind unsere Kleinen recht wohl, noch wohl etwas blaß doch sonst frei von allen Uebeln. Einen erschrecklichen nicht zu ersättigenden Appetit haben Beide. Ihr findet alle Jette ihrem Vater so sehr ähnlich, es thut mir recht so leid  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich es so nicht finde, ich finde es wenn ich es suche aber es spricht mich nicht recht an die recht eigentliche Ähnlichkeit nicht. Die ahnde ich mehr in dem  Ehrendfried von Willich (d. J.) [Schließen] Knaben , ein frommes ruhiges klares Gemüth spricht mich aus dem Jungen immer an. Er ist wircklich recht kräftig und sehr hold, und hat oft so viel Schalkheit  korr. v. Hg. aus: dasdaß er uns überrascht. Ich finde in Jette so manchen kleinen Zug, in dem ich unverkenbar mich selbst erkenne und daß heißt in dem heftigen und sonderbaren das sie hat – Ich bin aber so ein erschrecklich eigensinniges Kind gewesen und habe späterhin eine Herrschaft über meine Geschwister und Gespielen ausgeübt, nicht durch Gewalt aber weil ich sie mir zu verschaffen wußte,  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich durchaus Anordnerin von allem war. Das versichere ich Dir ist hernach ganz heraus gekommen. Von Seiten des Geistes ist sie gewiß Ehrenfried ähnlich aber in dem eigenthümlichen glaube ich mehr mir –  Vgl. Brief 2825, 81 – 99. [Schließen]Für Deinen Rath danke ich Dir recht | 36 ich werde thun was ich kann ihn auszuführen.  Vgl. Brief 2852, 61 – 72. [Schließen]Aus dem was ich Dir schrieb wie ich mich oft gehn ließ in heftiger Empfindung während ich das Kind unterm Herzen trug, kannst Du schließen wie ich mich oft doppelte Schuld zumesse, nicht allein daß ich sie jezt nicht recht behandle auch noch von früher her –

Von Götemitz schreibe ich nichts weil du gewiß auch von dort Briefe hast. Sophie grüßt Dich herzlich.

 Vgl. Brief 2844, 36 – 39. [Schließen] Von der Israel habe ich ganz besonders herzliche Worte von der Kummerow noch kein einziges.   Grüße unsere   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny mit dem innigsten Schwesterngruß.

Gott daß die Briefe so langsam gehn wie viel habe ich schon an Dich geschrieben wie spät bekomme ich immer die Antwort darauf.  Vgl. Brief 2844. [Schließen]Ich glaube mein lezter Brief war nicht numerirt es muß der 8te gewesen sein. Ach laß Dir doch nicht die Zeit lang werden bei meinen langen langen Briefen!  Lieber theurer Mann lebe wohl – die Post geht fort, ich hätte sonst noch mehr zu plaudern – mit immer gleicher Liebe

Deine Jette.

Zitierhinweis

2852: Von Henriette von Willich. Poseritz, Montag, 3. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006681 (Stand: 26.7.2022)

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