Dantzig d. 21 Merz 1808.

Lieber alter Freund

Ich hoffe doch daß du dich meiner noch erinnern und in dem Strudel der Begebenheiten, die  Der letzte Brief von Duisburg an Schleiermacher war vom 20. 7. 1806, vgl. Brief 2224, KGA V/9.  [Schließen]seit unserm letzten Briefwechsel eingetreten sind, mich nicht gantz aus Deinem Hertzen verlohren haben wirst.  Schleiermachers im Vorfeld der Gründung der Berliner Universität in Berlin gehaltene Vorlesungen 1807-1810 wurden in der Zeitschrift „Berlinische Nachrichten“ angekündigt. [Schließen] Aus den Zeitungen weiß ich daß du dich gegenwärtig in Berlin aufhältst und seit der Zeit habe ich mir immer und immer vorgenommen mich bey dir in Erinnerung zu bringen, bald aber kam dieß und bald das dazwischen. –

Unsere Belagerung habe ich mit den Meinigen glücklich überstanden,  Friedrich Carl Gottlieb Duisburg: „Geschichte der Blockade und Belagerung von Danzig“, in: „Zeitung für die elegante Welt“, 7. Jg., H. 107, 108, 112, 116, 120, 126, 128, 129, 133, 139, 140 (1807) [Schließen]wie du allenfals aus der eleganten Zeitung ersehen kannst, der ich eine Darstellung unserer Belagerungsgeschichte geliefert habe und wo alles, was du in derselben von und über Dantzig findest, von mir herrührt. Nach der Belagerung aber entstand bey uns eine fürchterliche Ruhrepidemie, die auch mich ergrif und mich bis an des Lebens äußerste Scheidegrentze brachte. Die Entzündung im Unterleibe war schon da, und nur dem Fleiß und der mühsamsten Behandlung meines Bruders verdanke ich es, daß ich noch da bin. Aber eine gewiße körperliche Schwäche, die sich besonders durch Mangel an Schlaf äußert, ist mir zurük geblieben. Gegenwärtig kränckle ich an der allgemeinen Kranckheit, d.h. an der bösen, nahrlosen Zeit. O es sind hier harte Zeiten! Aller frohe Sinn, alle Geselligkeit, aller Muth ist von uns geschieden und man hört jetzt Personen klagen und jammern von denen man sonst nie dergleichen hörte und die es nie dachten und möglich glaubten daß ein Tropfen Noth in ihre Lebensbücher fallen könne. Wie sehr wünscht man da sich fort aus diesem traurigen Aufenthalt; fort aus einem Ort, wo alle Tugend, alle Schaam, alle Sittsamkeit sich entfernt hat; wo kein Mädchen sicher ist verführt zu werden und wo die täglichen Vorbilder der Unzucht und der Liederlichkeit jede jungfräuliche Seele vergiften. Jeder Vater zittert und  Caroline Friederika, Henriette Amalie Adelgunde, Henriette Julie, Henriette Wilhelmine Duisburg [Schließen]ich bin Vater von vier Mädchen, wovon zwey jetzt eben in der Blüte stehn. Darum, mein Freund (?), ist der Wunsch jetzt größer wie je Danzig zu verlaßen, wo ich ohnehin keine Aussicht zu einer baldigen Anstellung habe, ohngeachtet ich schon ordinirt bin, weil uns die St. Peter Kirche von den Frantzosen zum Heu und Strohmagazin weggenommen ist, und unsre 3 Prediger also abwechselnd in der St. Elisabeths Kirche predigen . Freilich ist | 48v Fabritius ein alter schwacher Mann und mein Vater ebenfalls, und um bey ihrer öfteren Kräncklichkeit an ihrer Stelle mit Buchan die Sacra administriren zu können, hat man mich zum Prediger ordinirt, allein wenn auch heute oder morgen einer von beiden mit Tode abgeht, so glaube ich nicht daß man unter den gegenwärtigen Umständen, da auch der Geldmangel in unsern Kasten würcklich eingetreten ist, eine verarmt werdende Stelle besetzen wird. Mein Onkel Dr. Meister in Bremen hat mir Hofnung gemacht mich zur Wahl bey der Stephanskirche in Bremen zu bringen und nach seinen Kräften für mich zu würcken. Du, lieber Freund, bist früher schon für diese Stelle gewählt worden und hast sie ausgeschlagen; nach dir hat man sie, glaub’ ich, noch zweyen oder dreien angeboten und hat ebenfals den Korb bekommen. Ich habe zehn Ursachen für eine, die ich Dir nicht aufzählen mag, mir diese Stelle zu wünschen, weil ich gern, gern Dantzig verlaßen möchte, wenigstens auf einige Jahre verlaßen möchte. Gewiß hast du Freunde in Bremen , die dich dorthin haben ziehen wollen. Mein Onkel glaubt, so wie ich, daß eine Empfehlung von deiner Seite viel zur Erfüllung meines Wunsches beytragen könnte. Und darum will ich Dich denn hiemit bey unserer alten Freundschaft gebeten haben. Zugleich – wenn du noch der Alte für deine Alten bist – bitte ich Dich, wenn du eine vacante Stelle weißt, mir davon einen Winck zu geben. In einem kleinen Landstädtchen fände ich am liebsten mein Ruheplätzchen, noch lieber auf dem Lande. Ich bin der großen Städte müd, denn ich habe ihre bösen Seiten genug kennen gelernt. Deine Bekanntschaft ist ausgebreitet und groß, es kann dir manches bekannt werden, das mir nicht undienlich ist. Ein Winck und eine Empfehlung von Dir kann mir sehr vortheilhaft seyn. Was du nun in allen diesen Rüksichten thun und würcken kannst, um deines Freundes Zufriedenheit zu fördern, darum bitet Dich unsere alten Freundschaft. –

  Friedrich Carl Gottlieb Duisburg: „Religionsvorträge: ein Beytrag zur häuslichen Erbauung“ (1809) [Schließen] Mein Onkel giebt jetzt bey Müller in Bremen eine kleine Sammlung von Predigten von mir heraus und bey Troschel hier in Dantzig komt von mir | 49 heraus: Geschichte der Belagerungen und Blokaden Dantzigs, von der frühesten bis auf die gegenwärtige Zeit. Von diesem letzteren Werk sind bereits 10 Aushängebogen in meinen Händen, und es wird in einigen Wochen im Buchhandel zu haben seyn. Die Idee zu diesem Werk gab mir meine Ausarbeitung der Belagerungsgeschichte unserer Stadt für die elegante Zeitung, die hier sehr gefiel.  Friedrich Carl Gottlieb Duisburg: „Versuch einer historisch-topographischen Beschreibung der freien Stadt Dantzig“ (1809) [Schließen] Jetzt arbeite ich eine historisch Topographische Beschreibung von Dantzig aus, wozu in Berlin ein Grundriß der Stadt gestochen wird. –

Alle die Meinigen, meine Frau und Kinder , meine Eltern und Geschwister sind wohl.   Eleonore Amalie Karoline Maria Rawicz (Rawitz)  [Schließen]Meine älteste Schwester , mit der ich neulich von dir sprach, läßt dich fragen ob du nicht einmal wieder nach Dantzig kommen und dir das Haar verschneiden laßen willst; sie denkt es müße wohl wieder Zeit seyn. – Über meine unten stehende Adreße magst du dich so lange wundern, bis ich eine Antwort von dir habe, und dich dann in meinem folgenden Briefe darüber aufklären werde. Heute ist es nun zu spät, da ich noch an Mahlmann nach Leipzig zu schreiben habe . Antworte mir bald und laß mich erfahren daß du noch der alte Freund deines alten und treuen Freundes bist.

Duisburg.

Adreße

An den Prediger von Duisburg den Jüngern

Im Poggenphul Nr. 377.

Zitierhinweis

2666: Von Friedrich Carl Gottlieb Duisburg. Danzig, Montag 21. 3. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006495 (Stand: 26.7.2022)

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